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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Die Alabmikerstraße

Verliebt -- die Gräfin sprach das Wort unwillkürlich nach.

Die Äbtissin lachte. Sie machen ein so betroffnes Gesicht, Grafin, als ob ich
etwas Böses gemeint hätte. Ich spreche aber nnr den Bestimmungen nach, die irn
Jahre 1788 von den damaligen Obern des Klosters, dem geistlichen Inspektor, der
Äbtissin und dem gesamten Damenkonvent aufgesetzt worden sind, und darin kommt
der Satz vor, daß eine Äbtissin weder verlobt noch verliebt gewesen sein dürfe.
Verliebt -- auch sie wiederholte das Wort, lehnte sich in ihren hohen Sessel zurück
und sah vor sich hin. Wenn man jung und fröhlich ist, wenn die Sonne den
ganzen Tag lang scheint -- sie räusperte sich ein wenig. Wir sind alle warm¬
herzige Menschenkinder gewesen, und fern liegt es mir, irgendwie richten zu wollen.
Aber zum Beispiel Fräulein von Treuenfels ist verlobt gewesen. Nicht gerade
öffentlich -- dann könnte sie niemals daran denken. Äbtissin werden zu wollen;
"ber doch in einer Weise, daß die Menschen um ihr Geheimnis gewußt haben.
Später ist die Verlobung wieder aufgehoben worden; ich glaube, der Herr war
kein angenehmer Mensch, und niemand denkt mehr an die Sache. Mir aber würde
es doch nicht in den Sinn kommen, Fräulein von Treuenfels als meine Nachfolgerin
vorzuschlagen. Sie verstehen, liebe Gräfin. Eine Äbtissin darf weder einen Mann
geküßt noch Liebesbriefe geschrieben haben. Liebesbriefe! Das ist wirklich ein
abscheulicher Gedanke. Man stelle sich vor. daß solche Briefe noch in der Welt
umherirrten oder in irgend einem Schreibtisch lägen und plötzlich an die Öffentlichkeit
gezogen würden. Eine Zeit wie die heutige hat keine Pietät, und so etwas ist
für diese Stellung undenkbar!

Die alte Dame hatte sich in Aufregung gesprochen. Sie wischte sich die
Stirn, griff nach ihrem Riechfläschchen und schloß die Augen. Draußen im Garten
lärmten die Spatzen, und eine Hummel kam durch das offne Fenster in das stille
Gemach. Laut brummend flog sie gegen die Decke und die Bilderrahmen an den
Wänden. Immer mit einem Schlag und mit verstärktem Brummen. Sie tat sich
weh in diesem Zimmer und konnte doch keinen Ausweg finden, obgleich das Fenster
weit offen stand, und draußen die Blumen des Gartens ans sie warteten.

Unwillkürlich horchte die Gräfin auf die Hummel, und dann blickte sie in den
Garten und sah auf den Rasen, wo die alte graue Sonnenuhr stand. Schon lauge
hatte die dort gestanden, und auf ihren: Zifferblatt war mit Messingbuchstabeu ein¬
gelassen: "Meine Zeit in Unruhe, meine Hoffnung in Gott." Es war der Gräfin.
°is flimmerten die blanken Buchstaben vor ihr auf und nieder. Aber dann schüttelte
sie wie unwillig den Kopf und stand auf, um sich zu verabschiede,,.

Wir haben wohl alles Geschäftliche erledigt, Frau Äbtissin, sagte sie kühl.

Die alte Dame strich sich die weißen Söckchen aus der Stirn. Alles, erwiderte
sie. Nein, verlobt darf man nicht gewesen sein, Gräfin. Sie waren es doch
°und nicht?

Natürlich nicht. Frau Äbtissin!

Das war das letzte Wort, und Betty Eberstein ging langsam durch den Kloster¬
park in ihre Wohnung.


7

Fräulein Asta von Wolffeuradt war in dieser Zeit außerordentlich verstimmt
und traurig. Das kam daher, daß es ihr schwer wurde, sich Gräfin Betty Eber¬
stein als ihre zukünftige Äbtissin zu denken. Sie hatte sich selbst nicht gestanden.
Wie sehr sie in ihrem Herzen darauf gerechnet hatte, diesen Platz einzunehmen, wie
sie seit Jahren mit dem Gedanken beschäftigt gewesen war und es für ganz selbst¬
verständlich gehalten hatte, daß ihr Wunsch in Erfüllung ginge. Nun merkte sie,
daß kein Mensch an sie gedacht hatte, und daß Gräfin Eberstein schon längst für
die Würde bestimmt war. Das Wunderliche dabei war, daß keine der Damen
Betty Eberstein besonders liebte. Dazu war sie nicht liebenswürdig genug, und
manche der Konventualinnen litt unter ihrem bestimmten, hochfahrenden Wesen.
Gerade diese Eigenschaften waren es aber gewesen, die ihr die Anwartschaft auf


Grenzboten I 1904 31
Die Alabmikerstraße

Verliebt — die Gräfin sprach das Wort unwillkürlich nach.

