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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Pessimismus und Hiobdichtung
von Eduard König

>us der doppelten Tatsache, daß es Übel in der Welt gibt, und
daß Katastrophen oft auch über religiöse Menschen hereinbrechen,
hat man im Laufe der Jahrtausende wesentlich folgende vier Konse¬
quenzen gezogen: Viele tapfergesinnte Persönlichkeiten sehen den
> Ansturm der Übel als eine nicht ganz unwillkommne Gelegenheit
an, ihre Widerstandskraft zu beweisen und ihre Opferfähigkeit zu betätigen. Solche
Naturen treten uns ja z. B. in den Stoikern entgegen, und wir brauchen uns
nur an die heroischen Themata, die Cieero in seinen " Tuskulauischen Dispu¬
tationen" behandelte -- "über die Verachtung des Todes," "über die Erduldung
des Schmerzes" --, zu erinnern, und die Geistesart solcher Personen steht in
ihrer kristallnen Klarheit und granitnen Festigkeit vor unsern Augen. Andre
Seelen wurden durch die Übel, die in den Naturbestand gemischt sind und im
Geschichtsverlauf wohl über jeden Sterblichen hereinstürmen, zu einer pessimistischen
Weltanschauung verleitet und zum Weltschmerz gestimmt. Einen seiner schrillen
Töne hört man schon aus Homer erklingen. Denn da liest man auch den Satz: "Es
gibt unter alle dem, was ans Erden atmet und wandelt, nichts Jammervolleres
als den Menschen" (Ilias 17, 445). Daraus entwickelt sich weiterhin sogar
stumpfe Apathie und fauler Quietismus gegenüber den Eindrücken und den Auf¬
gaben des Lebens, wie das hauptsächlich im Buddhismus hervortrat (A. Bertholet,
Buddhismus und Christentum, 1902, 38f.), und wie der moderne Hauptapostel
des Pessimismus die Verneinung des Willens zum Leben als Ideal empfohlen
hat (vgl. Schopenhauer in seinem Hauptwerk "Die Welt als Wille und Vor¬
stellung" II. 707 in der Ausgabe von I. Frauenstädt). Diese doppelte Tat¬
sache hat ferner bekanntlich bei den alten Persern und weiterhin zur Annahme
zweier feindlicher Weltmächte -- Ahurcuncizda (Vertreter des Lichts, des Reinen
und Heilsamen) und Angromainjus (Verkörperung des Finstern und Unheil¬
vollen) --, also zur Ausbildung einer dualistischen Weltanschauung geführt. Die
Lehre vom Neide der Götter wurde sogar bei den Hellenen erst durch Plato
überwunden. Erst dieser ideale Denker schwang sich zu dem Satze "Neid hat
in der göttlichen Sphäre keine Stelle" (Phädrus 247^.) empor. Die äußerste
Folgerung endlich, zu der manche durch die erwähnten beiden Tatsachen ge¬
zwungen zu werden meinten, war die Leugnung der göttlichen Gerechtigkeit oder
sogar der Existenz Gottes. Oder weiß man nicht, daß die Niederlage der Buren
manchen fast seinen Gottesglauben gekostet hat? Welchen ergreifenden Ausdruck
hat eine solche Niederschmetterung des Gottesglaubens auch in den Sätzen ge¬
funden, die man in dem für die Sklavenfrage klassischen und in unsrer sozialistisch
bewegten Zeit wieder recht lesenswerten Buche "Onkel Toms Hütte" liest: "Eliza




