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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Bilder aus der englischen Kulturgeschichte
von Karl Feyerabend
^. Die königliche Gabe
(Schluß)

icht ganz klar ist auch die Stellung Richard Wisemans, eines
Leibchirurgen Karls des Ersten, den man als stärksten und un¬
verdächtigsten Zeugen für die Wirksamkeit der Heilung heran¬
gezogen hat, in dessen Brust aber zwei Seelen, die des Patrioten
und des Arztes, gewohnt zu haben scheinen. Die Frage, ob
er wirklich daran geglaubt oder wissentlich einen Betrug gefördert hat, kann
man schwer beantworten. Bedeutend in seinem Berufe, ehrlich und aufrichtig
als Schriftsteller, wie er war, scheint er doch unzweideutig seinen Glauben
nuszusprechen: "Ich bin selber häufig Augenzeuge von vielen hundert Kuren
gewesen, die der Kunst der Ärzte gespottet hatten. Es wäre endlos zu er¬
zählen, was ich selbst gesehen habe." Seine warme Anhänglichkeit an die
königliche Familie und Jugendvorurteile ließen bei ihm den Glauben gegen
das nüchterne Urteil vorwiegen. Denn einzelne Stellen seiner "Chirurgischen
Abhandlungen" verraten ein Bewußtsein des Widerspruchs. Diese OnirurAioal
IröMsss, erst 1676 in Folio erschienen, sind ein durchaus ernsthaftes, und
soweit ich als medizinischer Laie beurteilen kann, für ihre Zeit wissenschaft¬
liches Werk. Das vierte Buch handelt von tus iänz's "zvii. "Die Behand¬
lung des Leidens, sagt er, ist schwierig, aber zum Glücke hat Gott den eng¬
lischen Königen die "Gabe" verliehen. Da nicht geleugnet werden kann, daß
"Manche" geheilt hinweggehn, so haben einige es der Reise und Luftver¬
änderung, andre der Wirkung der Einbildungskraft, andre dem Tragen des
Goldes zuschreiben wollen. Dagegen spricht, daß Londoner in Whitehall
sowie Kinder und Säuglinge geheilt worden sind "durch geheime Strahlen
der Gottheit, die den Königen zu teil werden", daß manche die Heilung trotz
Verlustes des Goldes bewahrt haben, wiewohl es auch Beispiele vom Gegen¬
teil gibt." Dagegen ist es dem Verfasser mehr als zweifelhaft, ob Leute ge¬
heilt werden können durch Gold, das andern vom Könige gegeben worden
war. Überhaupt deutet er an, daß die Kur durchaus nicht unfehlbar war.
Dem Könige wurden nur die leichtesten Fälle vorgeführt, nachdem die
schlimmsten vorher ausgeschieden waren. Und gerade in deren ärztlicher Be¬
handlung zeigt Wiseman umfassende Erfahrung, ohne daß er die königliche
Hilfe in Anspruch nahm. Bezeichnend sind die Worte, mit denen er den
Übergang zu dem wissenschaftlichen Teil des Kapitels macht: "Es ist nicht
notwendig, daß eine Krankheit, die durch ein Wunder geheilt wird, nicht auch
durch Regeln der Kunst geheilt werden könnte." Deshalb will er zur größern




Bilder aus der englischen Kulturgeschichte
von Karl Feyerabend
^. Die königliche Gabe
(Schluß)

