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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Henry Thodes Michelangelo und das Ende der Renaissance

heit des Generals Dumouriez in Ettenheim als irrig herausgestellt hatte und
Massias, der französische Geschäftsträger am kurbadischen Hofe, für die Harm¬
losigkeit des Herzogs eingetreten war. In einem freilich erst nach Enghiens
Tode geschriebnen Briefe an Talleyrand vom 2. Zörraingl an XII (23. März
1804) schilderte Massias den Herzog als un ro^^ufte xlvin 6" lo^aues,
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xour l'intriguö, snnsmi as toute IKonetö, aonorrant 163 as8g.ssins. (Boulay,
a. a. O., ?love8 Mtiliog-tivss, S. 319.)

(Schluß folgt)




Henry Thodes Michelangelo
und das Lüde der Renaissance

ichelangelo ist der Mittelpunkt und der Gipfel der Renaissance. Er
wurzelt noch in der Frühreuciissance, seine besten Mannesjahre
fallen in die glänzendste Medieeerzeit; er selber bildet den Über¬
gang zum Barockstil und leitet diesen mit den Mediceergrübern
ein, deren Genialität von keinem andern erreicht worden ist,
während die Auflösung des Giebeldaches, auf dessen Hülsten Figuren liegen,
bald überall nachgeahmt wurde. Michelangelo wurde an Lebensalter von
seinem Zeitgenossen Tizian noch weit übertroffen, doch umfaßt er mit seinen
neunundachtzig Jahren nicht nur selbst beinahe drei Menschenalter, sondern er
steht an geistiger Tiefe nicht nur weit über dem farbenfreudigen Venezianer,
sondern auch über allen Künstlern und Dichtern seines Zeitalters. Ja was
die Welt der Kunst und der Dichtung anbelangt, so wird es schwer sein, zwischen
Sophokles und Shakespeare eine einzige Person von derselben Hoheit der Seele
und derselben Schöpferkraft des Geistes zu nennen mit Ausnahme Dantes, der
aber doch weit mehr seiner Zeit, dem Mittelalter, gelebt hat und von dem
heutigen Geschlecht mehr vom historischen Standpunkt aus betrachtet wird. Wir
nennen Michelangelo in einem solchen Zusammenhange mit der Kunst und der
Dichtung natürlich nicht, weil wir ihn als Dichter neben Sophokles, Dante und
Shakespeare zu stellen gedächten; nur sein Rang war derselbe, sein Wirkungs¬
feld ein andres.

Sein langes Leben, seine unvergleichlichen Werke, sein Seelenadel, die
Höhe seines philosophischen Geistes, sein Einfluß, der noch heute tief empfunden
wird, haben den Schöpfer des Moses zu einem bevorzugten Gegenstand für
Biographen und Kunstgelehrte gemacht. Hermen Grimm schrieb seinen Michel¬
angelo und gab damit die ganze Geschichte seiner Zeit. Forscher haben sich
"ber alle Einzelheiten seines Lebens hergemacht und wissenschaftlich die objektive
Wahrheit ermittelt. Und glücklicherweise ist uns an Briefen, Schriftstücken und


Henry Thodes Michelangelo und das Ende der Renaissance

heit des Generals Dumouriez in Ettenheim als irrig herausgestellt hatte und
Massias, der französische Geschäftsträger am kurbadischen Hofe, für die Harm¬
losigkeit des Herzogs eingetreten war. In einem freilich erst nach Enghiens
Tode geschriebnen Briefe an Talleyrand vom 2. Zörraingl an XII (23. März
1804) schilderte Massias den Herzog als un ro^^ufte xlvin 6« lo^aues,
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a. a. O., ?love8 Mtiliog-tivss, S. 319.)

(Schluß folgt)




Henry Thodes Michelangelo
und das Lüde der Renaissance

ichelangelo ist der Mittelpunkt und der Gipfel der Renaissance. Er
wurzelt noch in der Frühreuciissance, seine besten Mannesjahre
fallen in die glänzendste Medieeerzeit; er selber bildet den Über¬
gang zum Barockstil und leitet diesen mit den Mediceergrübern
ein, deren Genialität von keinem andern erreicht worden ist,
während die Auflösung des Giebeldaches, auf dessen Hülsten Figuren liegen,
bald überall nachgeahmt wurde. Michelangelo wurde an Lebensalter von
seinem Zeitgenossen Tizian noch weit übertroffen, doch umfaßt er mit seinen
neunundachtzig Jahren nicht nur selbst beinahe drei Menschenalter, sondern er
steht an geistiger Tiefe nicht nur weit über dem farbenfreudigen Venezianer,
sondern auch über allen Künstlern und Dichtern seines Zeitalters. Ja was
die Welt der Kunst und der Dichtung anbelangt, so wird es schwer sein, zwischen
Sophokles und Shakespeare eine einzige Person von derselben Hoheit der Seele
und derselben Schöpferkraft des Geistes zu nennen mit Ausnahme Dantes, der
aber doch weit mehr seiner Zeit, dem Mittelalter, gelebt hat und von dem
heutigen Geschlecht mehr vom historischen Standpunkt aus betrachtet wird. Wir
nennen Michelangelo in einem solchen Zusammenhange mit der Kunst und der
Dichtung natürlich nicht, weil wir ihn als Dichter neben Sophokles, Dante und
Shakespeare zu stellen gedächten; nur sein Rang war derselbe, sein Wirkungs¬
feld ein andres.

