Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Held von Graudenz

feste Wille alle Deutschen und deutschfreundlichen Polen durchdringt. wird man
die allpolnische Agitation nicht los werdeu. Wenn dieser Wille vorhanden
wäre, wenn man nicht immer die eigne Untätigkeit zu beschönigen suchte, wäre
es gar nicht so weit gekommen. Leider liegt die Gefahr vor, daß die all¬
polnische Agitation Fortschritte macht, weil sie Nachwuchs zu erzengen ver¬
steht. Man ist auch schon in Preußen auf diese Verhältnisse aufmerksam ge¬
worden, und gewiß kann mau es dort nicht mit Gleichmut ansehen, wenn die
Negierung in ihrem Kampfe mit der Anmaßung des Polentums bemerken
muß, daß sich im befreundeten Nachbarland derselbe Gegner zur nationalen
Nberflügelung des Deutschtums anschickt. Besondre Gefahren für das Deutsch¬
tum wie für den Dreibund entstehn wohl daraus direkt noch nicht, aber die
ostschlesischen Deutschen konnten daraus scheu, daß ihnen in dieser Zeit ein
recht entscheidungsvoller Posten zugewiesen ist, und daß von ihrer Kraft oder
Schwäche politische Gestaltungen der Zukunft abhängen können und werden.




Der Held von Graudenz
von Walter Berg (Schluß)

in 28. Mai erhielt der Gouverneur die Nachricht von dem Falle
von Danzig. Mit diesem Zeitpunkte wurde die förmliche Be¬
lagerung begonnen. Napoleon, der seine bisherigen Bemühungen,
Graudenz in seine Hände zu bekommen, als gescheitert ansehen
mußte, ließ nnn merken, daß ihm doch viel am Besitze der Festung
^g. Er verstärkte nämlich die Belagerungstruppen um 3000 Mann und beorderte
Zu ihnen französische Jngenieurofsiziere, Genietruppen und Geschütze. General
Victor, der in preußischer Gefangenschaft gewesen, aber gegen Blücher ausge¬
wechselt worden war, übernahm den Befehl. Weitere Verstärkungen trafen am
5- Juni ein in Gestalt von fünf Bataillonen Hessen, einem Regiment Würzburg,
einem Regiment Berg und zwei Bataillonen Polen. Die Gesamtzahl der Truppen
vor der Festung belief sich also auf etwa 7000 Mann. Am Abend des 1. Juni
bewarf der Feind vom Weichselbaum aus die Festung mit Geschossen, worauf
der Gouverneur gebührend erwiderte, indem er die Stadt, das Hmiptauartier
des Generals Victor, beschoß. Am nächsten Tage lief in der Festung der
folgende Brief Victors ein:

2' Juni 1807.


^ ^ .,
Herr Gouverneur!

Wenn die Stadt Graudenz nur Soldaten in sich schlösse, so würde ich nicht
die Ehre haben, dieses Schreiben an Eure Exzellenz zu richten, aber sie wird von
Personen jedes Alters und Geschlechts bewohnt, die dem Waffenhandwerk und dem
gegenwärtigen Kriege durchaus fremd sind. Diese Erwägung bestimmt mich. Sie
Zu bitten, ihnen günstig zu sein. Ich finde -bis jetzt gar keinen Grund für die


Grenzboten I 1904 60
Der Held von Graudenz

feste Wille alle Deutschen und deutschfreundlichen Polen durchdringt. wird man
die allpolnische Agitation nicht los werdeu. Wenn dieser Wille vorhanden
wäre, wenn man nicht immer die eigne Untätigkeit zu beschönigen suchte, wäre
es gar nicht so weit gekommen. Leider liegt die Gefahr vor, daß die all¬
polnische Agitation Fortschritte macht, weil sie Nachwuchs zu erzengen ver¬
steht. Man ist auch schon in Preußen auf diese Verhältnisse aufmerksam ge¬
worden, und gewiß kann mau es dort nicht mit Gleichmut ansehen, wenn die
Negierung in ihrem Kampfe mit der Anmaßung des Polentums bemerken
muß, daß sich im befreundeten Nachbarland derselbe Gegner zur nationalen
Nberflügelung des Deutschtums anschickt. Besondre Gefahren für das Deutsch¬
tum wie für den Dreibund entstehn wohl daraus direkt noch nicht, aber die
ostschlesischen Deutschen konnten daraus scheu, daß ihnen in dieser Zeit ein
recht entscheidungsvoller Posten zugewiesen ist, und daß von ihrer Kraft oder
Schwäche politische Gestaltungen der Zukunft abhängen können und werden.




