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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Deutsche Romane und Novellen

kann man aber in solchen Fragen den Unterschied zwischen Papisten und Pro¬
testanten erkennen. "Jene greifen in ihrer Wundersucht nach leeren Schatten,
und je weniger bei ihnen wirkliche Wunder geschehen, desto eifriger erfinden
sie welche. Diese dagegen sind bedenklich gegenüber allem, was ihnen als
wunderbar entgegentritt. Obgleich die protestantische Religion, weil fest und
sicher auf der Heiligen Schrift gegründet, zur Bekräftigung ihrer Wahrheit
keine Wunder nötig hat, mag man doch die Wunderkraft der Heilung als eine
von Gott frei gewährte Zugabe (overpws) dankbar hinnehmen."

Dem Franzosen Laurentius wirft Füller vor, sein Urteil sei durch seine
Stellung als königlicher Leibarzt in eine schiefe Richtung gelenkt worden. Die
Schmeichelei sei eine so ansteckende Krankheit, daß zuweilen sogar die besten
Doktoren der Medizin davon befallen würden. Er spreche den englischen
Fürsten die Heilung des "Übels" überhaupt ab und wolle sie mit dem Zu¬
geständnis abfinden, daß die von Gottfried Plantagenet abstammenden Könige
aus dem Hause Anjou die fallende Sucht durch geweihte Amulette geheilt
hätten, was doch längst außer Übung gekommen sei. Er selber stellt sich auf
den Standpunkt des Dr. Tooker, will also die Gabe der französischen Könige
nicht bestreiten, doch seien die englischen viel länger in deren Besitz.

Futters Zweideutigkeit zeigt sich auch in einer Anekdote, mit der er seinen
Exkurs schließt. Kurz vor dem Beginne des Bürgerkriegs wurde ein Geist¬
licher angeklagt und wäre bald in Ungelegenheiten gekommen wegen einer
Stelle in einer Predigt, daß die Bedrückung das eigentliche Königsübel sei
(elne, oppreLÄoQ ddo Kind's von); aber zur Verantwortung gezogen,
deutete er seine eignen Worte dahin, daß die Bedrückung nicht ein vom König
verschuldetes Übel, sondern eins sei, das nur er allein in diesem Lande
heilen könne. ^ - r^ (Schluß folgt)




Deutsche Romane und Novellen

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^5MS).
S^MMit augenfälliger Deutlichkeit heben sich die Österreicher von der
allgemeinen deutschen Nationalliteratur ab. Mögen sie unter
sich wieder so verschieden sein wie nnr möglich -- sie haben
doch alle etwas Gemeinsames, das sie stärker verbindet als die
Kinder irgend einer andern deutschen Landschaft. Vielleicht liegt
es wirklich daran, daß jedem Österreicher nach einem hübschen Worte Hermann
Bahrs noch der Spanier im Blute steckt. Vielleicht ist auch die hier besonders
enge Berührung mit den Slawen und Magyaren an dieser Besonderheit
schuld. Bei manchen deutschen Kritikern ist es leider Mode geworden, diesen
österreichischen Einschlag zu schelten -- sehr mit Unrecht. Denn ihn missen
wollen, hieße auf einen Teil des Farbenreichtums verzichten, der gerade den
Stolz der deutschen Kunst ausmacht.

Ein Österreicher war auch der jüngst verstorbne Karl Emil Franzos. Er


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kann man aber in solchen Fragen den Unterschied zwischen Papisten und Pro¬
testanten erkennen. „Jene greifen in ihrer Wundersucht nach leeren Schatten,
und je weniger bei ihnen wirkliche Wunder geschehen, desto eifriger erfinden
sie welche. Diese dagegen sind bedenklich gegenüber allem, was ihnen als
wunderbar entgegentritt. Obgleich die protestantische Religion, weil fest und
sicher auf der Heiligen Schrift gegründet, zur Bekräftigung ihrer Wahrheit
keine Wunder nötig hat, mag man doch die Wunderkraft der Heilung als eine
von Gott frei gewährte Zugabe (overpws) dankbar hinnehmen."

Dem Franzosen Laurentius wirft Füller vor, sein Urteil sei durch seine
Stellung als königlicher Leibarzt in eine schiefe Richtung gelenkt worden. Die
Schmeichelei sei eine so ansteckende Krankheit, daß zuweilen sogar die besten
Doktoren der Medizin davon befallen würden. Er spreche den englischen
Fürsten die Heilung des „Übels" überhaupt ab und wolle sie mit dem Zu¬
geständnis abfinden, daß die von Gottfried Plantagenet abstammenden Könige
aus dem Hause Anjou die fallende Sucht durch geweihte Amulette geheilt
hätten, was doch längst außer Übung gekommen sei. Er selber stellt sich auf
den Standpunkt des Dr. Tooker, will also die Gabe der französischen Könige
nicht bestreiten, doch seien die englischen viel länger in deren Besitz.