Die Äbtissin lachte. Sie machen ein so betroffnes Gesicht, Grafin, als ob ich
etwas Böses gemeint hätte. Ich spreche aber nnr den Bestimmungen nach, die irn
Jahre 1788 von den damaligen Obern des Klosters, dem geistlichen Inspektor, der
Äbtissin und dem gesamten Damenkonvent aufgesetzt worden sind, und darin kommt
der Satz vor, daß eine Äbtissin weder verlobt noch verliebt gewesen sein dürfe.
Verliebt — auch sie wiederholte das Wort, lehnte sich in ihren hohen Sessel zurück
und sah vor sich hin. Wenn man jung und fröhlich ist, wenn die Sonne den
ganzen Tag lang scheint — sie räusperte sich ein wenig. Wir sind alle warm¬
herzige Menschenkinder gewesen, und fern liegt es mir, irgendwie richten zu wollen.
Aber zum Beispiel Fräulein von Treuenfels ist verlobt gewesen. Nicht gerade
öffentlich — dann könnte sie niemals daran denken. Äbtissin werden zu wollen;
"ber doch in einer Weise, daß die Menschen um ihr Geheimnis gewußt haben.
Später ist die Verlobung wieder aufgehoben worden; ich glaube, der Herr war
kein angenehmer Mensch, und niemand denkt mehr an die Sache. Mir aber würde
es doch nicht in den Sinn kommen, Fräulein von Treuenfels als meine Nachfolgerin
vorzuschlagen. Sie verstehen, liebe Gräfin. Eine Äbtissin darf weder einen Mann
geküßt noch Liebesbriefe geschrieben haben. Liebesbriefe! Das ist wirklich ein
abscheulicher Gedanke. Man stelle sich vor. daß solche Briefe noch in der Welt
umherirrten oder in irgend einem Schreibtisch lägen und plötzlich an die Öffentlichkeit
gezogen würden. Eine Zeit wie die heutige hat keine Pietät, und so etwas ist
für diese Stellung undenkbar!

Die alte Dame hatte sich in Aufregung gesprochen. Sie wischte sich die
Stirn, griff nach ihrem Riechfläschchen und schloß die Augen. Draußen im Garten
lärmten die Spatzen, und eine Hummel kam durch das offne Fenster in das stille
Gemach. Laut brummend flog sie gegen die Decke und die Bilderrahmen an den
Wänden. Immer mit einem Schlag und mit verstärktem Brummen. Sie tat sich
weh in diesem Zimmer und konnte doch keinen Ausweg finden, obgleich das Fenster
weit offen stand, und draußen die Blumen des Gartens ans sie warteten.

Unwillkürlich horchte die Gräfin auf die Hummel, und dann blickte sie in den
Garten und sah auf den Rasen, wo die alte graue Sonnenuhr stand. Schon lauge
hatte die dort gestanden, und auf ihren: Zifferblatt war mit Messingbuchstabeu ein¬
gelassen: „Meine Zeit in Unruhe, meine Hoffnung in Gott." Es war der Gräfin.
°is flimmerten die blanken Buchstaben vor ihr auf und nieder. Aber dann schüttelte
sie wie unwillig den Kopf und stand auf, um sich zu verabschiede,,.

Wir haben wohl alles Geschäftliche erledigt, Frau Äbtissin, sagte sie kühl.

Die alte Dame strich sich die weißen Söckchen aus der Stirn. Alles, erwiderte
sie. Nein, verlobt darf man nicht gewesen sein, Gräfin. Sie waren es doch
°und nicht?

Natürlich nicht. Frau Äbtissin!

Das war das letzte Wort, und Betty Eberstein ging langsam durch den Kloster¬
park in ihre Wohnung.


7

Fräulein Asta von Wolffeuradt war in dieser Zeit außerordentlich verstimmt
und traurig. Das kam daher, daß es ihr schwer wurde, sich Gräfin Betty Eber¬
stein als ihre zukünftige Äbtissin zu denken. Sie hatte sich selbst nicht gestanden.
Wie sehr sie in ihrem Herzen darauf gerechnet hatte, diesen Platz einzunehmen, wie
sie seit Jahren mit dem Gedanken beschäftigt gewesen war und es für ganz selbst¬
verständlich gehalten hatte, daß ihr Wunsch in Erfüllung ginge. Nun merkte sie,
daß kein Mensch an sie gedacht hatte, und daß Gräfin Eberstein schon längst für
die Würde bestimmt war. Das Wunderliche dabei war, daß keine der Damen
Betty Eberstein besonders liebte. Dazu war sie nicht liebenswürdig genug, und
manche der Konventualinnen litt unter ihrem bestimmten, hochfahrenden Wesen.
Gerade diese Eigenschaften waren es aber gewesen, die ihr die Anwartschaft auf


