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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Der Mönch von ZVeinfelden

eine Abteilung türkischer Kavallerie kampierte, deren Pferde hier den dem Staate
gehörenden Graswuchs abweideten. An dem alten Bette des Skamanderflusses, der
ehemals dicht am Burghügel entlang floß und hier den Simois aufnahm, ergingen
sich auch einige Kamele, die wahrscheinlich der Reiterabteiluug als Lasttiere dienten.
Etwas weiter nach der Mitte der Ebne zu liegt jetzt das armselige Türkendorf
Kumkiöi (Sanddorf). Bei ihm war die Furt über den Skamander, die die Heere
beim Vordringen passieren mußten, und etwas dahinter am Grabmal des Jlos ist
die "Schwellung der Ebne," wo die Heere so oft feindlich zusammentrafen. Darüber
hinweg schweift das Auge zu den weißen Minarets und den Häusern von Kum-
Kale, wo die Griechen ihr Schiffslager hatten. Dann kommt das blaue Band des
Hellespont und dahinter die niedrige Steilküste des europäischen Chersounesos. Rechts
erhebt sich der Höhenzug am Kap Nhöteion, wo der Grabhügel des Aias liegt,
und links das Vorgebirge Sigeion mit dem Grabhügel des Achilles, zwei Punkte,
die wir noch zu besuchen gedachten.

Alles das stimmt aufs beste zu der Schilderung des griechischen Dichters, und
auch das Beiwort "windig" hat er der Stadt nicht ohne Grund gegeben. Denn
unausgesetzt strich, obwohl wir in der zweiten Hälfte des Mais waren, ein kalter
Wind von Thrakien her über die troische Landschaft. Dörpfeld las uns aus
Schliemanns Tagebuch die Windbeobachtungen vor, die zeigen, daß dieser Boreus
noch bis in den Juli hinein anhält. Er tröstete uns, wenn wir darüber klagten,
daß dieser Wind auch in die Baracken dringe und uns im Schlafe störe, damit,
daß es doch wenigstens nicht regne. Er habe das much schon erlebt und sich dann
jedesmal auf deu Augenblick gefreut, wo der erste Schläfer aufgewacht sei und fluchend
zum Regenschirm gegriffen habe. Denn "wer nicht im Bett deu Schirm aufspannte,
der kennt dich nicht, dn göttliche Levante."

(Fortsetzung folgt)




Der Mönch von Weinfelder
Julius R. Haarhails Novelle von

^N>^
MMM'
M
(M>s war am 10. November im Jahre des Heils 1524, am Vorabend
des Se. Martinsfestes. Der Tag durfte mit vollem Recht auf die
Bezeichnung "Vorabend" Anspruch erheben, denn nach einer einzigen
kurzen Morgenstunde hatte sich auf das Hochland der Eifel eine
herbstliche Dämmerung herabgesenkt, die mit der Nacht mehr gemein
! hatte als mit deren lichtem Bruder. Ehe aber der wirkliche Abend
hereinbrach, erhob sich ein feuchter Südwestwind, zerriß die graue Decke des
Himmels, ballte die Fetzen zu mächtigen, tiefhängenden Wolken zusammen und trieb
sie an den düstern Türmen der Nürburg und der kahlen Basaltkuppe der Hohen
Acht vorüber dem Rheine zu. Zugleich erschien im Westen über dem langgestreckten
Rücken der Schneeeifel ein schmaler, orangefarbner Streif, gleichsam als habe die
Sonne, bevor sie zur Rüste ging, den armen Erdenmeuschlein die freudige Gewi߬
heit geben wollen, daß sie noch lebe.