Sein langes Leben, seine unvergleichlichen Werke, sein Seelenadel, die
Höhe seines philosophischen Geistes, sein Einfluß, der noch heute tief empfunden
wird, haben den Schöpfer des Moses zu einem bevorzugten Gegenstand für
Biographen und Kunstgelehrte gemacht. Hermen Grimm schrieb seinen Michel¬
angelo und gab damit die ganze Geschichte seiner Zeit. Forscher haben sich
»ber alle Einzelheiten seines Lebens hergemacht und wissenschaftlich die objektive
Wahrheit ermittelt. Und glücklicherweise ist uns an Briefen, Schriftstücken und


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[0601] Henry Thodes Michelangelo und das Ende der Renaissance heit des Generals Dumouriez in Ettenheim als irrig herausgestellt hatte und Massias, der französische Geschäftsträger am kurbadischen Hofe, für die Harm¬ losigkeit des Herzogs eingetreten war. In einem freilich erst nach Enghiens Tode geschriebnen Briefe an Talleyrand vom 2. Zörraingl an XII (23. März 1804) schilderte Massias den Herzog als un ro^^ufte xlvin 6« lo^aues, IiÄi88g.ut humilis ü'en reoevoir une xsnsion, <z«zonorai8^ut pour xouvoir s'su xasser, vivant, a IZttenbsira avse 1a xlus ^ranäk 8iinxlioit6, kÄSWt ü, ach in^lneureux clss lArMssss eonlormss Z. Situation, xsu kalt xour l'intriguö, snnsmi as toute IKonetö, aonorrant 163 as8g.ssins. (Boulay, a. a. O., ?love8 Mtiliog-tivss, S. 319.) (Schluß folgt) Henry Thodes Michelangelo und das Lüde der Renaissance ichelangelo ist der Mittelpunkt und der Gipfel der Renaissance. Er wurzelt noch in der Frühreuciissance, seine besten Mannesjahre fallen in die glänzendste Medieeerzeit; er selber bildet den Über¬ gang zum Barockstil und leitet diesen mit den Mediceergrübern ein, deren Genialität von keinem andern erreicht worden ist, während die Auflösung des Giebeldaches, auf dessen Hülsten Figuren liegen, bald überall nachgeahmt wurde. Michelangelo wurde an Lebensalter von seinem Zeitgenossen Tizian noch weit übertroffen, doch umfaßt er mit seinen neunundachtzig Jahren nicht nur selbst beinahe drei Menschenalter, sondern er steht an geistiger Tiefe nicht nur weit über dem farbenfreudigen Venezianer, sondern auch über allen Künstlern und Dichtern seines Zeitalters. Ja was die Welt der Kunst und der Dichtung anbelangt, so wird es schwer sein, zwischen Sophokles und Shakespeare eine einzige Person von derselben Hoheit der Seele und derselben Schöpferkraft des Geistes zu nennen mit Ausnahme Dantes, der aber doch weit mehr seiner Zeit, dem Mittelalter, gelebt hat und von dem heutigen Geschlecht mehr vom historischen Standpunkt aus betrachtet wird. Wir nennen Michelangelo in einem solchen Zusammenhange mit der Kunst und der Dichtung natürlich nicht, weil wir ihn als Dichter neben Sophokles, Dante und Shakespeare zu stellen gedächten; nur sein Rang war derselbe, sein Wirkungs¬ feld ein andres. Sein langes Leben, seine unvergleichlichen Werke, sein Seelenadel, die Höhe seines philosophischen Geistes, sein Einfluß, der noch heute tief empfunden wird, haben den Schöpfer des Moses zu einem bevorzugten Gegenstand für Biographen und Kunstgelehrte gemacht. Hermen Grimm schrieb seinen Michel¬ angelo und gab damit die ganze Geschichte seiner Zeit. Forscher haben sich »ber alle Einzelheiten seines Lebens hergemacht und wissenschaftlich die objektive Wahrheit ermittelt. Und glücklicherweise ist uns an Briefen, Schriftstücken und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/601>, abgerufen am 29.06.2024.