Grenzboten I 1904 31
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[0247] Die Alabmikerstraße Verliebt — die Gräfin sprach das Wort unwillkürlich nach. Die Äbtissin lachte. Sie machen ein so betroffnes Gesicht, Grafin, als ob ich etwas Böses gemeint hätte. Ich spreche aber nnr den Bestimmungen nach, die irn Jahre 1788 von den damaligen Obern des Klosters, dem geistlichen Inspektor, der Äbtissin und dem gesamten Damenkonvent aufgesetzt worden sind, und darin kommt der Satz vor, daß eine Äbtissin weder verlobt noch verliebt gewesen sein dürfe. Verliebt — auch sie wiederholte das Wort, lehnte sich in ihren hohen Sessel zurück und sah vor sich hin. Wenn man jung und fröhlich ist, wenn die Sonne den ganzen Tag lang scheint — sie räusperte sich ein wenig. Wir sind alle warm¬ herzige Menschenkinder gewesen, und fern liegt es mir, irgendwie richten zu wollen. Aber zum Beispiel Fräulein von Treuenfels ist verlobt gewesen. Nicht gerade öffentlich — dann könnte sie niemals daran denken. Äbtissin werden zu wollen; "ber doch in einer Weise, daß die Menschen um ihr Geheimnis gewußt haben. Später ist die Verlobung wieder aufgehoben worden; ich glaube, der Herr war kein angenehmer Mensch, und niemand denkt mehr an die Sache. Mir aber würde es doch nicht in den Sinn kommen, Fräulein von Treuenfels als meine Nachfolgerin vorzuschlagen. Sie verstehen, liebe Gräfin. Eine Äbtissin darf weder einen Mann geküßt noch Liebesbriefe geschrieben haben. Liebesbriefe! Das ist wirklich ein abscheulicher Gedanke. Man stelle sich vor. daß solche Briefe noch in der Welt umherirrten oder in irgend einem Schreibtisch lägen und plötzlich an die Öffentlichkeit gezogen würden. Eine Zeit wie die heutige hat keine Pietät, und so etwas ist für diese Stellung undenkbar! Die alte Dame hatte sich in Aufregung gesprochen. Sie wischte sich die Stirn, griff nach ihrem Riechfläschchen und schloß die Augen. Draußen im Garten lärmten die Spatzen, und eine Hummel kam durch das offne Fenster in das stille Gemach. Laut brummend flog sie gegen die Decke und die Bilderrahmen an den Wänden. Immer mit einem Schlag und mit verstärktem Brummen. Sie tat sich weh in diesem Zimmer und konnte doch keinen Ausweg finden, obgleich das Fenster weit offen stand, und draußen die Blumen des Gartens ans sie warteten. Unwillkürlich horchte die Gräfin auf die Hummel, und dann blickte sie in den Garten und sah auf den Rasen, wo die alte graue Sonnenuhr stand. Schon lauge hatte die dort gestanden, und auf ihren: Zifferblatt war mit Messingbuchstabeu ein¬ gelassen: „Meine Zeit in Unruhe, meine Hoffnung in Gott." Es war der Gräfin. °is flimmerten die blanken Buchstaben vor ihr auf und nieder. Aber dann schüttelte sie wie unwillig den Kopf und stand auf, um sich zu verabschiede,,. Wir haben wohl alles Geschäftliche erledigt, Frau Äbtissin, sagte sie kühl. Die alte Dame strich sich die weißen Söckchen aus der Stirn. Alles, erwiderte sie. Nein, verlobt darf man nicht gewesen sein, Gräfin. Sie waren es doch °und nicht? Natürlich nicht. Frau Äbtissin! Das war das letzte Wort, und Betty Eberstein ging langsam durch den Kloster¬ park in ihre Wohnung. 7 Fräulein Asta von Wolffeuradt war in dieser Zeit außerordentlich verstimmt und traurig. Das kam daher, daß es ihr schwer wurde, sich Gräfin Betty Eber¬ stein als ihre zukünftige Äbtissin zu denken. Sie hatte sich selbst nicht gestanden. Wie sehr sie in ihrem Herzen darauf gerechnet hatte, diesen Platz einzunehmen, wie sie seit Jahren mit dem Gedanken beschäftigt gewesen war und es für ganz selbst¬ verständlich gehalten hatte, daß ihr Wunsch in Erfüllung ginge. Nun merkte sie, daß kein Mensch an sie gedacht hatte, und daß Gräfin Eberstein schon längst für die Würde bestimmt war. Das Wunderliche dabei war, daß keine der Damen Betty Eberstein besonders liebte. Dazu war sie nicht liebenswürdig genug, und manche der Konventualinnen litt unter ihrem bestimmten, hochfahrenden Wesen. Gerade diese Eigenschaften waren es aber gewesen, die ihr die Anwartschaft auf Grenzboten I 1904 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/247>, abgerufen am 29.06.2024.