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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Über die Nebenwirkungen der großen sozialen Gesetze

selbständiger Tätigkeit gewirkt but, und Deutschland wird immer von den andern
Nationen beneidet werden dürfen, solange an der Spitze unsrer Heere Generale
wie Graf Alfred Waldersee stehn. Auch sein Lebensgang ist ja, so wenig wie
irgend ein andrer, frei von Irrtümern gewesen, aber das viele und helle Licht
seines Lebens drängt die einzelnen Schatten weit in den Hintergrund zurück.
Je reicher er an Ehren wurde, desto demutsvoller ist sein Sinn geworden, und
wenn es bei ihm auch vielleicht eine kurze Zeit des politischen Ehrgeizes gegeben
hat, wie bei andern hochbefähigten Generalen auch -- seine reichen Gaben
hätten ihn vielleicht berechtigt, nach dem höchsten Amt zu trachten; die Ernennung
des Generals von Caprivi zum Reichskanzler mag er als eine Art Zurücksetzung
empfunden haben. Aber im übrigen klingt die soeben durch die Presse gehende
Äußerung durchaus glaubhaft, die er im Jahre 1889 zu dem Reichstagsabge-
ordneten Bürgermeister Fischer in Augsburg auf dessen Befragen getan haben
soll: "Wer einmal Nachfolger des toten Bismarck wird, ist schon nicht zu be¬
neiden; aber Nachfolger des lebendigen Bismarck werden zu wollen, für so
dumm werden Sie mich nicht halten." Sein wirkliches Streben ist doch mir
immer das gewesen, als Soldat das Höchste zu leisten und für die Armee die
denkbarste Leistungsfähigkeit zu erreichen. Dem engern Kreise der Seinen und
den ihm nahestehenden Freunden ist er mit einer in guten und bösen Tagen voll¬
bewährten und erprobten Treue immer derselbe geblieben. Auch dieser Charakter¬
zug fügt sich ebenso wie sein edler, im stillen reich betätigter Wohltätigkeitssinn
harmonisch diesem seltnen und glücklichen Lebensbilde ein.




Über die Nebenwirkungen der großen sozialen Gesetze
von Lhrenfried Lramer

n der letzten Zeit ging durch viele Zeitungen die Nachricht, daß der
millionste Rentner auf Grund des Jnvalidenversicherungsgesetzes
geschaffen worden sei, und je nach ihrer Farbe knüpften sie mehr
oder weniger freudig bewegte Erörterungen an die Erreichung
dieser Wegmarke auf dem von Deutschland der übrigen Kultur¬
welt voran beschrittnen Pfade des Versuchs zur Ausgleichung der sozialen
Gegensätze. Wenn auch ab und zu der Ärger über nicht genügende Anerkennung
der Wohltaten dieser Gesetze, die sowohl Industrie als auch Landwirtschaft un¬
zweifelhaft stark belasten, bei den Versicherten, oder die Überzeugung einzelner,
daß diese Lasten zu schwer seien, den Wunsch nach Stillstand auf diesem Wege
laut werden läßt, so braucht man doch diesen vereinzelten Stimmen bei aller
Anerkennung ihrer individuellen Gründe nicht ein zu großes Gewicht beizulegen
und kann die Überzeugung aussprechen, in den Kreisen des deutschen Bürgertums
habe der Gedanke an das Bestehen und die Notwendigkeit der Weiterentwicklung
der sozialen Gesetzgebung so feste Wurzeln geschlagen, daß an einen Stillstand
oder gar einen Rückschritt wohl ernstlich niemand mehr denkt.

Es kann deshalb jetzt wohl nicht mehr schaden, wenn einem an der Hand


Über die Nebenwirkungen der großen sozialen Gesetze

selbständiger Tätigkeit gewirkt but, und Deutschland wird immer von den andern
Nationen beneidet werden dürfen, solange an der Spitze unsrer Heere Generale
wie Graf Alfred Waldersee stehn. Auch sein Lebensgang ist ja, so wenig wie
irgend ein andrer, frei von Irrtümern gewesen, aber das viele und helle Licht
seines Lebens drängt die einzelnen Schatten weit in den Hintergrund zurück.
Je reicher er an Ehren wurde, desto demutsvoller ist sein Sinn geworden, und
wenn es bei ihm auch vielleicht eine kurze Zeit des politischen Ehrgeizes gegeben
hat, wie bei andern hochbefähigten Generalen auch — seine reichen Gaben
hätten ihn vielleicht berechtigt, nach dem höchsten Amt zu trachten; die Ernennung
des Generals von Caprivi zum Reichskanzler mag er als eine Art Zurücksetzung
empfunden haben. Aber im übrigen klingt die soeben durch die Presse gehende
Äußerung durchaus glaubhaft, die er im Jahre 1889 zu dem Reichstagsabge-
ordneten Bürgermeister Fischer in Augsburg auf dessen Befragen getan haben
soll: „Wer einmal Nachfolger des toten Bismarck wird, ist schon nicht zu be¬
neiden; aber Nachfolger des lebendigen Bismarck werden zu wollen, für so
dumm werden Sie mich nicht halten." Sein wirkliches Streben ist doch mir
immer das gewesen, als Soldat das Höchste zu leisten und für die Armee die
denkbarste Leistungsfähigkeit zu erreichen. Dem engern Kreise der Seinen und
den ihm nahestehenden Freunden ist er mit einer in guten und bösen Tagen voll¬
bewährten und erprobten Treue immer derselbe geblieben. Auch dieser Charakter¬
zug fügt sich ebenso wie sein edler, im stillen reich betätigter Wohltätigkeitssinn
harmonisch diesem seltnen und glücklichen Lebensbilde ein.




