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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Zur preußisch-polnischen Vereinsfrage

nach Westeuropa im Gefolge der römischen Heere. Soll die deutsche Bildung
nicht nur als Kulturdünger zugunsten fremder Völker wirken, wie im wesent¬
lichen bisher, so muß Deutschland zur wirklichen Weltmacht werden, es muß
einen viel größern Teil der Erdoberfläche für sich in Anspruch nehmen als
bisher. Wer an diesem Ringen nicht energisch teilnimmt, der wird verdienter¬
maßen leer ausgehn. Ob aber die Entscheidung so oder so fallen wird, ob
wir in unsrer europäischen Beschränkung verkümmern oder einen unsers innern
Wertes würdigen Anteil an der Weltherrschaft der weißen Nasse erringen sollen
,
* das hängt vor allem vom deutschen Volke ab.




Zur preußisch-polnischen Oereinsfrage
von Ludwig Trampe (Fortsetzung)

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MD,,er das Gesetz vom 11. Dezember 1899 liest, ohne seine Vorgeschichte
zu kennen, dem muß eigentlich der Verstand stille stehn. Erscheint die
Rechtsprechung und die Berwaltungspraxis über "politische Vereine
und Verbindungsfreiheit" wenig glücklich, so kann von diesem Gesetz
! nur gesagt werden, daß es eine Schöpfung blinder Erregung ist,
ein überstürztes Augenblicksmachwerk, bei dem die Vernunft vor der Leidenschaft
nicht aufgekommen, und bei dem das Kind mit dem Bade ausgeschüttet worden
ist. Das Gesetz nimmt dem Staate zugunsten einer gesellschaftlichen Einzelgröße
ein Hoheitsrecht, auf das er um der Allgemeinheit willen gar nicht verzichten
kann; denn "der Staat ist, wie es am kürzesten Löning in Conrads Handwörter¬
buch der Staatswissenschaften VII, 382 ff. ausdrückt, um seiner selbst willen, um
die gesamte rechtliche und gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu halten, genötigt,
das Vereinswesen seiner Aufsicht zu unterwerfen." Sind die Negierung und
die Gerichte mit ihrer Auslegung des Vereinsgesetzes nach Ansicht der parla¬
mentarischen Mehrheitsgruppen von heute zu weit gegangen, so hat das diesen
doch nimmermehr das Recht gegeben, ein Gesetz zu ertrotzen, das mit gewollten
Auftrumpfen gegen die ihnen greuliche Auslegung weit über das Ziel hinaus¬
greift und eine schwere Schädigung des Staats und seiner Gesamtbürgerschaft
gezeitigt hat.

Damit haben die deutschen Volksvertreter in ihrer großen Masse wieder
einmal bewiesen, daß bei ihnen vor den gesellschaftlichen Neigungen die Staats¬
notwendigkeiten schweigen müssen. Der alte Jammer der deutschen Geschichte!
Wieder einmal auch muß Preußen den Schaden von dem tragen, was das Reich
gesündigt hat. Dieses Neichsgesetz hat nämlich Preußen die Möglichkeit genommen,
mit den polnischen Vereinen, die im vollen Sinne des Begriffs politische Vereine
sind, auf Grund der Tatsache, daß sie insgesamt miteinander in Verbindung
stehn, unter Anwendung der Paragraphen 8 und 16 der Verordnung mit einem
Schlag aufzuräumen. Das ist jetzt für Preußen vorbei. Die schmähliche, vom


Zur preußisch-polnischen Vereinsfrage

nach Westeuropa im Gefolge der römischen Heere. Soll die deutsche Bildung
nicht nur als Kulturdünger zugunsten fremder Völker wirken, wie im wesent¬
lichen bisher, so muß Deutschland zur wirklichen Weltmacht werden, es muß
einen viel größern Teil der Erdoberfläche für sich in Anspruch nehmen als
bisher. Wer an diesem Ringen nicht energisch teilnimmt, der wird verdienter¬
maßen leer ausgehn. Ob aber die Entscheidung so oder so fallen wird, ob
wir in unsrer europäischen Beschränkung verkümmern oder einen unsers innern
Wertes würdigen Anteil an der Weltherrschaft der weißen Nasse erringen sollen
,
* das hängt vor allem vom deutschen Volke ab.




Zur preußisch-polnischen Oereinsfrage
von Ludwig Trampe (Fortsetzung)

