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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Alkohol und Idealismus

Wein in seinen Dienst, um die Menschen zu seinen tosenden Dienern zu
machen. Aber was widerfuhr dem Gott bei den Hellenen? Er wurde ge¬
mildert, gesittet, geadelt; aus dem Gotte des Rausches wurde der Gott der
gesteigerten Lebensfreude, die er allen Menschen gönnt. Er trat neben Ceres
hin, der Spenderin des Brotes, und wurde mit ihr der menschenfreundlichste
unter den Göttern, der Retter, der Befreier, der Liebling der Sklaven. Aber
noch mehr! Er reichte dem hehren Apoll die Hand, er trat in den Reigen
der Musen. Der berauschende Strudel wurde gebannt durch das Zauberwort
der Kunst. Das tosende Jauchzen, der tolle Sinnengenuß ist aus der Höhe
der Gottheit herniedcrgesunken auf den platten Boden, wo des Dionysos
dienendes Gezücht, die Satyrn, die Silenen und die Mänaden ihr Wesen
treiben; er selber aber, an seine Ariadne gelehnt, sieht in seligem Frieden dem
tollen Treiben zu, träumerischen Blicks, in weicher, linder Sehnsucht. Und
aus den dionysischen Festen ist die Tragödie erstanden, eine der hehrsten
Gaben, mit denen hellenischer Geist die Welt beschenkt hat. Bergetief liegt
unter diesem Kinde des Dionysos alles, was die volksmüßige Vorstellung mit
dem Faßreiter Bacchus, der im Bremer Ratskeller spukt, in Verbindung bringt.

Wir sehen, der Wein kann der Ausgangspunkt für den Idealismus sein;
aber wo sich dieser in seiner höchsten Kraft betätigt, läßt er den Wein weit
hinter sich zurück, wie der Pfeil die Kerbe des Bogens.

Und wenn sich der Idealismus zum Wein wendet und ihm zu huldigen
scheint, so ist es wahrhaftig nicht der Alkohol, den er meint, sondern der
geistige Inhalt, den er aus seinem eignen unerschöpflichen Börne nimmt und
in den Wein hineinlegt. Die Poesie feiert den Maitrank, aber sie meint die
Lieblichkeit der Mainacht. Sie besingt den Abschiedstrunk, aber sie meint die
Wehmut des Scheidens. Sie preist die Reben, die zwischen Frankreich und
dem Böhmerwnld wachsen, aber sie meint die Herrlichkeit des Vaterlandes.

Wo sie aber den Anschein nimmt, als ob sie in dem Wcinschlurf selber
etwas Schönes und zu Feierndes sehe, da macht sie von ihrem Rechte Gebrauch,
die Wirklichkeit zu verklären durch ihr eignes wundersames Licht. Der Dichter
hat die Gabe des Midas. Was er anrührt, wird zu Gold.

Ein zechender Landsknecht war gewiß in Wirklichkeit keine anmutige
Erscheinung; wem aber geht nicht das Herz auf, wenn im Liede des
"tuenden Brüderleins" der verwogne Gesell, dem der Leichtsinn und die Gut¬
mütigkeit aus den Augen lachen, in die Tür der Schenke tritt und der Dirne
urue:

Der Zwerg Perkeo war in Wirklichkeit ein ekelhafter Bursche; unser Scheffel
hat aus ihm einen Philosophen des Weines gemacht, und wer möchte so
poesielos sein, daß er an diesem Perkeo nicht seine Freude hätte? Wenn
jemand sagt, die Poesie solle dergleichen Stoffe meiden, so antwortet ihm die
Muse: Laß deine Finger weg, das verstehst du nicht, denn du bist ein
Philister; mein ist die ganze Welt, dir gehört dein Winkel.


Alkohol und Idealismus

Wein in seinen Dienst, um die Menschen zu seinen tosenden Dienern zu
machen. Aber was widerfuhr dem Gott bei den Hellenen? Er wurde ge¬
mildert, gesittet, geadelt; aus dem Gotte des Rausches wurde der Gott der
gesteigerten Lebensfreude, die er allen Menschen gönnt. Er trat neben Ceres
hin, der Spenderin des Brotes, und wurde mit ihr der menschenfreundlichste
unter den Göttern, der Retter, der Befreier, der Liebling der Sklaven. Aber
noch mehr! Er reichte dem hehren Apoll die Hand, er trat in den Reigen
der Musen. Der berauschende Strudel wurde gebannt durch das Zauberwort
der Kunst. Das tosende Jauchzen, der tolle Sinnengenuß ist aus der Höhe
der Gottheit herniedcrgesunken auf den platten Boden, wo des Dionysos
dienendes Gezücht, die Satyrn, die Silenen und die Mänaden ihr Wesen
treiben; er selber aber, an seine Ariadne gelehnt, sieht in seligem Frieden dem
tollen Treiben zu, träumerischen Blicks, in weicher, linder Sehnsucht. Und
aus den dionysischen Festen ist die Tragödie erstanden, eine der hehrsten
Gaben, mit denen hellenischer Geist die Welt beschenkt hat. Bergetief liegt
unter diesem Kinde des Dionysos alles, was die volksmüßige Vorstellung mit
dem Faßreiter Bacchus, der im Bremer Ratskeller spukt, in Verbindung bringt.

Wir sehen, der Wein kann der Ausgangspunkt für den Idealismus sein;
aber wo sich dieser in seiner höchsten Kraft betätigt, läßt er den Wein weit
hinter sich zurück, wie der Pfeil die Kerbe des Bogens.

