Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Held von Graudenz

Nur das lehrt eine zusammenfassende Betrachtung, wie sie uns in dem
Oppelschen Buche vorliegt, daß allzu sanguinische Hoffnungen hier nichts
nützen können, daß es vielmehr darauf ankommt, zu lernen und zu arbeiten.
Dann wird es vielleicht gelingen, zwar nicht die amerikanische Zufuhr in ab¬
sehbarer Zeit ans dem Felde zu schlagen, aber ihr doch eine bedeutende deutsche
Produktion an die Seite zu stellen.




Der Held von Graudenz
von Malter Berg (Fortsetzung)

le Franzosen verschwanden zwar wieder aus der Gegend, aber
an ihrer Stelle drangen polnische Konföderationstruppen überall
nach dem linken Weichselufer vor, indem sie allerorten preußische
Beamte mißhandelten und vertrieben. So kam das ehemalige
Pommerellen in polnische Hände. Es schien so, als ob sich die
Franzosen um Graudenz gar nicht mehr kümmerten. Aber Courbiere ließ
trotzdem und trotz seines hohen Alters nicht ab, in unermüdlicher Tätigkeit
alles anzuordnen und zu überwachen. Daß er eine unerquickliche Aufgabe
fand, ist schon vorhin bemerkt worden. Die Hindernisse bei der Armierung
und der Verproviantierung bewirkten, daß viele aus der Umgebung des greisen
Generals die Überlegung und die Geduld verloren. Er selbst behielt beides
und blieb jederzeit Herr der Lage. So hielt er sein Wort, das er dem schei¬
denden König gegeben haben soll: "Majestät, solange noch ein Tropfen Bluts
in meinem Körper ist, wird Graudenz nicht übergeben!" Tag und Nacht wurde
gearbeitet, die Festung in einen bessern Verteidigungsznstand zu setzen, und die
Bauern mußten in Person und mit Vorspann helfen. Der gedeckte Weg wurde
mit neuen, baumstarken Palisaden besetzt, stellenweise mit doppelten Reihen, und
Traversen, tiefe Einschnitte und spanische Reiter wurden angebracht. Außerhalb
des gedeckten Weges, auf der Glaciskrone, ließ Courbiere eine dreifache Reihe
von Wolfsgruben anlegen, d. h. tiefe, trichterförmige Gruben, in deren Mitte
spitze Pfähle aufragten. An dem jähen AbHange zur Weichsel entstanden starke
Blockhäuser; die Wälle wurden mit Geschützen bestückt, Bettungen wurden gelegt,
Schießscharten geblendet, die ungeheuern Fallgatter für den Fall eines Sturm¬
angriffs hergerichtet, und zur Zerschmetterung der Sturmleitern wurden schwere
Ballen von den abgetragnen Zeughausdüchern quer über den Wall gelegt. Die
seit den Zeiten der polnischen Jnsurgentenkriege im Zeughause liegenden Sensen,
Piken und andern Waffen wurden auf den Wällen verteilt, auch Handgranaten
und schwere Steine wurden zwischen den Wallgeschützen haufenweise aufgesetzt.
Aus altem Eisen schmiedete man eine Unmenge von Fußangeln, um sich ihrer
auf dem Glacis, in den Gräben oder bei einer etwaigen Bresche zu bedienen-
Die Bürger der Stadt erhielten den Rat, ihre Wertgegenstände zu vergraben


Der Held von Graudenz

Nur das lehrt eine zusammenfassende Betrachtung, wie sie uns in dem
Oppelschen Buche vorliegt, daß allzu sanguinische Hoffnungen hier nichts
nützen können, daß es vielmehr darauf ankommt, zu lernen und zu arbeiten.
Dann wird es vielleicht gelingen, zwar nicht die amerikanische Zufuhr in ab¬
sehbarer Zeit ans dem Felde zu schlagen, aber ihr doch eine bedeutende deutsche
Produktion an die Seite zu stellen.




Der Held von Graudenz
von Malter Berg (Fortsetzung)