Der Held von Graudenz
von Walter Berg (Schluß)

in 28. Mai erhielt der Gouverneur die Nachricht von dem Falle
von Danzig. Mit diesem Zeitpunkte wurde die förmliche Be¬
lagerung begonnen. Napoleon, der seine bisherigen Bemühungen,
Graudenz in seine Hände zu bekommen, als gescheitert ansehen
mußte, ließ nnn merken, daß ihm doch viel am Besitze der Festung
^g. Er verstärkte nämlich die Belagerungstruppen um 3000 Mann und beorderte
Zu ihnen französische Jngenieurofsiziere, Genietruppen und Geschütze. General
Victor, der in preußischer Gefangenschaft gewesen, aber gegen Blücher ausge¬
wechselt worden war, übernahm den Befehl. Weitere Verstärkungen trafen am
5- Juni ein in Gestalt von fünf Bataillonen Hessen, einem Regiment Würzburg,
einem Regiment Berg und zwei Bataillonen Polen. Die Gesamtzahl der Truppen
vor der Festung belief sich also auf etwa 7000 Mann. Am Abend des 1. Juni
bewarf der Feind vom Weichselbaum aus die Festung mit Geschossen, worauf
der Gouverneur gebührend erwiderte, indem er die Stadt, das Hmiptauartier
des Generals Victor, beschoß. Am nächsten Tage lief in der Festung der
folgende Brief Victors ein:

2' Juni 1807.


^ ^ .,
Herr Gouverneur!

Wenn die Stadt Graudenz nur Soldaten in sich schlösse, so würde ich nicht
die Ehre haben, dieses Schreiben an Eure Exzellenz zu richten, aber sie wird von
Personen jedes Alters und Geschlechts bewohnt, die dem Waffenhandwerk und dem
gegenwärtigen Kriege durchaus fremd sind. Diese Erwägung bestimmt mich. Sie
Zu bitten, ihnen günstig zu sein. Ich finde -bis jetzt gar keinen Grund für die