Über die Nebenwirkungen der großen sozialen Gesetze
von Lhrenfried Lramer

n der letzten Zeit ging durch viele Zeitungen die Nachricht, daß der
millionste Rentner auf Grund des Jnvalidenversicherungsgesetzes
geschaffen worden sei, und je nach ihrer Farbe knüpften sie mehr
oder weniger freudig bewegte Erörterungen an die Erreichung
dieser Wegmarke auf dem von Deutschland der übrigen Kultur¬
welt voran beschrittnen Pfade des Versuchs zur Ausgleichung der sozialen
Gegensätze. Wenn auch ab und zu der Ärger über nicht genügende Anerkennung
der Wohltaten dieser Gesetze, die sowohl Industrie als auch Landwirtschaft un¬
zweifelhaft stark belasten, bei den Versicherten, oder die Überzeugung einzelner,
daß diese Lasten zu schwer seien, den Wunsch nach Stillstand auf diesem Wege
laut werden läßt, so braucht man doch diesen vereinzelten Stimmen bei aller
Anerkennung ihrer individuellen Gründe nicht ein zu großes Gewicht beizulegen
und kann die Überzeugung aussprechen, in den Kreisen des deutschen Bürgertums
habe der Gedanke an das Bestehen und die Notwendigkeit der Weiterentwicklung
der sozialen Gesetzgebung so feste Wurzeln geschlagen, daß an einen Stillstand
oder gar einen Rückschritt wohl ernstlich niemand mehr denkt.

Es kann deshalb jetzt wohl nicht mehr schaden, wenn einem an der Hand


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[0637] Über die Nebenwirkungen der großen sozialen Gesetze selbständiger Tätigkeit gewirkt but, und Deutschland wird immer von den andern Nationen beneidet werden dürfen, solange an der Spitze unsrer Heere Generale wie Graf Alfred Waldersee stehn. Auch sein Lebensgang ist ja, so wenig wie irgend ein andrer, frei von Irrtümern gewesen, aber das viele und helle Licht seines Lebens drängt die einzelnen Schatten weit in den Hintergrund zurück. Je reicher er an Ehren wurde, desto demutsvoller ist sein Sinn geworden, und wenn es bei ihm auch vielleicht eine kurze Zeit des politischen Ehrgeizes gegeben hat, wie bei andern hochbefähigten Generalen auch — seine reichen Gaben hätten ihn vielleicht berechtigt, nach dem höchsten Amt zu trachten; die Ernennung des Generals von Caprivi zum Reichskanzler mag er als eine Art Zurücksetzung empfunden haben. Aber im übrigen klingt die soeben durch die Presse gehende Äußerung durchaus glaubhaft, die er im Jahre 1889 zu dem Reichstagsabge- ordneten Bürgermeister Fischer in Augsburg auf dessen Befragen getan haben soll: „Wer einmal Nachfolger des toten Bismarck wird, ist schon nicht zu be¬ neiden; aber Nachfolger des lebendigen Bismarck werden zu wollen, für so dumm werden Sie mich nicht halten." Sein wirkliches Streben ist doch mir immer das gewesen, als Soldat das Höchste zu leisten und für die Armee die denkbarste Leistungsfähigkeit zu erreichen. Dem engern Kreise der Seinen und den ihm nahestehenden Freunden ist er mit einer in guten und bösen Tagen voll¬ bewährten und erprobten Treue immer derselbe geblieben. Auch dieser Charakter¬ zug fügt sich ebenso wie sein edler, im stillen reich betätigter Wohltätigkeitssinn harmonisch diesem seltnen und glücklichen Lebensbilde ein. Über die Nebenwirkungen der großen sozialen Gesetze von Lhrenfried Lramer n der letzten Zeit ging durch viele Zeitungen die Nachricht, daß der millionste Rentner auf Grund des Jnvalidenversicherungsgesetzes geschaffen worden sei, und je nach ihrer Farbe knüpften sie mehr oder weniger freudig bewegte Erörterungen an die Erreichung dieser Wegmarke auf dem von Deutschland der übrigen Kultur¬ welt voran beschrittnen Pfade des Versuchs zur Ausgleichung der sozialen Gegensätze. Wenn auch ab und zu der Ärger über nicht genügende Anerkennung der Wohltaten dieser Gesetze, die sowohl Industrie als auch Landwirtschaft un¬ zweifelhaft stark belasten, bei den Versicherten, oder die Überzeugung einzelner, daß diese Lasten zu schwer seien, den Wunsch nach Stillstand auf diesem Wege laut werden läßt, so braucht man doch diesen vereinzelten Stimmen bei aller Anerkennung ihrer individuellen Gründe nicht ein zu großes Gewicht beizulegen und kann die Überzeugung aussprechen, in den Kreisen des deutschen Bürgertums habe der Gedanke an das Bestehen und die Notwendigkeit der Weiterentwicklung der sozialen Gesetzgebung so feste Wurzeln geschlagen, daß an einen Stillstand oder gar einen Rückschritt wohl ernstlich niemand mehr denkt. Es kann deshalb jetzt wohl nicht mehr schaden, wenn einem an der Hand

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/637>, abgerufen am 29.06.2024.