Und wenn sich der Idealismus zum Wein wendet und ihm zu huldigen
scheint, so ist es wahrhaftig nicht der Alkohol, den er meint, sondern der
geistige Inhalt, den er aus seinem eignen unerschöpflichen Börne nimmt und
in den Wein hineinlegt. Die Poesie feiert den Maitrank, aber sie meint die
Lieblichkeit der Mainacht. Sie besingt den Abschiedstrunk, aber sie meint die
Wehmut des Scheidens. Sie preist die Reben, die zwischen Frankreich und
dem Böhmerwnld wachsen, aber sie meint die Herrlichkeit des Vaterlandes.

Wo sie aber den Anschein nimmt, als ob sie in dem Wcinschlurf selber
etwas Schönes und zu Feierndes sehe, da macht sie von ihrem Rechte Gebrauch,
die Wirklichkeit zu verklären durch ihr eignes wundersames Licht. Der Dichter
hat die Gabe des Midas. Was er anrührt, wird zu Gold.

Ein zechender Landsknecht war gewiß in Wirklichkeit keine anmutige
Erscheinung; wem aber geht nicht das Herz auf, wenn im Liede des
„tuenden Brüderleins" der verwogne Gesell, dem der Leichtsinn und die Gut¬
mütigkeit aus den Augen lachen, in die Tür der Schenke tritt und der Dirne
urue:

Der Zwerg Perkeo war in Wirklichkeit ein ekelhafter Bursche; unser Scheffel
hat aus ihm einen Philosophen des Weines gemacht, und wer möchte so
poesielos sein, daß er an diesem Perkeo nicht seine Freude hätte? Wenn
jemand sagt, die Poesie solle dergleichen Stoffe meiden, so antwortet ihm die
Muse: Laß deine Finger weg, das verstehst du nicht, denn du bist ein
Philister; mein ist die ganze Welt, dir gehört dein Winkel.


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[0275] Alkohol und Idealismus Wein in seinen Dienst, um die Menschen zu seinen tosenden Dienern zu machen. Aber was widerfuhr dem Gott bei den Hellenen? Er wurde ge¬ mildert, gesittet, geadelt; aus dem Gotte des Rausches wurde der Gott der gesteigerten Lebensfreude, die er allen Menschen gönnt. Er trat neben Ceres hin, der Spenderin des Brotes, und wurde mit ihr der menschenfreundlichste unter den Göttern, der Retter, der Befreier, der Liebling der Sklaven. Aber noch mehr! Er reichte dem hehren Apoll die Hand, er trat in den Reigen der Musen. Der berauschende Strudel wurde gebannt durch das Zauberwort der Kunst. Das tosende Jauchzen, der tolle Sinnengenuß ist aus der Höhe der Gottheit herniedcrgesunken auf den platten Boden, wo des Dionysos dienendes Gezücht, die Satyrn, die Silenen und die Mänaden ihr Wesen treiben; er selber aber, an seine Ariadne gelehnt, sieht in seligem Frieden dem tollen Treiben zu, träumerischen Blicks, in weicher, linder Sehnsucht. Und aus den dionysischen Festen ist die Tragödie erstanden, eine der hehrsten Gaben, mit denen hellenischer Geist die Welt beschenkt hat. Bergetief liegt unter diesem Kinde des Dionysos alles, was die volksmüßige Vorstellung mit dem Faßreiter Bacchus, der im Bremer Ratskeller spukt, in Verbindung bringt. Wir sehen, der Wein kann der Ausgangspunkt für den Idealismus sein; aber wo sich dieser in seiner höchsten Kraft betätigt, läßt er den Wein weit hinter sich zurück, wie der Pfeil die Kerbe des Bogens. Und wenn sich der Idealismus zum Wein wendet und ihm zu huldigen scheint, so ist es wahrhaftig nicht der Alkohol, den er meint, sondern der geistige Inhalt, den er aus seinem eignen unerschöpflichen Börne nimmt und in den Wein hineinlegt. Die Poesie feiert den Maitrank, aber sie meint die Lieblichkeit der Mainacht. Sie besingt den Abschiedstrunk, aber sie meint die Wehmut des Scheidens. Sie preist die Reben, die zwischen Frankreich und dem Böhmerwnld wachsen, aber sie meint die Herrlichkeit des Vaterlandes. Wo sie aber den Anschein nimmt, als ob sie in dem Wcinschlurf selber etwas Schönes und zu Feierndes sehe, da macht sie von ihrem Rechte Gebrauch, die Wirklichkeit zu verklären durch ihr eignes wundersames Licht. Der Dichter hat die Gabe des Midas. Was er anrührt, wird zu Gold. Ein zechender Landsknecht war gewiß in Wirklichkeit keine anmutige Erscheinung; wem aber geht nicht das Herz auf, wenn im Liede des „tuenden Brüderleins" der verwogne Gesell, dem der Leichtsinn und die Gut¬ mütigkeit aus den Augen lachen, in die Tür der Schenke tritt und der Dirne urue: Der Zwerg Perkeo war in Wirklichkeit ein ekelhafter Bursche; unser Scheffel hat aus ihm einen Philosophen des Weines gemacht, und wer möchte so poesielos sein, daß er an diesem Perkeo nicht seine Freude hätte? Wenn jemand sagt, die Poesie solle dergleichen Stoffe meiden, so antwortet ihm die Muse: Laß deine Finger weg, das verstehst du nicht, denn du bist ein Philister; mein ist die ganze Welt, dir gehört dein Winkel.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/275>, abgerufen am 01.07.2024.