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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Was lehren uns die Überschwemmungen des vorigen
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Sommers?

le Überschwemmungen an der Oder Ende Juli vorigen Jahres
haben wieder einmal Anlaß gegeben, daß man sich mit wasser¬
wirtschaftlichen Fragen und mit Deichfragen beschäftigt. Der Ver¬
fasser dieses Artikels hat sich seit seiner Jugend dem Wasserrecht
> gewidmet, insbesondre sind ihm die Verhältnisse an der mittlern
Oder und deren Deichwesen von Jugend auf bekannt; es sei ihm deshalb erlaubt,
durch diesen Aufsatz das Interesse für die Verbesserung der Deichverhältnisfe an
unsern Flüssen wach zu erhalten.

Es fragt sich zunächst, ob nicht dadurch, daß regelmäßig Notstandsgelder
nach jeder Überschwemmung gewährt werden, der Notstand schließlich zu einem
dauernden gemacht wird, und ob es nicht richtiger ist, allmählich in andrer
Weise dahin zu wirken, daß ein Notstand nicht mehr eintreten, d. h. eine Über¬
schwemmung nicht mehr schädlich wirken kaun. Als im Hochsommer 1854 die
größte bis dahin gekannte Überschwemmung an der Oder eintrat -- der Wasser¬
stand im vorigen Jahre hat allerdings den von 1854 sogar in etwas über¬
holt --, wollte man damals, um die Gefahren der Überschwemmungen zu be¬
seitigen, eine einheitliche Deichbauart an der Oder schaffen; das hat man
durch die Gründung von Deichverbänden und durch die Errichtung eines Längs¬
deiches getan. Vorher hatten sich nämlich die einzelnen Dörfer meist allein
einen Damm gezogen, teils als Ringdamm um das einzelne Dorf, teils halbkreis¬
artig die Enden mit einer Anhöhe verbunden. So wurden einzelne Niederungen
durch einen Damm geschützt, andre uneingedeicht gelassen. Jedenfalls waren
die damals bestehenden Deiche unter sich nicht zu einem einheitlichen Bau ver¬
bunden. Es herrschte vielmehr damals der sogenannte Potter- oder Ringdamm¬
bau vor. Aber diese Deiche hatten den Vorzug, daß sie meist nur die höher
liegenden Gebiete durch einen Damm eingedeicht hatten und die tiefer liegenden
einfach überschwemmen ließen. Es wuchs deshalb in der Oderniederung genügend
Gras, und Viehwirtschaft und Milchwirtschaft konnten betrieben werden.

Bei der Eindeichung von 1854 verließ man die anscheinend systemlose, auf
Zufälligkeiten beruhende Polderanlage, weil man sie nicht für richtig hielt, und
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Gnzboten I 1904 K5


Was lehren uns die Überschwemmungen des vorigen
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Sommers?

le Überschwemmungen an der Oder Ende Juli vorigen Jahres
haben wieder einmal Anlaß gegeben, daß man sich mit wasser¬
wirtschaftlichen Fragen und mit Deichfragen beschäftigt. Der Ver¬
fasser dieses Artikels hat sich seit seiner Jugend dem Wasserrecht
> gewidmet, insbesondre sind ihm die Verhältnisse an der mittlern
Oder und deren Deichwesen von Jugend auf bekannt; es sei ihm deshalb erlaubt,
durch diesen Aufsatz das Interesse für die Verbesserung der Deichverhältnisfe an
unsern Flüssen wach zu erhalten.