Futters Zweideutigkeit zeigt sich auch in einer Anekdote, mit der er seinen
Exkurs schließt. Kurz vor dem Beginne des Bürgerkriegs wurde ein Geist¬
licher angeklagt und wäre bald in Ungelegenheiten gekommen wegen einer
Stelle in einer Predigt, daß die Bedrückung das eigentliche Königsübel sei
(elne, oppreLÄoQ ddo Kind's von); aber zur Verantwortung gezogen,
deutete er seine eignen Worte dahin, daß die Bedrückung nicht ein vom König
verschuldetes Übel, sondern eins sei, das nur er allein in diesem Lande
heilen könne. ^ - r^ (Schluß folgt)




Deutsche Romane und Novellen

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^5MS).
S^MMit augenfälliger Deutlichkeit heben sich die Österreicher von der
allgemeinen deutschen Nationalliteratur ab. Mögen sie unter
sich wieder so verschieden sein wie nnr möglich — sie haben
doch alle etwas Gemeinsames, das sie stärker verbindet als die
Kinder irgend einer andern deutschen Landschaft. Vielleicht liegt
es wirklich daran, daß jedem Österreicher nach einem hübschen Worte Hermann
Bahrs noch der Spanier im Blute steckt. Vielleicht ist auch die hier besonders
enge Berührung mit den Slawen und Magyaren an dieser Besonderheit
schuld. Bei manchen deutschen Kritikern ist es leider Mode geworden, diesen
österreichischen Einschlag zu schelten — sehr mit Unrecht. Denn ihn missen
wollen, hieße auf einen Teil des Farbenreichtums verzichten, der gerade den
Stolz der deutschen Kunst ausmacht.

Ein Österreicher war auch der jüngst verstorbne Karl Emil Franzos. Er


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[0722] Deutsche Romane und Novellen kann man aber in solchen Fragen den Unterschied zwischen Papisten und Pro¬ testanten erkennen. „Jene greifen in ihrer Wundersucht nach leeren Schatten, und je weniger bei ihnen wirkliche Wunder geschehen, desto eifriger erfinden sie welche. Diese dagegen sind bedenklich gegenüber allem, was ihnen als wunderbar entgegentritt. Obgleich die protestantische Religion, weil fest und sicher auf der Heiligen Schrift gegründet, zur Bekräftigung ihrer Wahrheit keine Wunder nötig hat, mag man doch die Wunderkraft der Heilung als eine von Gott frei gewährte Zugabe (overpws) dankbar hinnehmen." Dem Franzosen Laurentius wirft Füller vor, sein Urteil sei durch seine Stellung als königlicher Leibarzt in eine schiefe Richtung gelenkt worden. Die Schmeichelei sei eine so ansteckende Krankheit, daß zuweilen sogar die besten Doktoren der Medizin davon befallen würden. Er spreche den englischen Fürsten die Heilung des „Übels" überhaupt ab und wolle sie mit dem Zu¬ geständnis abfinden, daß die von Gottfried Plantagenet abstammenden Könige aus dem Hause Anjou die fallende Sucht durch geweihte Amulette geheilt hätten, was doch längst außer Übung gekommen sei. Er selber stellt sich auf den Standpunkt des Dr. Tooker, will also die Gabe der französischen Könige nicht bestreiten, doch seien die englischen viel länger in deren Besitz. Futters Zweideutigkeit zeigt sich auch in einer Anekdote, mit der er seinen Exkurs schließt. Kurz vor dem Beginne des Bürgerkriegs wurde ein Geist¬ licher angeklagt und wäre bald in Ungelegenheiten gekommen wegen einer Stelle in einer Predigt, daß die Bedrückung das eigentliche Königsübel sei (elne, oppreLÄoQ ddo Kind's von); aber zur Verantwortung gezogen, deutete er seine eignen Worte dahin, daß die Bedrückung nicht ein vom König verschuldetes Übel, sondern eins sei, das nur er allein in diesem Lande heilen könne. ^ - r^ (Schluß folgt) Deutsche Romane und Novellen i^^X^ ^5MS). S^MMit augenfälliger Deutlichkeit heben sich die Österreicher von der allgemeinen deutschen Nationalliteratur ab. Mögen sie unter sich wieder so verschieden sein wie nnr möglich — sie haben doch alle etwas Gemeinsames, das sie stärker verbindet als die Kinder irgend einer andern deutschen Landschaft. Vielleicht liegt es wirklich daran, daß jedem Österreicher nach einem hübschen Worte Hermann Bahrs noch der Spanier im Blute steckt. Vielleicht ist auch die hier besonders enge Berührung mit den Slawen und Magyaren an dieser Besonderheit schuld. Bei manchen deutschen Kritikern ist es leider Mode geworden, diesen österreichischen Einschlag zu schelten — sehr mit Unrecht. Denn ihn missen wollen, hieße auf einen Teil des Farbenreichtums verzichten, der gerade den Stolz der deutschen Kunst ausmacht. Ein Österreicher war auch der jüngst verstorbne Karl Emil Franzos. Er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/722>, abgerufen am 29.06.2024.