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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Von der Technik

UMLle Verzweigung der menschlichen Tätigkeiten und der Berufe gehört
zu deu interessantesten Erscheinungen des Kulturfortschritts. Die
Volksführer, die sich im Anfang der Entwicklung von der Menge
absondern, haben entweder priesterliches oder kriegerisches Gepräge
^oder von beidem etwas, oder spalten sich in einen geistlichen und
in einen kriegerischen Grundadel. Vom Bauernstande löst sich das Gewerbe ab.
Im europäischen Mittelalter beginnt dann die Verzweigung der Leitenden mit
der Gründung von drei weltlichen Fakultäten neben der theologischen. Vom
Geistlichen stammt alles ab, was mit Mund und Feder arbeitet, wie das eng¬
lische Wort vim-Je bezeugt (man darf nicht sagen, mit Hirn und Feder, denn
ohne Hirn arbeitet nicht einmal der Zugochs, obwohl natürlich bei den gelehrten
Standen der Anteil des Hirns den der Muskeln überwiegt), doch bleiben an¬
fänglich die weltlichen Fakultäten noch innig verbunden mit dem Klerus; ihre
Angehörigen leben klösterlich, wie heute noch die englischen Hochschullehrer und
Studenten, und kirchliche Stiftungen gewähren den meisten von ihnen den Lebens¬
unterhalt. ' Das städtische Gewerbe verzweigt sich in einige Dutzend nach Besitz,
Macht und Rang abgestufte Zünfte und regiert sich selbst, nachdem es das Joch
der weltlichen und der geistlichen Grundherrschaften abgeschüttelt hat. Vom
sechzehnten Jahrhundert ab schreitet die Verzweigung des Standes der Ritter
von der Feder, vom Ende des achtzehnten Jahrhunderts ab die des Gewerbes
in einem beschleunigten Tempo fort, das um das Ende des neunzehnten schon
rasend geworden ist. Der moderne Staat bedarf einer Unzahl von Beamten
verschiedner Art, die meist dem Juristenstande entnommen werden, in keinem
Zusammenhange mehr mit dem Klerus stehn und vielfach -- hie und da schon
im dreizehnten Jahrhundert -- in feindlichen Gegensatz zu ihm treten. Dem
weltlichen Lehrerstande ist es bis auf den heutigen Tag noch nicht gelungen,
seine Nabelschnur vollständig zu durchschneiden. Was aber das Gewerbe betrifft,
so sind seiner Zweige so viele geworden, daß es vielleicht nicht einmal einen
Fachmann gibt, der von allen die Namen wüßte. Eine Brücke zwischen Hammer
und Tintenfaß hat zuerst die zum Monstrum angeschwollne philosophische Fakultät
geschlagen, die auch die gelehrten Berufe untereinander verbindet. Sie hat die
technischen' Schulen geboren, und deren Zöglinge machen jetzt Miene, die Herr¬
schaft der Welt anzutreten. Über zu knappes Einkommen haben sie sich nach
Ansicht der Staatsbeamten nicht zu beschweren, und ihren Ehrgeiz hat man rin
dem Dr. InA. zu befriedigen gemeint. Aber darin täuscht man sich. Sie er¬
streben die Oberleitung der Staatsverwaltung und die Herrschaft über die gewerb¬
lichen Unternehmungen, wie man aus dem Buche ersieht: Das System der
technischen Arbeit von Max Kraft, o. ö. Professor in Graz. (Leipzig. Arthur
Felix, 1902.) Der Verfasser will die Techniker für ihre hohe Bestimmung aus-




Von der Technik

UMLle Verzweigung der menschlichen Tätigkeiten und der Berufe gehört
zu deu interessantesten Erscheinungen des Kulturfortschritts. Die
Volksführer, die sich im Anfang der Entwicklung von der Menge
absondern, haben entweder priesterliches oder kriegerisches Gepräge
^oder von beidem etwas, oder spalten sich in einen geistlichen und
in einen kriegerischen Grundadel. Vom Bauernstande löst sich das Gewerbe ab.
Im europäischen Mittelalter beginnt dann die Verzweigung der Leitenden mit
der Gründung von drei weltlichen Fakultäten neben der theologischen. Vom
Geistlichen stammt alles ab, was mit Mund und Feder arbeitet, wie das eng¬
lische Wort vim-Je bezeugt (man darf nicht sagen, mit Hirn und Feder, denn
ohne Hirn arbeitet nicht einmal der Zugochs, obwohl natürlich bei den gelehrten
Standen der Anteil des Hirns den der Muskeln überwiegt), doch bleiben an¬
fänglich die weltlichen Fakultäten noch innig verbunden mit dem Klerus; ihre
Angehörigen leben klösterlich, wie heute noch die englischen Hochschullehrer und
Studenten, und kirchliche Stiftungen gewähren den meisten von ihnen den Lebens¬
unterhalt. ' Das städtische Gewerbe verzweigt sich in einige Dutzend nach Besitz,
Macht und Rang abgestufte Zünfte und regiert sich selbst, nachdem es das Joch
der weltlichen und der geistlichen Grundherrschaften abgeschüttelt hat. Vom
sechzehnten Jahrhundert ab schreitet die Verzweigung des Standes der Ritter
von der Feder, vom Ende des achtzehnten Jahrhunderts ab die des Gewerbes
in einem beschleunigten Tempo fort, das um das Ende des neunzehnten schon
rasend geworden ist. Der moderne Staat bedarf einer Unzahl von Beamten
verschiedner Art, die meist dem Juristenstande entnommen werden, in keinem
Zusammenhange mehr mit dem Klerus stehn und vielfach — hie und da schon
im dreizehnten Jahrhundert — in feindlichen Gegensatz zu ihm treten. Dem
weltlichen Lehrerstande ist es bis auf den heutigen Tag noch nicht gelungen,
seine Nabelschnur vollständig zu durchschneiden. Was aber das Gewerbe betrifft,
so sind seiner Zweige so viele geworden, daß es vielleicht nicht einmal einen
Fachmann gibt, der von allen die Namen wüßte. Eine Brücke zwischen Hammer
und Tintenfaß hat zuerst die zum Monstrum angeschwollne philosophische Fakultät
geschlagen, die auch die gelehrten Berufe untereinander verbindet. Sie hat die
technischen' Schulen geboren, und deren Zöglinge machen jetzt Miene, die Herr¬
schaft der Welt anzutreten. Über zu knappes Einkommen haben sie sich nach
Ansicht der Staatsbeamten nicht zu beschweren, und ihren Ehrgeiz hat man rin
dem Dr. InA. zu befriedigen gemeint. Aber darin täuscht man sich. Sie er¬
streben die Oberleitung der Staatsverwaltung und die Herrschaft über die gewerb¬
lichen Unternehmungen, wie man aus dem Buche ersieht: Das System der
technischen Arbeit von Max Kraft, o. ö. Professor in Graz. (Leipzig. Arthur
Felix, 1902.) Der Verfasser will die Techniker für ihre hohe Bestimmung aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/155>, abgerufen am 29.06.2024.