Es fragt sich zunächst, ob nicht dadurch, daß regelmäßig Notstandsgelder
nach jeder Überschwemmung gewährt werden, der Notstand schließlich zu einem
dauernden gemacht wird, und ob es nicht richtiger ist, allmählich in andrer
Weise dahin zu wirken, daß ein Notstand nicht mehr eintreten, d. h. eine Über¬
schwemmung nicht mehr schädlich wirken kaun. Als im Hochsommer 1854 die
größte bis dahin gekannte Überschwemmung an der Oder eintrat — der Wasser¬
stand im vorigen Jahre hat allerdings den von 1854 sogar in etwas über¬
holt —, wollte man damals, um die Gefahren der Überschwemmungen zu be¬
seitigen, eine einheitliche Deichbauart an der Oder schaffen; das hat man
durch die Gründung von Deichverbänden und durch die Errichtung eines Längs¬
deiches getan. Vorher hatten sich nämlich die einzelnen Dörfer meist allein
einen Damm gezogen, teils als Ringdamm um das einzelne Dorf, teils halbkreis¬
artig die Enden mit einer Anhöhe verbunden. So wurden einzelne Niederungen
durch einen Damm geschützt, andre uneingedeicht gelassen. Jedenfalls waren
die damals bestehenden Deiche unter sich nicht zu einem einheitlichen Bau ver¬
bunden. Es herrschte vielmehr damals der sogenannte Potter- oder Ringdamm¬
bau vor. Aber diese Deiche hatten den Vorzug, daß sie meist nur die höher
liegenden Gebiete durch einen Damm eingedeicht hatten und die tiefer liegenden
einfach überschwemmen ließen. Es wuchs deshalb in der Oderniederung genügend
Gras, und Viehwirtschaft und Milchwirtschaft konnten betrieben werden.

Bei der Eindeichung von 1854 verließ man die anscheinend systemlose, auf
Zufälligkeiten beruhende Polderanlage, weil man sie nicht für richtig hielt, und
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Gnzboten I 1904 K5
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[0505] [Abbildung] Was lehren uns die Überschwemmungen des vorigen - Sommers? le Überschwemmungen an der Oder Ende Juli vorigen Jahres haben wieder einmal Anlaß gegeben, daß man sich mit wasser¬ wirtschaftlichen Fragen und mit Deichfragen beschäftigt. Der Ver¬ fasser dieses Artikels hat sich seit seiner Jugend dem Wasserrecht > gewidmet, insbesondre sind ihm die Verhältnisse an der mittlern Oder und deren Deichwesen von Jugend auf bekannt; es sei ihm deshalb erlaubt, durch diesen Aufsatz das Interesse für die Verbesserung der Deichverhältnisfe an unsern Flüssen wach zu erhalten. Es fragt sich zunächst, ob nicht dadurch, daß regelmäßig Notstandsgelder nach jeder Überschwemmung gewährt werden, der Notstand schließlich zu einem dauernden gemacht wird, und ob es nicht richtiger ist, allmählich in andrer Weise dahin zu wirken, daß ein Notstand nicht mehr eintreten, d. h. eine Über¬ schwemmung nicht mehr schädlich wirken kaun. Als im Hochsommer 1854 die größte bis dahin gekannte Überschwemmung an der Oder eintrat — der Wasser¬ stand im vorigen Jahre hat allerdings den von 1854 sogar in etwas über¬ holt —, wollte man damals, um die Gefahren der Überschwemmungen zu be¬ seitigen, eine einheitliche Deichbauart an der Oder schaffen; das hat man durch die Gründung von Deichverbänden und durch die Errichtung eines Längs¬ deiches getan. Vorher hatten sich nämlich die einzelnen Dörfer meist allein einen Damm gezogen, teils als Ringdamm um das einzelne Dorf, teils halbkreis¬ artig die Enden mit einer Anhöhe verbunden. So wurden einzelne Niederungen durch einen Damm geschützt, andre uneingedeicht gelassen. Jedenfalls waren die damals bestehenden Deiche unter sich nicht zu einem einheitlichen Bau ver¬ bunden. Es herrschte vielmehr damals der sogenannte Potter- oder Ringdamm¬ bau vor. Aber diese Deiche hatten den Vorzug, daß sie meist nur die höher liegenden Gebiete durch einen Damm eingedeicht hatten und die tiefer liegenden einfach überschwemmen ließen. Es wuchs deshalb in der Oderniederung genügend Gras, und Viehwirtschaft und Milchwirtschaft konnten betrieben werden. Bei der Eindeichung von 1854 verließ man die anscheinend systemlose, auf Zufälligkeiten beruhende Polderanlage, weil man sie nicht für richtig hielt, und re Gnzboten I 1904 K5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/505>, abgerufen am 29.06.2024.