icht ganz klar ist auch die Stellung Richard Wisemans, eines
Leibchirurgen Karls des Ersten, den man als stärksten und un¬
verdächtigsten Zeugen für die Wirksamkeit der Heilung heran¬
gezogen hat, in dessen Brust aber zwei Seelen, die des Patrioten
und des Arztes, gewohnt zu haben scheinen. Die Frage, ob
er wirklich daran geglaubt oder wissentlich einen Betrug gefördert hat, kann
man schwer beantworten. Bedeutend in seinem Berufe, ehrlich und aufrichtig
als Schriftsteller, wie er war, scheint er doch unzweideutig seinen Glauben
nuszusprechen: „Ich bin selber häufig Augenzeuge von vielen hundert Kuren
gewesen, die der Kunst der Ärzte gespottet hatten. Es wäre endlos zu er¬
zählen, was ich selbst gesehen habe." Seine warme Anhänglichkeit an die
königliche Familie und Jugendvorurteile ließen bei ihm den Glauben gegen
das nüchterne Urteil vorwiegen. Denn einzelne Stellen seiner „Chirurgischen
Abhandlungen" verraten ein Bewußtsein des Widerspruchs. Diese OnirurAioal
IröMsss, erst 1676 in Folio erschienen, sind ein durchaus ernsthaftes, und
soweit ich als medizinischer Laie beurteilen kann, für ihre Zeit wissenschaft¬
liches Werk. Das vierte Buch handelt von tus iänz's «zvii. „Die Behand¬
lung des Leidens, sagt er, ist schwierig, aber zum Glücke hat Gott den eng¬
lischen Königen die »Gabe« verliehen. Da nicht geleugnet werden kann, daß
»Manche« geheilt hinweggehn, so haben einige es der Reise und Luftver¬
änderung, andre der Wirkung der Einbildungskraft, andre dem Tragen des
Goldes zuschreiben wollen. Dagegen spricht, daß Londoner in Whitehall
sowie Kinder und Säuglinge geheilt worden sind »durch geheime Strahlen
der Gottheit, die den Königen zu teil werden«, daß manche die Heilung trotz
Verlustes des Goldes bewahrt haben, wiewohl es auch Beispiele vom Gegen¬
teil gibt." Dagegen ist es dem Verfasser mehr als zweifelhaft, ob Leute ge¬
heilt werden können durch Gold, das andern vom Könige gegeben worden
war. Überhaupt deutet er an, daß die Kur durchaus nicht unfehlbar war.
Dem Könige wurden nur die leichtesten Fälle vorgeführt, nachdem die
schlimmsten vorher ausgeschieden waren. Und gerade in deren ärztlicher Be¬
handlung zeigt Wiseman umfassende Erfahrung, ohne daß er die königliche
Hilfe in Anspruch nahm. Bezeichnend sind die Worte, mit denen er den
Übergang zu dem wissenschaftlichen Teil des Kapitels macht: „Es ist nicht
notwendig, daß eine Krankheit, die durch ein Wunder geheilt wird, nicht auch
durch Regeln der Kunst geheilt werden könnte." Deshalb will er zur größern


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[0771] [Abbildung] Bilder aus der englischen Kulturgeschichte von Karl Feyerabend ^. Die königliche Gabe (Schluß) icht ganz klar ist auch die Stellung Richard Wisemans, eines Leibchirurgen Karls des Ersten, den man als stärksten und un¬ verdächtigsten Zeugen für die Wirksamkeit der Heilung heran¬ gezogen hat, in dessen Brust aber zwei Seelen, die des Patrioten und des Arztes, gewohnt zu haben scheinen. Die Frage, ob er wirklich daran geglaubt oder wissentlich einen Betrug gefördert hat, kann man schwer beantworten. Bedeutend in seinem Berufe, ehrlich und aufrichtig als Schriftsteller, wie er war, scheint er doch unzweideutig seinen Glauben nuszusprechen: „Ich bin selber häufig Augenzeuge von vielen hundert Kuren gewesen, die der Kunst der Ärzte gespottet hatten. Es wäre endlos zu er¬ zählen, was ich selbst gesehen habe." Seine warme Anhänglichkeit an die königliche Familie und Jugendvorurteile ließen bei ihm den Glauben gegen das nüchterne Urteil vorwiegen. Denn einzelne Stellen seiner „Chirurgischen Abhandlungen" verraten ein Bewußtsein des Widerspruchs. Diese OnirurAioal IröMsss, erst 1676 in Folio erschienen, sind ein durchaus ernsthaftes, und soweit ich als medizinischer Laie beurteilen kann, für ihre Zeit wissenschaft¬ liches Werk. Das vierte Buch handelt von tus iänz's «zvii. „Die Behand¬ lung des Leidens, sagt er, ist schwierig, aber zum Glücke hat Gott den eng¬ lischen Königen die »Gabe« verliehen. Da nicht geleugnet werden kann, daß »Manche« geheilt hinweggehn, so haben einige es der Reise und Luftver¬ änderung, andre der Wirkung der Einbildungskraft, andre dem Tragen des Goldes zuschreiben wollen. Dagegen spricht, daß Londoner in Whitehall sowie Kinder und Säuglinge geheilt worden sind »durch geheime Strahlen der Gottheit, die den Königen zu teil werden«, daß manche die Heilung trotz Verlustes des Goldes bewahrt haben, wiewohl es auch Beispiele vom Gegen¬ teil gibt." Dagegen ist es dem Verfasser mehr als zweifelhaft, ob Leute ge¬ heilt werden können durch Gold, das andern vom Könige gegeben worden war. Überhaupt deutet er an, daß die Kur durchaus nicht unfehlbar war. Dem Könige wurden nur die leichtesten Fälle vorgeführt, nachdem die schlimmsten vorher ausgeschieden waren. Und gerade in deren ärztlicher Be¬ handlung zeigt Wiseman umfassende Erfahrung, ohne daß er die königliche Hilfe in Anspruch nahm. Bezeichnend sind die Worte, mit denen er den Übergang zu dem wissenschaftlichen Teil des Kapitels macht: „Es ist nicht notwendig, daß eine Krankheit, die durch ein Wunder geheilt wird, nicht auch durch Regeln der Kunst geheilt werden könnte." Deshalb will er zur größern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/771>, abgerufen am 22.07.2024.