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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Alkohol und Idealismus

Sobald aus dem Spiele Ernst wird und sich der Idealismus in seiner Kraft
erhebt, wird der Wein als gänzlich unbeteiligt beiseite gelassen.

Greifen wir die schönsten der geselligen Lieder Schillers und Goethes
heraus!

So beginnt Schillers Dithyrambe.

Wie soll der Dichter die Himmlischen bewirten? Er hat nichts, was
ihrer würdig wäre, als die Sehnsucht. So bittet er sie, ihn empor zu heben
zum Olymp.

Seine Bitte wird erfüllt. Hebe schenkt dem Dichter ein. Er empfängt
und trinkt, und ^ -" . . ^ r >"

Das himmlische Ideal des Trunks wirkt gerade das Gegenteil wie sein irdisches
Zerrbild. Der Alkohol regt den Busen auf und trübt das Auge.

Und nun das schon erwähnte Goethische Bundeslied! Wohl, zu seinem
Beginn erscheint der Wein. Er erhöht die Stunde im Vereine mit der Liebe.
Es wird angestoßen; der neue Bund wird gefeiert, des alten gedacht. Dann
aber erhebt sich das Lied und zieht immer höhere, weitere Kreise. Die Liebes-
mnigteit, die Freiheit, die Großheit, alles Herrliche, was im Bunde gedeiht,
wird besungen. Zum Schlüsse heißt es:

Wo ist der Wein geblieben? Er ist völlig vergessen, denn der Idealismus
tut seine königlichen Flüge.

Diese Überwindung des Niederziehenden durch den emporstrebenden Geist
hat im hellenischen Volke ein Werk von unermeßlich segensreichen Folgen
vollbracht. Es war eine furchtbare Gefahr für das Hellenentum, als der
Kultus des thrakischen Sonnengottes Dionysos herniederbrauste auf die
griechischen Länder und Inseln und wie im rasenden Sturm Männer und
Frauen in seinen orgiastischen Taumel riß. Der fremde Gott, dessen Lust es
war, Phantasie und Empfindung zu höchster Spannung emporzutreiben, bis
die menschliche Seele in unerträglicher Erregung ihren Kerker sprengte, um
in ein mächtigeres Leben aufgenommen zu werden, dieser Gott, den sich die
Thraker als einen Taumelnden, Trnnknen dachten, nahm den berauschenden


Alkohol und Idealismus

Sobald aus dem Spiele Ernst wird und sich der Idealismus in seiner Kraft
erhebt, wird der Wein als gänzlich unbeteiligt beiseite gelassen.

Greifen wir die schönsten der geselligen Lieder Schillers und Goethes
heraus!

So beginnt Schillers Dithyrambe.

Wie soll der Dichter die Himmlischen bewirten? Er hat nichts, was
ihrer würdig wäre, als die Sehnsucht. So bittet er sie, ihn empor zu heben
zum Olymp.

Seine Bitte wird erfüllt. Hebe schenkt dem Dichter ein. Er empfängt
und trinkt, und ^ -» . . ^ r >"

Das himmlische Ideal des Trunks wirkt gerade das Gegenteil wie sein irdisches
Zerrbild. Der Alkohol regt den Busen auf und trübt das Auge.

Und nun das schon erwähnte Goethische Bundeslied! Wohl, zu seinem
Beginn erscheint der Wein. Er erhöht die Stunde im Vereine mit der Liebe.
Es wird angestoßen; der neue Bund wird gefeiert, des alten gedacht. Dann
aber erhebt sich das Lied und zieht immer höhere, weitere Kreise. Die Liebes-
mnigteit, die Freiheit, die Großheit, alles Herrliche, was im Bunde gedeiht,
wird besungen. Zum Schlüsse heißt es:

Wo ist der Wein geblieben? Er ist völlig vergessen, denn der Idealismus
tut seine königlichen Flüge.

Diese Überwindung des Niederziehenden durch den emporstrebenden Geist
hat im hellenischen Volke ein Werk von unermeßlich segensreichen Folgen
vollbracht. Es war eine furchtbare Gefahr für das Hellenentum, als der
Kultus des thrakischen Sonnengottes Dionysos herniederbrauste auf die
griechischen Länder und Inseln und wie im rasenden Sturm Männer und
Frauen in seinen orgiastischen Taumel riß. Der fremde Gott, dessen Lust es
war, Phantasie und Empfindung zu höchster Spannung emporzutreiben, bis
die menschliche Seele in unerträglicher Erregung ihren Kerker sprengte, um
in ein mächtigeres Leben aufgenommen zu werden, dieser Gott, den sich die
Thraker als einen Taumelnden, Trnnknen dachten, nahm den berauschenden


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[0274] Alkohol und Idealismus Sobald aus dem Spiele Ernst wird und sich der Idealismus in seiner Kraft erhebt, wird der Wein als gänzlich unbeteiligt beiseite gelassen. Greifen wir die schönsten der geselligen Lieder Schillers und Goethes heraus! So beginnt Schillers Dithyrambe. Wie soll der Dichter die Himmlischen bewirten? Er hat nichts, was ihrer würdig wäre, als die Sehnsucht. So bittet er sie, ihn empor zu heben zum Olymp. Seine Bitte wird erfüllt. Hebe schenkt dem Dichter ein. Er empfängt und trinkt, und ^ -» . . ^ r >" Das himmlische Ideal des Trunks wirkt gerade das Gegenteil wie sein irdisches Zerrbild. Der Alkohol regt den Busen auf und trübt das Auge. Und nun das schon erwähnte Goethische Bundeslied! Wohl, zu seinem Beginn erscheint der Wein. Er erhöht die Stunde im Vereine mit der Liebe. Es wird angestoßen; der neue Bund wird gefeiert, des alten gedacht. Dann aber erhebt sich das Lied und zieht immer höhere, weitere Kreise. Die Liebes- mnigteit, die Freiheit, die Großheit, alles Herrliche, was im Bunde gedeiht, wird besungen. Zum Schlüsse heißt es: Wo ist der Wein geblieben? Er ist völlig vergessen, denn der Idealismus tut seine königlichen Flüge. Diese Überwindung des Niederziehenden durch den emporstrebenden Geist hat im hellenischen Volke ein Werk von unermeßlich segensreichen Folgen vollbracht. Es war eine furchtbare Gefahr für das Hellenentum, als der Kultus des thrakischen Sonnengottes Dionysos herniederbrauste auf die griechischen Länder und Inseln und wie im rasenden Sturm Männer und Frauen in seinen orgiastischen Taumel riß. Der fremde Gott, dessen Lust es war, Phantasie und Empfindung zu höchster Spannung emporzutreiben, bis die menschliche Seele in unerträglicher Erregung ihren Kerker sprengte, um in ein mächtigeres Leben aufgenommen zu werden, dieser Gott, den sich die Thraker als einen Taumelnden, Trnnknen dachten, nahm den berauschenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/274>, abgerufen am 29.06.2024.