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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Der Armeekonflikt in Ungarn

ungarischen Heereskrise leider wieder ein neues Glied in der langen Reihe
der verpaßten Gelegenheiten. Ihre Führer mögen für die Niederungen der
Fraktionspolitik geeignet sein, auf die Höhen einer weitschauenden Politik
haben sie noch keinen Pfad gefunden. Ihr ganzes Treiben erschöpft sich in
weinerlicher, stellenweiser heftiger, aber immer "impotenter Raunzerei," wie
Steinwender treffend gesagt hat. Die Angriffe gegen das Ministerium Körber,
die von ganz andern Leuten hinter der Szene ins Werk gesetzt werden,
mehren sich bei ihnen, und immer erscheint am Schlüsse der bekannte tschechische
Beamte, der an einen deutschen Ort versetzt wurde, während doch niemand
den deutschen Beamten zu zeigen vermag, der übergangen worden wäre, weil
er überhaupt nicht vorhanden ist.

Fürst Bismarck hat vor vielen Jahren den Deutschösterreichern geraten,
ihre neuere Geschichte zu studieren, damit sie die Fehler erkennten, die gemacht
worden sind. Aber das tun sie nicht, und darum ist ihnen unbekannt, wo
der Irrweg eingeschlagen worden ist, und sie tasten nun auf allen möglichen
Pfaden herum, von denen keiner zum Ziel führen kann, weil keiner der rechte
ist. Wie stellen sich denn die Herren eigentlich die Dinge vor, die nach einem
Ministerium Körber kommen würden? Was ihnen günstigeres soll denn nach¬
kommen! Die Gelegenheit, in der Heeresfrage wieder die den Deutschöster¬
reichern im Staate gebührende Stellung einzunehmen, haben sie richtig ver¬
paßt, aber gerade die letzte Wendung bietet ihnen den Anknüpfungspunkt zu
einem neuen Anschluß und Entschluß. Ans den Äußerungen des Monarchen
bei dem Empfang der Delegationsmitglieder kann man leicht einen Schluß
auf die künftige Politik ziehn. Der Kaiser hält die militärischen Zugeständnisse
an Ungarn für abgeschlossen, wünscht aber den Abschluß des Ausgleichs und
rechnet dabei auf die endige Mitwirkung der Deutschen; an eine Änderung der
innern Politik zugunsten der Tschechen oder andrer Slawen ist nicht zu denken.
Das könnte bloß anders werden, wenn die Deutschen wieder versagten. Die
so skizzierte innerpolitische Lage bleibt ja immerhin voller Schwierigkeiten, aber
sie bietet den Deutschen eine brauchbare Grundlage, noch einem zweiten Rat
des Fürsten Bismarck zu folgen und die verloren gegangne Anknüpfung ihrer
Interessen an die der Krone wiederzugewinnen. Für schwache Seelen mag
es ja leichter sein, die Verantwortung für den doch unvermeidlichen Ausgleich
dem Paragraphen 14 zuzuschieben, wer aber den Mut hat, seinen Wühlern
offen ins Auge zu sehen und auch eine vorübergehende Unpopularitüt nicht
zu scheuen, der möge den Ernst der Stunde in Erwägung ziehn. Alle solche
Widerwärtigkeiten rein persönlicher Natur würden mehr als reichlich aus¬
geglichen werden durch die ohne Zweifel dadurch gewonnene Möglichkeit, daß
die Deutschen die nationale Frage in einer ihnen nicht nachteiligen Weise
lösen könnten. Die Hoffnung auf einen Entschluß zu dieser rettenden Tat
ist freilich gering, die Furcht vor schönerer und Wolf ist zu groß, und der
Operettenwitz: "Es gibt keine Männer mehr" dürfte noch einmal zur Wahr¬
heit werden.




Der Armeekonflikt in Ungarn

ungarischen Heereskrise leider wieder ein neues Glied in der langen Reihe
der verpaßten Gelegenheiten. Ihre Führer mögen für die Niederungen der
Fraktionspolitik geeignet sein, auf die Höhen einer weitschauenden Politik
haben sie noch keinen Pfad gefunden. Ihr ganzes Treiben erschöpft sich in
weinerlicher, stellenweiser heftiger, aber immer „impotenter Raunzerei," wie
Steinwender treffend gesagt hat. Die Angriffe gegen das Ministerium Körber,
die von ganz andern Leuten hinter der Szene ins Werk gesetzt werden,
mehren sich bei ihnen, und immer erscheint am Schlüsse der bekannte tschechische
Beamte, der an einen deutschen Ort versetzt wurde, während doch niemand
den deutschen Beamten zu zeigen vermag, der übergangen worden wäre, weil
er überhaupt nicht vorhanden ist.

Fürst Bismarck hat vor vielen Jahren den Deutschösterreichern geraten,
ihre neuere Geschichte zu studieren, damit sie die Fehler erkennten, die gemacht
worden sind. Aber das tun sie nicht, und darum ist ihnen unbekannt, wo
der Irrweg eingeschlagen worden ist, und sie tasten nun auf allen möglichen
Pfaden herum, von denen keiner zum Ziel führen kann, weil keiner der rechte
ist. Wie stellen sich denn die Herren eigentlich die Dinge vor, die nach einem
Ministerium Körber kommen würden? Was ihnen günstigeres soll denn nach¬
kommen! Die Gelegenheit, in der Heeresfrage wieder die den Deutschöster¬
reichern im Staate gebührende Stellung einzunehmen, haben sie richtig ver¬
paßt, aber gerade die letzte Wendung bietet ihnen den Anknüpfungspunkt zu
einem neuen Anschluß und Entschluß. Ans den Äußerungen des Monarchen
bei dem Empfang der Delegationsmitglieder kann man leicht einen Schluß
auf die künftige Politik ziehn. Der Kaiser hält die militärischen Zugeständnisse
an Ungarn für abgeschlossen, wünscht aber den Abschluß des Ausgleichs und
rechnet dabei auf die endige Mitwirkung der Deutschen; an eine Änderung der
innern Politik zugunsten der Tschechen oder andrer Slawen ist nicht zu denken.
Das könnte bloß anders werden, wenn die Deutschen wieder versagten. Die
so skizzierte innerpolitische Lage bleibt ja immerhin voller Schwierigkeiten, aber
sie bietet den Deutschen eine brauchbare Grundlage, noch einem zweiten Rat
des Fürsten Bismarck zu folgen und die verloren gegangne Anknüpfung ihrer
Interessen an die der Krone wiederzugewinnen. Für schwache Seelen mag
es ja leichter sein, die Verantwortung für den doch unvermeidlichen Ausgleich
dem Paragraphen 14 zuzuschieben, wer aber den Mut hat, seinen Wühlern
offen ins Auge zu sehen und auch eine vorübergehende Unpopularitüt nicht
zu scheuen, der möge den Ernst der Stunde in Erwägung ziehn. Alle solche
Widerwärtigkeiten rein persönlicher Natur würden mehr als reichlich aus¬
geglichen werden durch die ohne Zweifel dadurch gewonnene Möglichkeit, daß
die Deutschen die nationale Frage in einer ihnen nicht nachteiligen Weise
lösen könnten. Die Hoffnung auf einen Entschluß zu dieser rettenden Tat
ist freilich gering, die Furcht vor schönerer und Wolf ist zu groß, und der
Operettenwitz: „Es gibt keine Männer mehr" dürfte noch einmal zur Wahr¬
heit werden.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/154>, abgerufen am 01.07.2024.