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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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westfälische Geschichten
L. Rafael (H. Aiesekamp) Erzählungen von
^. Die cLlermonts
(Schluß)
8

ist ein Teufelsmädchen, Rieka, sagte der Hera zu seiner Tochter.
Verstehsts noch besser, als deine Mutter es verstand, die Männer
verrückt zu machen. Kostet dich wenig Müh. Du sitzest da, läßt
dich ansetzn und tust den Mund nicht auf. Er lachte laut. Recht
so: jeder glaubt, daß er den Vogel abgeschossen hat bei dir. So
kommen sie alle, und die Goldne Krone kommt wieder auf den
Strumpf. Nachher kannst du heiraten, wen du willst. Haben sich zu früh gefreut, die
da drüben, der alte Tropf und die geizige Hexe mit ihrem scheinheiligen Sohn. Der
Hera lebt noch, und der alte Haß lebt auch noch. Rieka, Mädel, an dem Tage,
wo du den Franz, den Clermonts Franz dahin bringst, daß er dir gegenüber sitzt
auf dem Stuhl, wie die andern dasitzen, die dich auffressen mit ihren Augen, daß
du ihn von dir stoßen kannst wie einen Hund, daß du ihn kaputt machst, wie sein
Vater kaputt ist, an dem Tag -- ich glaube, der alte Hera wird noch einmal
wieder jung.

Er kommt heute Abend, der Franz, sagte die Rieka ruhig. Der Hinrich Dorment
bringt ihn her, das ist sicher, denn ich habe ihm versprochen, daß ich ihm sagen
will, ob ich ihn nehme, wenn er den Franz in die Spielstube bringt. Ob ich ihn
nehme, den Hinrich? Sie lachte leise. Wen ich wohl nehme?

Hases gehört, daß sein Vater wieder heiratet, daß der Hinrich den Hof nicht
bekommt? sagte der Hera. Einen armen Teufel kannst du nicht heiraten. Hin¬
halten, Kind, Hinhalten ihn, wie die andern: allen gefallen, keinen wählen, das
bringt Geld in die Kasse.

Überlegt Euch wohl, Vater, Was Ihr sagt und tut, wenn der Franz da ist,
damit Ihr mir das Spiel nicht verderbt. Der Franz ist ein Kluger, sagte die Rieka.




Der Hinrich saß in der Krone im Spielstübchen hinter dem Tisch und verlor
sein Geld. Trier um Taler, seit seiner Kindheit sorglich zusammengespart, verschwand
in der Kasse des Clemens Lie, der dem Hinrich gegenüber saß. Sie spielten Schafs¬
bock an diesem Tisch, ein Spiel, das bei den Bauern jener Gegend besonders beliebt
war. An dem andern Tisch saß der Hera mit einigen Herren aus der Stadt.
Dort spielten sie Solo.

So schön wie heute glaubte der Hinrich die Rieka noch nie gesehen zu haben.
Als er in die Stube trat, war sie vom Stuhl aufgestanden, hatte ihm die Hand
gereicht und leise gefragt: Kommt der Franz? Und als er bejahte, hatte sie ihm
die Hand gedrückt und ihn mit den schwarzen Augen angeblickt. Ein leises Rot
war auf ihrer Wange erschienen und war dort geblieben. Wie ihr das stand!
Der Hinrich verschlang sie mit seinen Blicken. Sie war aufgestanden, hatte ihm
die Hand gereicht: das war noch nie dagewesen. Wie ein Rausch durchfuhr es




westfälische Geschichten
L. Rafael (H. Aiesekamp) Erzählungen von
^. Die cLlermonts
(Schluß)
8

ist ein Teufelsmädchen, Rieka, sagte der Hera zu seiner Tochter.
Verstehsts noch besser, als deine Mutter es verstand, die Männer
verrückt zu machen. Kostet dich wenig Müh. Du sitzest da, läßt
dich ansetzn und tust den Mund nicht auf. Er lachte laut. Recht
so: jeder glaubt, daß er den Vogel abgeschossen hat bei dir. So
kommen sie alle, und die Goldne Krone kommt wieder auf den
Strumpf. Nachher kannst du heiraten, wen du willst. Haben sich zu früh gefreut, die
da drüben, der alte Tropf und die geizige Hexe mit ihrem scheinheiligen Sohn. Der
Hera lebt noch, und der alte Haß lebt auch noch. Rieka, Mädel, an dem Tage,
wo du den Franz, den Clermonts Franz dahin bringst, daß er dir gegenüber sitzt
auf dem Stuhl, wie die andern dasitzen, die dich auffressen mit ihren Augen, daß
du ihn von dir stoßen kannst wie einen Hund, daß du ihn kaputt machst, wie sein
Vater kaputt ist, an dem Tag — ich glaube, der alte Hera wird noch einmal
wieder jung.

Er kommt heute Abend, der Franz, sagte die Rieka ruhig. Der Hinrich Dorment
bringt ihn her, das ist sicher, denn ich habe ihm versprochen, daß ich ihm sagen
will, ob ich ihn nehme, wenn er den Franz in die Spielstube bringt. Ob ich ihn
nehme, den Hinrich? Sie lachte leise. Wen ich wohl nehme?

Hases gehört, daß sein Vater wieder heiratet, daß der Hinrich den Hof nicht
bekommt? sagte der Hera. Einen armen Teufel kannst du nicht heiraten. Hin¬
halten, Kind, Hinhalten ihn, wie die andern: allen gefallen, keinen wählen, das
bringt Geld in die Kasse.

Überlegt Euch wohl, Vater, Was Ihr sagt und tut, wenn der Franz da ist,
damit Ihr mir das Spiel nicht verderbt. Der Franz ist ein Kluger, sagte die Rieka.




Der Hinrich saß in der Krone im Spielstübchen hinter dem Tisch und verlor
sein Geld. Trier um Taler, seit seiner Kindheit sorglich zusammengespart, verschwand
in der Kasse des Clemens Lie, der dem Hinrich gegenüber saß. Sie spielten Schafs¬
bock an diesem Tisch, ein Spiel, das bei den Bauern jener Gegend besonders beliebt
war. An dem andern Tisch saß der Hera mit einigen Herren aus der Stadt.
Dort spielten sie Solo.

So schön wie heute glaubte der Hinrich die Rieka noch nie gesehen zu haben.
Als er in die Stube trat, war sie vom Stuhl aufgestanden, hatte ihm die Hand
gereicht und leise gefragt: Kommt der Franz? Und als er bejahte, hatte sie ihm
die Hand gedrückt und ihn mit den schwarzen Augen angeblickt. Ein leises Rot
war auf ihrer Wange erschienen und war dort geblieben. Wie ihr das stand!
Der Hinrich verschlang sie mit seinen Blicken. Sie war aufgestanden, hatte ihm
die Hand gereicht: das war noch nie dagewesen. Wie ein Rausch durchfuhr es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/174>, abgerufen am 28.06.2024.