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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Die Perser des Timotheos

mehrere ihre Hänser verlassen haben, "in ihren Unterhalt in den Nachbar¬
staaten zu erbetteln. 10. Wenn, wie befürchtet wird, die Domänen abgerissen
werden, so wird der zukünftige Souverän des Landes keine Mittel haben, die
Staatsschulden zu bezahlen und für die ersten Bedürfnisse des Landes zu
sorgen. -- Kein Teil der Bevölkerung ist, der nicht begründete Klagen hätte,
Kaufleute, Handwerker sind mit verdreifachten Abgaben belastet, die milden
Stiftungen haben ihre Privilegien verloren, bei der Universität ist ein Kapital
von 40000 Franken in Beschlag genommen worden. Die Erschöpfung aller
Untertanen steigt aufs höchste. Das kleine Ländchen ist ans Generationen ver¬
nichtet, da es nur 320000 Franken Einkünfte hat und doch in 22 Monaten
die unglaubliche Summe von 5^ Millionen Franken zahlen mußte. Ew. Majestät,
so heißt es zuletzt, sind reich an Mitteln, uns unsre schweren Lasten zu
erleichtern und uns bald einen guten Fürsten zu geben. Wir legen die unter¬
tänige Bitte deswegen am Fuße des Thrones nur in der Absicht nieder, um
von dem Abgrunde der Leiden, die uns von allen Seiten umgeben, gerettet
zu werden, um die Tränen der vielen unglücklichen Familien zu trocknen, die
sie bei ihrer gänzlichen Verarmung mit Ergebung in ihr Schicksal weinen.

(Schluß folgt)




Die Perser des Timotheos

is die Beauftragten der Deutschen Orientgesellschaft, 1)r. Ludwig
Borchardt an ihrer Spitze, Anfang des Jahres 1902 in der
Nähe des ägyptischen Memphis ein Königsgrab aufdecken wollten,
machten sie einen überaus wichtigen Fund: in den obern Erd¬
schichten, die man durchbrechen mußte, um zu dem eigentlichen
Ziel zu gelangen, offenbar einem Gräberfelde, das zu dem alten Dorfe Busiris,
jetzt Abusir, einem Vorort von Memphis, gehörte, fand sich ein Holzsarg mit
der Mumie eines Mannes von ansehnlicher Körpergröße; am Kopfende der
Leiche lagen eine zerbrochne Ledertasche mit den Überresten eines Schwammes,
ein verrostetes Eisenstück, wohl das Überbleibsel eines nicht mehr bestimmbaren
Werkzeugs, ein gedrechseltes Holzstück und ein Paar Sandalen, außerdem, was
wichtiger ist, eine 18,5 Zentimeter hohe Paphrusrolle, in deren Schriftzügen
man bald die Reste einer bis dahin nur dem Namen nach bekannten griechischen
Dichtung erkannte: es sind die Perser des Timotheos. Die ganze Rolle, die
nebst der Mumie selbst jetzt dem Berliner Museum gehört, hat aufgewickelt
eine Länge von 1,11 Meter und enthält sechs Kolumnen, von denen jedoch
die beiden ersten fast gänzlich zerstört sind, die dritte am untern Rande einige
Lücken zeigt, die letzten drei aber, das ist der innere Teil der Rolle, weitaus
zum größten Teile vortrefflich erhalten sind. Freilich ist das Gefundnc nur
ein Teil des ganzen Schriftstücks. Der erste Teil der Rolle fehlt; ob er ab¬
sichtlich zurückbehalten wurde, ob der Besitzer ihn nicht mehr hatte, ist un-


Die Perser des Timotheos

mehrere ihre Hänser verlassen haben, »in ihren Unterhalt in den Nachbar¬
staaten zu erbetteln. 10. Wenn, wie befürchtet wird, die Domänen abgerissen
werden, so wird der zukünftige Souverän des Landes keine Mittel haben, die
Staatsschulden zu bezahlen und für die ersten Bedürfnisse des Landes zu
sorgen. — Kein Teil der Bevölkerung ist, der nicht begründete Klagen hätte,
Kaufleute, Handwerker sind mit verdreifachten Abgaben belastet, die milden
Stiftungen haben ihre Privilegien verloren, bei der Universität ist ein Kapital
von 40000 Franken in Beschlag genommen worden. Die Erschöpfung aller
Untertanen steigt aufs höchste. Das kleine Ländchen ist ans Generationen ver¬
nichtet, da es nur 320000 Franken Einkünfte hat und doch in 22 Monaten
die unglaubliche Summe von 5^ Millionen Franken zahlen mußte. Ew. Majestät,
so heißt es zuletzt, sind reich an Mitteln, uns unsre schweren Lasten zu
erleichtern und uns bald einen guten Fürsten zu geben. Wir legen die unter¬
tänige Bitte deswegen am Fuße des Thrones nur in der Absicht nieder, um
von dem Abgrunde der Leiden, die uns von allen Seiten umgeben, gerettet
zu werden, um die Tränen der vielen unglücklichen Familien zu trocknen, die
sie bei ihrer gänzlichen Verarmung mit Ergebung in ihr Schicksal weinen.