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MD,,er das Gesetz vom 11. Dezember 1899 liest, ohne seine Vorgeschichte
zu kennen, dem muß eigentlich der Verstand stille stehn. Erscheint die
Rechtsprechung und die Berwaltungspraxis über „politische Vereine
und Verbindungsfreiheit" wenig glücklich, so kann von diesem Gesetz
! nur gesagt werden, daß es eine Schöpfung blinder Erregung ist,
ein überstürztes Augenblicksmachwerk, bei dem die Vernunft vor der Leidenschaft
nicht aufgekommen, und bei dem das Kind mit dem Bade ausgeschüttet worden
ist. Das Gesetz nimmt dem Staate zugunsten einer gesellschaftlichen Einzelgröße
ein Hoheitsrecht, auf das er um der Allgemeinheit willen gar nicht verzichten
kann; denn „der Staat ist, wie es am kürzesten Löning in Conrads Handwörter¬
buch der Staatswissenschaften VII, 382 ff. ausdrückt, um seiner selbst willen, um
die gesamte rechtliche und gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu halten, genötigt,
das Vereinswesen seiner Aufsicht zu unterwerfen." Sind die Negierung und
die Gerichte mit ihrer Auslegung des Vereinsgesetzes nach Ansicht der parla¬
mentarischen Mehrheitsgruppen von heute zu weit gegangen, so hat das diesen
doch nimmermehr das Recht gegeben, ein Gesetz zu ertrotzen, das mit gewollten
Auftrumpfen gegen die ihnen greuliche Auslegung weit über das Ziel hinaus¬
greift und eine schwere Schädigung des Staats und seiner Gesamtbürgerschaft
gezeitigt hat.

Damit haben die deutschen Volksvertreter in ihrer großen Masse wieder
einmal bewiesen, daß bei ihnen vor den gesellschaftlichen Neigungen die Staats¬
notwendigkeiten schweigen müssen. Der alte Jammer der deutschen Geschichte!
Wieder einmal auch muß Preußen den Schaden von dem tragen, was das Reich
gesündigt hat. Dieses Neichsgesetz hat nämlich Preußen die Möglichkeit genommen,
mit den polnischen Vereinen, die im vollen Sinne des Begriffs politische Vereine
sind, auf Grund der Tatsache, daß sie insgesamt miteinander in Verbindung
stehn, unter Anwendung der Paragraphen 8 und 16 der Verordnung mit einem
Schlag aufzuräumen. Das ist jetzt für Preußen vorbei. Die schmähliche, vom


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[0208] Zur preußisch-polnischen Vereinsfrage nach Westeuropa im Gefolge der römischen Heere. Soll die deutsche Bildung nicht nur als Kulturdünger zugunsten fremder Völker wirken, wie im wesent¬ lichen bisher, so muß Deutschland zur wirklichen Weltmacht werden, es muß einen viel größern Teil der Erdoberfläche für sich in Anspruch nehmen als bisher. Wer an diesem Ringen nicht energisch teilnimmt, der wird verdienter¬ maßen leer ausgehn. Ob aber die Entscheidung so oder so fallen wird, ob wir in unsrer europäischen Beschränkung verkümmern oder einen unsers innern Wertes würdigen Anteil an der Weltherrschaft der weißen Nasse erringen sollen , * das hängt vor allem vom deutschen Volke ab. Zur preußisch-polnischen Oereinsfrage von Ludwig Trampe (Fortsetzung) v^M0 W>' MD,,er das Gesetz vom 11. Dezember 1899 liest, ohne seine Vorgeschichte zu kennen, dem muß eigentlich der Verstand stille stehn. Erscheint die Rechtsprechung und die Berwaltungspraxis über „politische Vereine und Verbindungsfreiheit" wenig glücklich, so kann von diesem Gesetz ! nur gesagt werden, daß es eine Schöpfung blinder Erregung ist, ein überstürztes Augenblicksmachwerk, bei dem die Vernunft vor der Leidenschaft nicht aufgekommen, und bei dem das Kind mit dem Bade ausgeschüttet worden ist. Das Gesetz nimmt dem Staate zugunsten einer gesellschaftlichen Einzelgröße ein Hoheitsrecht, auf das er um der Allgemeinheit willen gar nicht verzichten kann; denn „der Staat ist, wie es am kürzesten Löning in Conrads Handwörter¬ buch der Staatswissenschaften VII, 382 ff. ausdrückt, um seiner selbst willen, um die gesamte rechtliche und gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu halten, genötigt, das Vereinswesen seiner Aufsicht zu unterwerfen." Sind die Negierung und die Gerichte mit ihrer Auslegung des Vereinsgesetzes nach Ansicht der parla¬ mentarischen Mehrheitsgruppen von heute zu weit gegangen, so hat das diesen doch nimmermehr das Recht gegeben, ein Gesetz zu ertrotzen, das mit gewollten Auftrumpfen gegen die ihnen greuliche Auslegung weit über das Ziel hinaus¬ greift und eine schwere Schädigung des Staats und seiner Gesamtbürgerschaft gezeitigt hat. Damit haben die deutschen Volksvertreter in ihrer großen Masse wieder einmal bewiesen, daß bei ihnen vor den gesellschaftlichen Neigungen die Staats¬ notwendigkeiten schweigen müssen. Der alte Jammer der deutschen Geschichte! Wieder einmal auch muß Preußen den Schaden von dem tragen, was das Reich gesündigt hat. Dieses Neichsgesetz hat nämlich Preußen die Möglichkeit genommen, mit den polnischen Vereinen, die im vollen Sinne des Begriffs politische Vereine sind, auf Grund der Tatsache, daß sie insgesamt miteinander in Verbindung stehn, unter Anwendung der Paragraphen 8 und 16 der Verordnung mit einem Schlag aufzuräumen. Das ist jetzt für Preußen vorbei. Die schmähliche, vom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/208>, abgerufen am 29.06.2024.