In diesem Augenblick erschienen auf der mit niedrigem Gestrüpp bewachsenen
Höhe des Mäusebergs zwei Männer, denen ein schwarzer Pudel in muntern Sprüngen
vorcmetlte. Auf dem Gipfel blieben sie stehn und betrachteten schweigend das Schau¬
spiel, das ihnen der westliche Himmel darbot. Wer von ihrer Kleidung auf ihr
Wesen und ihren Beruf hätte schließen wollen, der wäre in große Verlegenheit ge-


Der Mönch von ZVeinfelden

eine Abteilung türkischer Kavallerie kampierte, deren Pferde hier den dem Staate
gehörenden Graswuchs abweideten. An dem alten Bette des Skamanderflusses, der
ehemals dicht am Burghügel entlang floß und hier den Simois aufnahm, ergingen
sich auch einige Kamele, die wahrscheinlich der Reiterabteiluug als Lasttiere dienten.
Etwas weiter nach der Mitte der Ebne zu liegt jetzt das armselige Türkendorf
Kumkiöi (Sanddorf). Bei ihm war die Furt über den Skamander, die die Heere
beim Vordringen passieren mußten, und etwas dahinter am Grabmal des Jlos ist
die „Schwellung der Ebne," wo die Heere so oft feindlich zusammentrafen. Darüber
hinweg schweift das Auge zu den weißen Minarets und den Häusern von Kum-
Kale, wo die Griechen ihr Schiffslager hatten. Dann kommt das blaue Band des
Hellespont und dahinter die niedrige Steilküste des europäischen Chersounesos. Rechts
erhebt sich der Höhenzug am Kap Nhöteion, wo der Grabhügel des Aias liegt,
und links das Vorgebirge Sigeion mit dem Grabhügel des Achilles, zwei Punkte,
die wir noch zu besuchen gedachten.

Alles das stimmt aufs beste zu der Schilderung des griechischen Dichters, und
auch das Beiwort „windig" hat er der Stadt nicht ohne Grund gegeben. Denn
unausgesetzt strich, obwohl wir in der zweiten Hälfte des Mais waren, ein kalter
Wind von Thrakien her über die troische Landschaft. Dörpfeld las uns aus
Schliemanns Tagebuch die Windbeobachtungen vor, die zeigen, daß dieser Boreus
noch bis in den Juli hinein anhält. Er tröstete uns, wenn wir darüber klagten,
daß dieser Wind auch in die Baracken dringe und uns im Schlafe störe, damit,
daß es doch wenigstens nicht regne. Er habe das much schon erlebt und sich dann
jedesmal auf deu Augenblick gefreut, wo der erste Schläfer aufgewacht sei und fluchend
zum Regenschirm gegriffen habe. Denn „wer nicht im Bett deu Schirm aufspannte,
der kennt dich nicht, dn göttliche Levante."

(Fortsetzung folgt)




Der Mönch von Weinfelder
Julius R. Haarhails Novelle von

^N>^
MMM'
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(M>s war am 10. November im Jahre des Heils 1524, am Vorabend
des Se. Martinsfestes. Der Tag durfte mit vollem Recht auf die
Bezeichnung „Vorabend" Anspruch erheben, denn nach einer einzigen
kurzen Morgenstunde hatte sich auf das Hochland der Eifel eine
herbstliche Dämmerung herabgesenkt, die mit der Nacht mehr gemein
! hatte als mit deren lichtem Bruder. Ehe aber der wirkliche Abend
hereinbrach, erhob sich ein feuchter Südwestwind, zerriß die graue Decke des
Himmels, ballte die Fetzen zu mächtigen, tiefhängenden Wolken zusammen und trieb
sie an den düstern Türmen der Nürburg und der kahlen Basaltkuppe der Hohen
Acht vorüber dem Rheine zu. Zugleich erschien im Westen über dem langgestreckten
Rücken der Schneeeifel ein schmaler, orangefarbner Streif, gleichsam als habe die
Sonne, bevor sie zur Rüste ging, den armen Erdenmeuschlein die freudige Gewi߬
heit geben wollen, daß sie noch lebe.