Pessimismus und Hiobdichtung
von Eduard König

>us der doppelten Tatsache, daß es Übel in der Welt gibt, und
daß Katastrophen oft auch über religiöse Menschen hereinbrechen,
hat man im Laufe der Jahrtausende wesentlich folgende vier Konse¬
quenzen gezogen: Viele tapfergesinnte Persönlichkeiten sehen den
> Ansturm der Übel als eine nicht ganz unwillkommne Gelegenheit
an, ihre Widerstandskraft zu beweisen und ihre Opferfähigkeit zu betätigen. Solche
Naturen treten uns ja z. B. in den Stoikern entgegen, und wir brauchen uns
nur an die heroischen Themata, die Cieero in seinen „ Tuskulauischen Dispu¬
tationen" behandelte — „über die Verachtung des Todes," „über die Erduldung
des Schmerzes" —, zu erinnern, und die Geistesart solcher Personen steht in
ihrer kristallnen Klarheit und granitnen Festigkeit vor unsern Augen. Andre
Seelen wurden durch die Übel, die in den Naturbestand gemischt sind und im
Geschichtsverlauf wohl über jeden Sterblichen hereinstürmen, zu einer pessimistischen
Weltanschauung verleitet und zum Weltschmerz gestimmt. Einen seiner schrillen
Töne hört man schon aus Homer erklingen. Denn da liest man auch den Satz: „Es
gibt unter alle dem, was ans Erden atmet und wandelt, nichts Jammervolleres
als den Menschen" (Ilias 17, 445). Daraus entwickelt sich weiterhin sogar
stumpfe Apathie und fauler Quietismus gegenüber den Eindrücken und den Auf¬
gaben des Lebens, wie das hauptsächlich im Buddhismus hervortrat (A. Bertholet,
Buddhismus und Christentum, 1902, 38f.), und wie der moderne Hauptapostel
des Pessimismus die Verneinung des Willens zum Leben als Ideal empfohlen
hat (vgl. Schopenhauer in seinem Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vor¬
stellung" II. 707 in der Ausgabe von I. Frauenstädt). Diese doppelte Tat¬
sache hat ferner bekanntlich bei den alten Persern und weiterhin zur Annahme
zweier feindlicher Weltmächte — Ahurcuncizda (Vertreter des Lichts, des Reinen
und Heilsamen) und Angromainjus (Verkörperung des Finstern und Unheil¬
vollen) —, also zur Ausbildung einer dualistischen Weltanschauung geführt. Die
Lehre vom Neide der Götter wurde sogar bei den Hellenen erst durch Plato
überwunden. Erst dieser ideale Denker schwang sich zu dem Satze „Neid hat
in der göttlichen Sphäre keine Stelle" (Phädrus 247^.) empor. Die äußerste
Folgerung endlich, zu der manche durch die erwähnten beiden Tatsachen ge¬
zwungen zu werden meinten, war die Leugnung der göttlichen Gerechtigkeit oder
sogar der Existenz Gottes. Oder weiß man nicht, daß die Niederlage der Buren
manchen fast seinen Gottesglauben gekostet hat? Welchen ergreifenden Ausdruck
hat eine solche Niederschmetterung des Gottesglaubens auch in den Sätzen ge¬
funden, die man in dem für die Sklavenfrage klassischen und in unsrer sozialistisch
bewegten Zeit wieder recht lesenswerten Buche „Onkel Toms Hütte" liest: „Eliza


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[0287] [Abbildung] Pessimismus und Hiobdichtung von Eduard König >us der doppelten Tatsache, daß es Übel in der Welt gibt, und daß Katastrophen oft auch über religiöse Menschen hereinbrechen, hat man im Laufe der Jahrtausende wesentlich folgende vier Konse¬ quenzen gezogen: Viele tapfergesinnte Persönlichkeiten sehen den > Ansturm der Übel als eine nicht ganz unwillkommne Gelegenheit an, ihre Widerstandskraft zu beweisen und ihre Opferfähigkeit zu betätigen. Solche Naturen treten uns ja z. B. in den Stoikern entgegen, und wir brauchen uns nur an die heroischen Themata, die Cieero in seinen „ Tuskulauischen Dispu¬ tationen" behandelte — „über die Verachtung des Todes," „über die Erduldung des Schmerzes" —, zu erinnern, und die Geistesart solcher Personen steht in ihrer kristallnen Klarheit und granitnen Festigkeit vor unsern Augen. Andre Seelen wurden durch die Übel, die in den Naturbestand gemischt sind und im Geschichtsverlauf wohl über jeden Sterblichen hereinstürmen, zu einer pessimistischen Weltanschauung verleitet und zum Weltschmerz gestimmt. Einen seiner schrillen Töne hört man schon aus Homer erklingen. Denn da liest man auch den Satz: „Es gibt unter alle dem, was ans Erden atmet und wandelt, nichts Jammervolleres als den Menschen" (Ilias 17, 445). Daraus entwickelt sich weiterhin sogar stumpfe Apathie und fauler Quietismus gegenüber den Eindrücken und den Auf¬ gaben des Lebens, wie das hauptsächlich im Buddhismus hervortrat (A. Bertholet, Buddhismus und Christentum, 1902, 38f.), und wie der moderne Hauptapostel des Pessimismus die Verneinung des Willens zum Leben als Ideal empfohlen hat (vgl. Schopenhauer in seinem Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vor¬ stellung" II. 707 in der Ausgabe von I. Frauenstädt). Diese doppelte Tat¬ sache hat ferner bekanntlich bei den alten Persern und weiterhin zur Annahme zweier feindlicher Weltmächte — Ahurcuncizda (Vertreter des Lichts, des Reinen und Heilsamen) und Angromainjus (Verkörperung des Finstern und Unheil¬ vollen) —, also zur Ausbildung einer dualistischen Weltanschauung geführt. Die Lehre vom Neide der Götter wurde sogar bei den Hellenen erst durch Plato überwunden. Erst dieser ideale Denker schwang sich zu dem Satze „Neid hat in der göttlichen Sphäre keine Stelle" (Phädrus 247^.) empor. Die äußerste Folgerung endlich, zu der manche durch die erwähnten beiden Tatsachen ge¬ zwungen zu werden meinten, war die Leugnung der göttlichen Gerechtigkeit oder sogar der Existenz Gottes. Oder weiß man nicht, daß die Niederlage der Buren manchen fast seinen Gottesglauben gekostet hat? Welchen ergreifenden Ausdruck hat eine solche Niederschmetterung des Gottesglaubens auch in den Sätzen ge¬ funden, die man in dem für die Sklavenfrage klassischen und in unsrer sozialistisch bewegten Zeit wieder recht lesenswerten Buche „Onkel Toms Hütte" liest: „Eliza

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/287>, abgerufen am 22.07.2024.