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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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ficht, die er bisher genommen hatte, mußte vor dem Ernst der Lage weichen.
Freilich litt die unglückliche Stadt sehr, aber der Feind mußte sie räumen. Das
war der Abschluß der Verhandlungen. Erbittert reiste Scwciry zu Napoleon
und erfüllte im kaiserlichen Hauptquartier alle maßgebenden Persönlichkeiten
mit Haß gegen den unbeugsamen Verteidiger der Festung. Die Wirkung seiner
Umtriebe trat nach dem Tilsiter Frieden zutage, indem man die Blockade trotz
des Friedensabschlnsses noch bis zum 12. Dezember, also noch fünf Monate,
aufrecht erhielt. Inzwischen hörten die Desertionen in der Festung nicht auf,
und Conrbiere konnte aus Mangel an genügend starken, zuverlässigen Truppen
im Außenseite nichts Wirksames gegen den Feind unternehmen. So konnte
er es nicht verhindern, daß auf der Weichsel häufig Transporte nach Danzig
befördert wurden. Ein Versuch, am 24. Mai Nachts das Fahrwasser durch
Versenkung eines großen Kahnes zu sperren, mißlang dadurch, daß das ge¬
samte Kommando fahnenflüchtig wurde. An demselben Tage schnitt übrigens
der Feind fünf Scharten in den Damm.

(Schluß folgt)




Lin französischer Amel-Harnack

Wle protestantische Theologie des neunzehnten Jahrhunderts hat
uns die natürlichen Bestandteile des Christentums, die natür¬
liche Seite seiner Entstehung und seiner geschichtlichen Ent¬
wicklung kennen gelehrt. Diese natürliche Seite schließt die über¬
natürliche so wenig aus. wie es die göttliche Hilfe in der Not
zunichte macht, wenn der natürliche Lauf der Dinge einen beherzter Mann
an der Stelle des Flusses vorüberführt, wo gerade ein Kind hineingefallen ist;
denn Gott ordnet eben den natürlichen Lauf ohne Störung der Naturgesetze
so, daß die vorausbestimmten Rettungen darin ihre Stelle finden. Diese
historische Betrachtungsweise entfernt sich von der ursprünglich lutherischen,
die ganz unhistorisch in der anderthalbtausendjährigen Entwicklung der Kirche
nichts als Verderben und Abfall gesehen hatte, und nähert sich wieder der
katholischen, die an dem Gleichnisse vom Senfkorn festhält, nur zu sehr daran
festhält, dem, biblische Gleichnisse decken die zu versiunbildende Sache ebenso¬
wenig wie die der weltlichen Literatur; um im Rahmen des Gleichnisses zu
bleiben, muß man mindestens ergänzend hinzufügen, daß so manches von dem,
was im Laufe der Zeit am Baume der Kirche hervorgetreten ist, nicht zu den
aus dem Keime entwickelten Bestandteilen gehört, sondern sich als Schmarotzer-
gewüchs angeheftet hat. Und das Gleichnis paßt überhaupt nicht genau,
weil sich im Laufe der Zeit auch Bestandteile an der Kirche entwickeln , die
zwar nicht als Schmarotzer bezeichnet werden können , die aber nur vorüber¬
gehende Bedeutung haben und wieder verschwinden. Nur das Wachstum
und die Entwicklung mannigfacher großer Gebilde aus einem kleinen Keime
sind als unbedingt zutreffende Bestandteile des Gleichnisses festzuhalten.


Grenzboten I 1904 53
Li>, französischer Amel-Harncick

ficht, die er bisher genommen hatte, mußte vor dem Ernst der Lage weichen.
Freilich litt die unglückliche Stadt sehr, aber der Feind mußte sie räumen. Das
war der Abschluß der Verhandlungen. Erbittert reiste Scwciry zu Napoleon
und erfüllte im kaiserlichen Hauptquartier alle maßgebenden Persönlichkeiten
mit Haß gegen den unbeugsamen Verteidiger der Festung. Die Wirkung seiner
Umtriebe trat nach dem Tilsiter Frieden zutage, indem man die Blockade trotz
des Friedensabschlnsses noch bis zum 12. Dezember, also noch fünf Monate,
aufrecht erhielt. Inzwischen hörten die Desertionen in der Festung nicht auf,
und Conrbiere konnte aus Mangel an genügend starken, zuverlässigen Truppen
im Außenseite nichts Wirksames gegen den Feind unternehmen. So konnte
er es nicht verhindern, daß auf der Weichsel häufig Transporte nach Danzig
befördert wurden. Ein Versuch, am 24. Mai Nachts das Fahrwasser durch
Versenkung eines großen Kahnes zu sperren, mißlang dadurch, daß das ge¬
samte Kommando fahnenflüchtig wurde. An demselben Tage schnitt übrigens
der Feind fünf Scharten in den Damm.

(Schluß folgt)




Lin französischer Amel-Harnack

Wle protestantische Theologie des neunzehnten Jahrhunderts hat
uns die natürlichen Bestandteile des Christentums, die natür¬
liche Seite seiner Entstehung und seiner geschichtlichen Ent¬
wicklung kennen gelehrt. Diese natürliche Seite schließt die über¬
natürliche so wenig aus. wie es die göttliche Hilfe in der Not
zunichte macht, wenn der natürliche Lauf der Dinge einen beherzter Mann
an der Stelle des Flusses vorüberführt, wo gerade ein Kind hineingefallen ist;
denn Gott ordnet eben den natürlichen Lauf ohne Störung der Naturgesetze
so, daß die vorausbestimmten Rettungen darin ihre Stelle finden. Diese
historische Betrachtungsweise entfernt sich von der ursprünglich lutherischen,
die ganz unhistorisch in der anderthalbtausendjährigen Entwicklung der Kirche
nichts als Verderben und Abfall gesehen hatte, und nähert sich wieder der
katholischen, die an dem Gleichnisse vom Senfkorn festhält, nur zu sehr daran
festhält, dem, biblische Gleichnisse decken die zu versiunbildende Sache ebenso¬
wenig wie die der weltlichen Literatur; um im Rahmen des Gleichnisses zu
bleiben, muß man mindestens ergänzend hinzufügen, daß so manches von dem,
was im Laufe der Zeit am Baume der Kirche hervorgetreten ist, nicht zu den
aus dem Keime entwickelten Bestandteilen gehört, sondern sich als Schmarotzer-
gewüchs angeheftet hat. Und das Gleichnis paßt überhaupt nicht genau,
weil sich im Laufe der Zeit auch Bestandteile an der Kirche entwickeln , die
zwar nicht als Schmarotzer bezeichnet werden können , die aber nur vorüber¬
gehende Bedeutung haben und wieder verschwinden. Nur das Wachstum
und die Entwicklung mannigfacher großer Gebilde aus einem kleinen Keime
sind als unbedingt zutreffende Bestandteile des Gleichnisses festzuhalten.


Grenzboten I 1904 53
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/415>, abgerufen am 29.06.2024.