In diesem Augenblick erschienen auf der mit niedrigem Gestrüpp bewachsenen
Höhe des Mäusebergs zwei Männer, denen ein schwarzer Pudel in muntern Sprüngen
vorcmetlte. Auf dem Gipfel blieben sie stehn und betrachteten schweigend das Schau¬
spiel, das ihnen der westliche Himmel darbot. Wer von ihrer Kleidung auf ihr
Wesen und ihren Beruf hätte schließen wollen, der wäre in große Verlegenheit ge-


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[0232] Der Mönch von ZVeinfelden eine Abteilung türkischer Kavallerie kampierte, deren Pferde hier den dem Staate gehörenden Graswuchs abweideten. An dem alten Bette des Skamanderflusses, der ehemals dicht am Burghügel entlang floß und hier den Simois aufnahm, ergingen sich auch einige Kamele, die wahrscheinlich der Reiterabteiluug als Lasttiere dienten. Etwas weiter nach der Mitte der Ebne zu liegt jetzt das armselige Türkendorf Kumkiöi (Sanddorf). Bei ihm war die Furt über den Skamander, die die Heere beim Vordringen passieren mußten, und etwas dahinter am Grabmal des Jlos ist die „Schwellung der Ebne," wo die Heere so oft feindlich zusammentrafen. Darüber hinweg schweift das Auge zu den weißen Minarets und den Häusern von Kum- Kale, wo die Griechen ihr Schiffslager hatten. Dann kommt das blaue Band des Hellespont und dahinter die niedrige Steilküste des europäischen Chersounesos. Rechts erhebt sich der Höhenzug am Kap Nhöteion, wo der Grabhügel des Aias liegt, und links das Vorgebirge Sigeion mit dem Grabhügel des Achilles, zwei Punkte, die wir noch zu besuchen gedachten. Alles das stimmt aufs beste zu der Schilderung des griechischen Dichters, und auch das Beiwort „windig" hat er der Stadt nicht ohne Grund gegeben. Denn unausgesetzt strich, obwohl wir in der zweiten Hälfte des Mais waren, ein kalter Wind von Thrakien her über die troische Landschaft. Dörpfeld las uns aus Schliemanns Tagebuch die Windbeobachtungen vor, die zeigen, daß dieser Boreus noch bis in den Juli hinein anhält. Er tröstete uns, wenn wir darüber klagten, daß dieser Wind auch in die Baracken dringe und uns im Schlafe störe, damit, daß es doch wenigstens nicht regne. Er habe das much schon erlebt und sich dann jedesmal auf deu Augenblick gefreut, wo der erste Schläfer aufgewacht sei und fluchend zum Regenschirm gegriffen habe. Denn „wer nicht im Bett deu Schirm aufspannte, der kennt dich nicht, dn göttliche Levante." (Fortsetzung folgt) Der Mönch von Weinfelder Julius R. Haarhails Novelle von ^N>^ MMM' M (M>s war am 10. November im Jahre des Heils 1524, am Vorabend des Se. Martinsfestes. Der Tag durfte mit vollem Recht auf die Bezeichnung „Vorabend" Anspruch erheben, denn nach einer einzigen kurzen Morgenstunde hatte sich auf das Hochland der Eifel eine herbstliche Dämmerung herabgesenkt, die mit der Nacht mehr gemein ! hatte als mit deren lichtem Bruder. Ehe aber der wirkliche Abend hereinbrach, erhob sich ein feuchter Südwestwind, zerriß die graue Decke des Himmels, ballte die Fetzen zu mächtigen, tiefhängenden Wolken zusammen und trieb sie an den düstern Türmen der Nürburg und der kahlen Basaltkuppe der Hohen Acht vorüber dem Rheine zu. Zugleich erschien im Westen über dem langgestreckten Rücken der Schneeeifel ein schmaler, orangefarbner Streif, gleichsam als habe die Sonne, bevor sie zur Rüste ging, den armen Erdenmeuschlein die freudige Gewi߬ heit geben wollen, daß sie noch lebe. In diesem Augenblick erschienen auf der mit niedrigem Gestrüpp bewachsenen Höhe des Mäusebergs zwei Männer, denen ein schwarzer Pudel in muntern Sprüngen vorcmetlte. Auf dem Gipfel blieben sie stehn und betrachteten schweigend das Schau¬ spiel, das ihnen der westliche Himmel darbot. Wer von ihrer Kleidung auf ihr Wesen und ihren Beruf hätte schließen wollen, der wäre in große Verlegenheit ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/232>, abgerufen am 13.11.2024.