(Schluß folgt)




Die Perser des Timotheos

is die Beauftragten der Deutschen Orientgesellschaft, 1)r. Ludwig
Borchardt an ihrer Spitze, Anfang des Jahres 1902 in der
Nähe des ägyptischen Memphis ein Königsgrab aufdecken wollten,
machten sie einen überaus wichtigen Fund: in den obern Erd¬
schichten, die man durchbrechen mußte, um zu dem eigentlichen
Ziel zu gelangen, offenbar einem Gräberfelde, das zu dem alten Dorfe Busiris,
jetzt Abusir, einem Vorort von Memphis, gehörte, fand sich ein Holzsarg mit
der Mumie eines Mannes von ansehnlicher Körpergröße; am Kopfende der
Leiche lagen eine zerbrochne Ledertasche mit den Überresten eines Schwammes,
ein verrostetes Eisenstück, wohl das Überbleibsel eines nicht mehr bestimmbaren
Werkzeugs, ein gedrechseltes Holzstück und ein Paar Sandalen, außerdem, was
wichtiger ist, eine 18,5 Zentimeter hohe Paphrusrolle, in deren Schriftzügen
man bald die Reste einer bis dahin nur dem Namen nach bekannten griechischen
Dichtung erkannte: es sind die Perser des Timotheos. Die ganze Rolle, die
nebst der Mumie selbst jetzt dem Berliner Museum gehört, hat aufgewickelt
eine Länge von 1,11 Meter und enthält sechs Kolumnen, von denen jedoch
die beiden ersten fast gänzlich zerstört sind, die dritte am untern Rande einige
Lücken zeigt, die letzten drei aber, das ist der innere Teil der Rolle, weitaus
zum größten Teile vortrefflich erhalten sind. Freilich ist das Gefundnc nur
ein Teil des ganzen Schriftstücks. Der erste Teil der Rolle fehlt; ob er ab¬
sichtlich zurückbehalten wurde, ob der Besitzer ihn nicht mehr hatte, ist un-


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[0034] Die Perser des Timotheos mehrere ihre Hänser verlassen haben, »in ihren Unterhalt in den Nachbar¬ staaten zu erbetteln. 10. Wenn, wie befürchtet wird, die Domänen abgerissen werden, so wird der zukünftige Souverän des Landes keine Mittel haben, die Staatsschulden zu bezahlen und für die ersten Bedürfnisse des Landes zu sorgen. — Kein Teil der Bevölkerung ist, der nicht begründete Klagen hätte, Kaufleute, Handwerker sind mit verdreifachten Abgaben belastet, die milden Stiftungen haben ihre Privilegien verloren, bei der Universität ist ein Kapital von 40000 Franken in Beschlag genommen worden. Die Erschöpfung aller Untertanen steigt aufs höchste. Das kleine Ländchen ist ans Generationen ver¬ nichtet, da es nur 320000 Franken Einkünfte hat und doch in 22 Monaten die unglaubliche Summe von 5^ Millionen Franken zahlen mußte. Ew. Majestät, so heißt es zuletzt, sind reich an Mitteln, uns unsre schweren Lasten zu erleichtern und uns bald einen guten Fürsten zu geben. Wir legen die unter¬ tänige Bitte deswegen am Fuße des Thrones nur in der Absicht nieder, um von dem Abgrunde der Leiden, die uns von allen Seiten umgeben, gerettet zu werden, um die Tränen der vielen unglücklichen Familien zu trocknen, die sie bei ihrer gänzlichen Verarmung mit Ergebung in ihr Schicksal weinen. (Schluß folgt) Die Perser des Timotheos is die Beauftragten der Deutschen Orientgesellschaft, 1)r. Ludwig Borchardt an ihrer Spitze, Anfang des Jahres 1902 in der Nähe des ägyptischen Memphis ein Königsgrab aufdecken wollten, machten sie einen überaus wichtigen Fund: in den obern Erd¬ schichten, die man durchbrechen mußte, um zu dem eigentlichen Ziel zu gelangen, offenbar einem Gräberfelde, das zu dem alten Dorfe Busiris, jetzt Abusir, einem Vorort von Memphis, gehörte, fand sich ein Holzsarg mit der Mumie eines Mannes von ansehnlicher Körpergröße; am Kopfende der Leiche lagen eine zerbrochne Ledertasche mit den Überresten eines Schwammes, ein verrostetes Eisenstück, wohl das Überbleibsel eines nicht mehr bestimmbaren Werkzeugs, ein gedrechseltes Holzstück und ein Paar Sandalen, außerdem, was wichtiger ist, eine 18,5 Zentimeter hohe Paphrusrolle, in deren Schriftzügen man bald die Reste einer bis dahin nur dem Namen nach bekannten griechischen Dichtung erkannte: es sind die Perser des Timotheos. Die ganze Rolle, die nebst der Mumie selbst jetzt dem Berliner Museum gehört, hat aufgewickelt eine Länge von 1,11 Meter und enthält sechs Kolumnen, von denen jedoch die beiden ersten fast gänzlich zerstört sind, die dritte am untern Rande einige Lücken zeigt, die letzten drei aber, das ist der innere Teil der Rolle, weitaus zum größten Teile vortrefflich erhalten sind. Freilich ist das Gefundnc nur ein Teil des ganzen Schriftstücks. Der erste Teil der Rolle fehlt; ob er ab¬ sichtlich zurückbehalten wurde, ob der Besitzer ihn nicht mehr hatte, ist un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/34>, abgerufen am 29.06.2024.