le Franzosen verschwanden zwar wieder aus der Gegend, aber
an ihrer Stelle drangen polnische Konföderationstruppen überall
nach dem linken Weichselufer vor, indem sie allerorten preußische
Beamte mißhandelten und vertrieben. So kam das ehemalige
Pommerellen in polnische Hände. Es schien so, als ob sich die
Franzosen um Graudenz gar nicht mehr kümmerten. Aber Courbiere ließ
trotzdem und trotz seines hohen Alters nicht ab, in unermüdlicher Tätigkeit
alles anzuordnen und zu überwachen. Daß er eine unerquickliche Aufgabe
fand, ist schon vorhin bemerkt worden. Die Hindernisse bei der Armierung
und der Verproviantierung bewirkten, daß viele aus der Umgebung des greisen
Generals die Überlegung und die Geduld verloren. Er selbst behielt beides
und blieb jederzeit Herr der Lage. So hielt er sein Wort, das er dem schei¬
denden König gegeben haben soll: „Majestät, solange noch ein Tropfen Bluts
in meinem Körper ist, wird Graudenz nicht übergeben!" Tag und Nacht wurde
gearbeitet, die Festung in einen bessern Verteidigungsznstand zu setzen, und die
Bauern mußten in Person und mit Vorspann helfen. Der gedeckte Weg wurde
mit neuen, baumstarken Palisaden besetzt, stellenweise mit doppelten Reihen, und
Traversen, tiefe Einschnitte und spanische Reiter wurden angebracht. Außerhalb
des gedeckten Weges, auf der Glaciskrone, ließ Courbiere eine dreifache Reihe
von Wolfsgruben anlegen, d. h. tiefe, trichterförmige Gruben, in deren Mitte
spitze Pfähle aufragten. An dem jähen AbHange zur Weichsel entstanden starke
Blockhäuser; die Wälle wurden mit Geschützen bestückt, Bettungen wurden gelegt,
Schießscharten geblendet, die ungeheuern Fallgatter für den Fall eines Sturm¬
angriffs hergerichtet, und zur Zerschmetterung der Sturmleitern wurden schwere
Ballen von den abgetragnen Zeughausdüchern quer über den Wall gelegt. Die
seit den Zeiten der polnischen Jnsurgentenkriege im Zeughause liegenden Sensen,
Piken und andern Waffen wurden auf den Wällen verteilt, auch Handgranaten
und schwere Steine wurden zwischen den Wallgeschützen haufenweise aufgesetzt.
Aus altem Eisen schmiedete man eine Unmenge von Fußangeln, um sich ihrer
auf dem Glacis, in den Gräben oder bei einer etwaigen Bresche zu bedienen-
Die Bürger der Stadt erhielten den Rat, ihre Wertgegenstände zu vergraben