Grenzboten I 1904 60
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0469" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293266"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Held von Graudenz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2546" prev="#ID_2545"> feste Wille alle Deutschen und deutschfreundlichen Polen durchdringt. wird man<lb/>
die allpolnische Agitation nicht los werdeu. Wenn dieser Wille vorhanden<lb/>
wäre, wenn man nicht immer die eigne Untätigkeit zu beschönigen suchte, wäre<lb/>
es gar nicht so weit gekommen. Leider liegt die Gefahr vor, daß die all¬<lb/>
polnische Agitation Fortschritte macht, weil sie Nachwuchs zu erzengen ver¬<lb/>
steht. Man ist auch schon in Preußen auf diese Verhältnisse aufmerksam ge¬<lb/>
worden, und gewiß kann mau es dort nicht mit Gleichmut ansehen, wenn die<lb/>
Negierung in ihrem Kampfe mit der Anmaßung des Polentums bemerken<lb/>
muß, daß sich im befreundeten Nachbarland derselbe Gegner zur nationalen<lb/>
Nberflügelung des Deutschtums anschickt. Besondre Gefahren für das Deutsch¬<lb/>
tum wie für den Dreibund entstehn wohl daraus direkt noch nicht, aber die<lb/>
ostschlesischen Deutschen konnten daraus scheu, daß ihnen in dieser Zeit ein<lb/>
recht entscheidungsvoller Posten zugewiesen ist, und daß von ihrer Kraft oder<lb/>
Schwäche politische Gestaltungen der Zukunft abhängen können und werden.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Held von Graudenz<lb/><note type="byline"> von Walter Berg</note> (Schluß)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2547"> in 28. Mai erhielt der Gouverneur die Nachricht von dem Falle<lb/>
von Danzig. Mit diesem Zeitpunkte wurde die förmliche Be¬<lb/>
lagerung begonnen. Napoleon, der seine bisherigen Bemühungen,<lb/>
Graudenz in seine Hände zu bekommen, als gescheitert ansehen<lb/>
mußte, ließ nnn merken, daß ihm doch viel am Besitze der Festung<lb/>
^g. Er verstärkte nämlich die Belagerungstruppen um 3000 Mann und beorderte<lb/>
Zu ihnen französische Jngenieurofsiziere, Genietruppen und Geschütze. General<lb/>
Victor, der in preußischer Gefangenschaft gewesen, aber gegen Blücher ausge¬<lb/>
wechselt worden war, übernahm den Befehl. Weitere Verstärkungen trafen am<lb/>
5- Juni ein in Gestalt von fünf Bataillonen Hessen, einem Regiment Würzburg,<lb/>
einem Regiment Berg und zwei Bataillonen Polen. Die Gesamtzahl der Truppen<lb/>
vor der Festung belief sich also auf etwa 7000 Mann. Am Abend des 1. Juni<lb/>
bewarf der Feind vom Weichselbaum aus die Festung mit Geschossen, worauf<lb/>
der Gouverneur gebührend erwiderte, indem er die Stadt, das Hmiptauartier<lb/>
des Generals Victor, beschoß. Am nächsten Tage lief in der Festung der<lb/>
folgende Brief Victors ein:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2548"> 2' Juni 1807.</p><lb/>
          <note type="salute"> ^   ^ .,<lb/>
Herr Gouverneur!</note><lb/>
          <p xml:id="ID_2549" next="#ID_2550"> Wenn die Stadt Graudenz nur Soldaten in sich schlösse, so würde ich nicht<lb/>
die Ehre haben, dieses Schreiben an Eure Exzellenz zu richten, aber sie wird von<lb/>
Personen jedes Alters und Geschlechts bewohnt, die dem Waffenhandwerk und dem<lb/>
gegenwärtigen Kriege durchaus fremd sind. Diese Erwägung bestimmt mich. Sie<lb/>
Zu bitten, ihnen günstig zu sein. Ich finde -bis jetzt gar keinen Grund für die</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1904 60</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0469] Der Held von Graudenz feste Wille alle Deutschen und deutschfreundlichen Polen durchdringt. wird man die allpolnische Agitation nicht los werdeu. Wenn dieser Wille vorhanden wäre, wenn man nicht immer die eigne Untätigkeit zu beschönigen suchte, wäre es gar nicht so weit gekommen. Leider liegt die Gefahr vor, daß die all¬ polnische Agitation Fortschritte macht, weil sie Nachwuchs zu erzengen ver¬ steht. Man ist auch schon in Preußen auf diese Verhältnisse aufmerksam ge¬ worden, und gewiß kann mau es dort nicht mit Gleichmut ansehen, wenn die Negierung in ihrem Kampfe mit der Anmaßung des Polentums bemerken muß, daß sich im befreundeten Nachbarland derselbe Gegner zur nationalen Nberflügelung des Deutschtums anschickt. Besondre Gefahren für das Deutsch¬ tum wie für den Dreibund entstehn wohl daraus direkt noch nicht, aber die ostschlesischen Deutschen konnten daraus scheu, daß ihnen in dieser Zeit ein recht entscheidungsvoller Posten zugewiesen ist, und daß von ihrer Kraft oder Schwäche politische Gestaltungen der Zukunft abhängen können und werden. Der Held von Graudenz von Walter Berg (Schluß) in 28. Mai erhielt der Gouverneur die Nachricht von dem Falle von Danzig. Mit diesem Zeitpunkte wurde die förmliche Be¬ lagerung begonnen. Napoleon, der seine bisherigen Bemühungen, Graudenz in seine Hände zu bekommen, als gescheitert ansehen mußte, ließ nnn merken, daß ihm doch viel am Besitze der Festung ^g. Er verstärkte nämlich die Belagerungstruppen um 3000 Mann und beorderte Zu ihnen französische Jngenieurofsiziere, Genietruppen und Geschütze. General Victor, der in preußischer Gefangenschaft gewesen, aber gegen Blücher ausge¬ wechselt worden war, übernahm den Befehl. Weitere Verstärkungen trafen am 5- Juni ein in Gestalt von fünf Bataillonen Hessen, einem Regiment Würzburg, einem Regiment Berg und zwei Bataillonen Polen. Die Gesamtzahl der Truppen vor der Festung belief sich also auf etwa 7000 Mann. Am Abend des 1. Juni bewarf der Feind vom Weichselbaum aus die Festung mit Geschossen, worauf der Gouverneur gebührend erwiderte, indem er die Stadt, das Hmiptauartier des Generals Victor, beschoß. Am nächsten Tage lief in der Festung der folgende Brief Victors ein: 2' Juni 1807. ^ ^ ., Herr Gouverneur! Wenn die Stadt Graudenz nur Soldaten in sich schlösse, so würde ich nicht die Ehre haben, dieses Schreiben an Eure Exzellenz zu richten, aber sie wird von Personen jedes Alters und Geschlechts bewohnt, die dem Waffenhandwerk und dem gegenwärtigen Kriege durchaus fremd sind. Diese Erwägung bestimmt mich. Sie Zu bitten, ihnen günstig zu sein. Ich finde -bis jetzt gar keinen Grund für die Grenzboten I 1904 60

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/469
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/469>, abgerufen am 29.06.2024.