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0406" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293203"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Held von Graudenz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2217" prev="#ID_2216"> Nur das lehrt eine zusammenfassende Betrachtung, wie sie uns in dem<lb/>
Oppelschen Buche vorliegt, daß allzu sanguinische Hoffnungen hier nichts<lb/>
nützen können, daß es vielmehr darauf ankommt, zu lernen und zu arbeiten.<lb/>
Dann wird es vielleicht gelingen, zwar nicht die amerikanische Zufuhr in ab¬<lb/>
sehbarer Zeit ans dem Felde zu schlagen, aber ihr doch eine bedeutende deutsche<lb/>
Produktion an die Seite zu stellen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Held von Graudenz<lb/><note type="byline"> von Malter Berg</note> (Fortsetzung) </head><lb/>
          <p xml:id="ID_2218" next="#ID_2219"> le Franzosen verschwanden zwar wieder aus der Gegend, aber<lb/>
an ihrer Stelle drangen polnische Konföderationstruppen überall<lb/>
nach dem linken Weichselufer vor, indem sie allerorten preußische<lb/>
Beamte mißhandelten und vertrieben. So kam das ehemalige<lb/>
Pommerellen in polnische Hände. Es schien so, als ob sich die<lb/>
Franzosen um Graudenz gar nicht mehr kümmerten. Aber Courbiere ließ<lb/>
trotzdem und trotz seines hohen Alters nicht ab, in unermüdlicher Tätigkeit<lb/>
alles anzuordnen und zu überwachen. Daß er eine unerquickliche Aufgabe<lb/>
fand, ist schon vorhin bemerkt worden. Die Hindernisse bei der Armierung<lb/>
und der Verproviantierung bewirkten, daß viele aus der Umgebung des greisen<lb/>
Generals die Überlegung und die Geduld verloren. Er selbst behielt beides<lb/>
und blieb jederzeit Herr der Lage. So hielt er sein Wort, das er dem schei¬<lb/>
denden König gegeben haben soll: &#x201E;Majestät, solange noch ein Tropfen Bluts<lb/>
in meinem Körper ist, wird Graudenz nicht übergeben!" Tag und Nacht wurde<lb/>
gearbeitet, die Festung in einen bessern Verteidigungsznstand zu setzen, und die<lb/>
Bauern mußten in Person und mit Vorspann helfen. Der gedeckte Weg wurde<lb/>
mit neuen, baumstarken Palisaden besetzt, stellenweise mit doppelten Reihen, und<lb/>
Traversen, tiefe Einschnitte und spanische Reiter wurden angebracht. Außerhalb<lb/>
des gedeckten Weges, auf der Glaciskrone, ließ Courbiere eine dreifache Reihe<lb/>
von Wolfsgruben anlegen, d. h. tiefe, trichterförmige Gruben, in deren Mitte<lb/>
spitze Pfähle aufragten. An dem jähen AbHange zur Weichsel entstanden starke<lb/>
Blockhäuser; die Wälle wurden mit Geschützen bestückt, Bettungen wurden gelegt,<lb/>
Schießscharten geblendet, die ungeheuern Fallgatter für den Fall eines Sturm¬<lb/>
angriffs hergerichtet, und zur Zerschmetterung der Sturmleitern wurden schwere<lb/>
Ballen von den abgetragnen Zeughausdüchern quer über den Wall gelegt. Die<lb/>
seit den Zeiten der polnischen Jnsurgentenkriege im Zeughause liegenden Sensen,<lb/>
Piken und andern Waffen wurden auf den Wällen verteilt, auch Handgranaten<lb/>
und schwere Steine wurden zwischen den Wallgeschützen haufenweise aufgesetzt.<lb/>
Aus altem Eisen schmiedete man eine Unmenge von Fußangeln, um sich ihrer<lb/>
auf dem Glacis, in den Gräben oder bei einer etwaigen Bresche zu bedienen-<lb/>
Die Bürger der Stadt erhielten den Rat, ihre Wertgegenstände zu vergraben</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0406] Der Held von Graudenz Nur das lehrt eine zusammenfassende Betrachtung, wie sie uns in dem Oppelschen Buche vorliegt, daß allzu sanguinische Hoffnungen hier nichts nützen können, daß es vielmehr darauf ankommt, zu lernen und zu arbeiten. Dann wird es vielleicht gelingen, zwar nicht die amerikanische Zufuhr in ab¬ sehbarer Zeit ans dem Felde zu schlagen, aber ihr doch eine bedeutende deutsche Produktion an die Seite zu stellen. Der Held von Graudenz von Malter Berg (Fortsetzung) le Franzosen verschwanden zwar wieder aus der Gegend, aber an ihrer Stelle drangen polnische Konföderationstruppen überall nach dem linken Weichselufer vor, indem sie allerorten preußische Beamte mißhandelten und vertrieben. So kam das ehemalige Pommerellen in polnische Hände. Es schien so, als ob sich die Franzosen um Graudenz gar nicht mehr kümmerten. Aber Courbiere ließ trotzdem und trotz seines hohen Alters nicht ab, in unermüdlicher Tätigkeit alles anzuordnen und zu überwachen. Daß er eine unerquickliche Aufgabe fand, ist schon vorhin bemerkt worden. Die Hindernisse bei der Armierung und der Verproviantierung bewirkten, daß viele aus der Umgebung des greisen Generals die Überlegung und die Geduld verloren. Er selbst behielt beides und blieb jederzeit Herr der Lage. So hielt er sein Wort, das er dem schei¬ denden König gegeben haben soll: „Majestät, solange noch ein Tropfen Bluts in meinem Körper ist, wird Graudenz nicht übergeben!" Tag und Nacht wurde gearbeitet, die Festung in einen bessern Verteidigungsznstand zu setzen, und die Bauern mußten in Person und mit Vorspann helfen. Der gedeckte Weg wurde mit neuen, baumstarken Palisaden besetzt, stellenweise mit doppelten Reihen, und Traversen, tiefe Einschnitte und spanische Reiter wurden angebracht. Außerhalb des gedeckten Weges, auf der Glaciskrone, ließ Courbiere eine dreifache Reihe von Wolfsgruben anlegen, d. h. tiefe, trichterförmige Gruben, in deren Mitte spitze Pfähle aufragten. An dem jähen AbHange zur Weichsel entstanden starke Blockhäuser; die Wälle wurden mit Geschützen bestückt, Bettungen wurden gelegt, Schießscharten geblendet, die ungeheuern Fallgatter für den Fall eines Sturm¬ angriffs hergerichtet, und zur Zerschmetterung der Sturmleitern wurden schwere Ballen von den abgetragnen Zeughausdüchern quer über den Wall gelegt. Die seit den Zeiten der polnischen Jnsurgentenkriege im Zeughause liegenden Sensen, Piken und andern Waffen wurden auf den Wällen verteilt, auch Handgranaten und schwere Steine wurden zwischen den Wallgeschützen haufenweise aufgesetzt. Aus altem Eisen schmiedete man eine Unmenge von Fußangeln, um sich ihrer auf dem Glacis, in den Gräben oder bei einer etwaigen Bresche zu bedienen- Die Bürger der Stadt erhielten den Rat, ihre Wertgegenstände zu vergraben

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/406
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/406>, abgerufen am 22.07.2024.