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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Der Armeekonflikt in Ungarn

Leben sind sie unlöslich, meist unmerklich verwoben. Wo er geht, da gehn sie
mit, wo er spricht, da sprechen sie mit. Das geschieht, wo zwei oder drei ver¬
sammelt sind, das geschieht, wo Vereinsglieder die Köpfe zusammenstecken. Ein
Unding ist es, daß in Vereinen, und wäre ihr Hauptzweck noch so bieder-
meierisch, nationalökonomische oder sozialpolitische Fragen, diese heute jeden
Deutschen bewegenden Angelegenheiten, nicht irgendwie zum Worte kommen
sollten. Bei solcher Sachlage ist es möglich gewesen, daß dem Vereinsleben
von der Polizei nach den Anordnungen des Vereinsgesetzes ernste Schwierig¬
keiten bereitet werden konnten. Insbesondre hat bedeutendern Vereinen, wenn
sie dem natürlichen Zuge der Dinge folgten, wenn sie dem Zwange ihrer
Interessen gemäß miteinander in Verbindung traten, ohne andre, tiefere Gründe
kurzerhand mit dem Paragraphen 8 Spalte d ein Ende gemacht werden
können. Von dieser Befugnis ist oft genug, auch aus bureaukratischer Klein-
meisterei, Gebrauch gemacht worden. Je häusiger das geschah, um so schwerer
erschien im Laufe der Zeit, wie die "politischen Köpfe" sagten, das Recht der
"Koalitionsfreiheit," dieses liberal-demokratische Ideal, grundsätzlich gefährdet.
Das ist weithin, und nicht etwa nur von den Sozialisten, als ein böser
Mißgriff der Behörden empfunden worden. Kann auch keine Rede davon sein,
daß die Verwaltung oder das Gericht in irgend einem Falle gegen das be¬
stehende Recht nach der Spruchpraxis der höchsten Gerichte verstoßen hat, so
kann doch andrerseits nicht verkannt werden, daß sich diese Gesetzesauslegung
zu der Auffassung des Volks in schroffen Widerspruch gestellt hat. Das Vereins¬
wesen ist ein wertvolles Gut des Deutschtums. An ihm und an seiner freien
Entfaltung hängen deutsche Menschen. Was sich dagegen richtet, das empfindet
das Volk als eine Antastung der Grundbedingungen seines Lebens. Darum
hat diese Entwicklung der Rechtsprechung schlimme Folgen nach sich gezogen.
Sie hat das Neichsgesetz vom 11. Dezember 1899 heraufgeführt, das von dem
Parlamente der Regierung geradezu abgezwungen worden ist, und zwar unter
Reden und Szenen im Reichstage, die bei Bismarcks Kanzlerschaft einfach un¬
möglich gewesen wären. Das Gesetz lautet: "Jrländische Vereine jeder Art
dürfen mit einander in Verbindung treten. Entgegenstehende landesgesctzliche Be¬
stimmungen sind aufgehoben." ^




Der Armeekonflikt in Ungarn
von Albin Geyer (Schluß)

Thebens
Krones ist nun nötig, einen Blick auf Österreich und die dortigen
Ereignisse zu werfen. Daß das Ministerium Körber wegen der
Zurückziehung der Wehrvorlage durch den Grafen Khuen seine
Demission genommen hatte, ist schon berichtet worden. Es
freuten sich manche Leute in Österreich darüber, nicht bloß die
en allein, sondern auch die Kreise, die im geheimen die gegen die
gerichtete demokratisch-parlamentarische Opposition der Magyaren gern"


Der Armeekonflikt in Ungarn

Leben sind sie unlöslich, meist unmerklich verwoben. Wo er geht, da gehn sie
mit, wo er spricht, da sprechen sie mit. Das geschieht, wo zwei oder drei ver¬
sammelt sind, das geschieht, wo Vereinsglieder die Köpfe zusammenstecken. Ein
Unding ist es, daß in Vereinen, und wäre ihr Hauptzweck noch so bieder-
meierisch, nationalökonomische oder sozialpolitische Fragen, diese heute jeden
Deutschen bewegenden Angelegenheiten, nicht irgendwie zum Worte kommen
sollten. Bei solcher Sachlage ist es möglich gewesen, daß dem Vereinsleben
von der Polizei nach den Anordnungen des Vereinsgesetzes ernste Schwierig¬
keiten bereitet werden konnten. Insbesondre hat bedeutendern Vereinen, wenn
sie dem natürlichen Zuge der Dinge folgten, wenn sie dem Zwange ihrer
Interessen gemäß miteinander in Verbindung traten, ohne andre, tiefere Gründe
kurzerhand mit dem Paragraphen 8 Spalte d ein Ende gemacht werden
können. Von dieser Befugnis ist oft genug, auch aus bureaukratischer Klein-
meisterei, Gebrauch gemacht worden. Je häusiger das geschah, um so schwerer
erschien im Laufe der Zeit, wie die „politischen Köpfe" sagten, das Recht der
„Koalitionsfreiheit," dieses liberal-demokratische Ideal, grundsätzlich gefährdet.
Das ist weithin, und nicht etwa nur von den Sozialisten, als ein böser
Mißgriff der Behörden empfunden worden. Kann auch keine Rede davon sein,
daß die Verwaltung oder das Gericht in irgend einem Falle gegen das be¬
stehende Recht nach der Spruchpraxis der höchsten Gerichte verstoßen hat, so
kann doch andrerseits nicht verkannt werden, daß sich diese Gesetzesauslegung
zu der Auffassung des Volks in schroffen Widerspruch gestellt hat. Das Vereins¬
wesen ist ein wertvolles Gut des Deutschtums. An ihm und an seiner freien
Entfaltung hängen deutsche Menschen. Was sich dagegen richtet, das empfindet
das Volk als eine Antastung der Grundbedingungen seines Lebens. Darum
hat diese Entwicklung der Rechtsprechung schlimme Folgen nach sich gezogen.
Sie hat das Neichsgesetz vom 11. Dezember 1899 heraufgeführt, das von dem
Parlamente der Regierung geradezu abgezwungen worden ist, und zwar unter
Reden und Szenen im Reichstage, die bei Bismarcks Kanzlerschaft einfach un¬
möglich gewesen wären. Das Gesetz lautet: „Jrländische Vereine jeder Art
dürfen mit einander in Verbindung treten. Entgegenstehende landesgesctzliche Be¬
stimmungen sind aufgehoben." ^




Der Armeekonflikt in Ungarn
von Albin Geyer (Schluß)

Thebens
Krones ist nun nötig, einen Blick auf Österreich und die dortigen
Ereignisse zu werfen. Daß das Ministerium Körber wegen der
Zurückziehung der Wehrvorlage durch den Grafen Khuen seine
Demission genommen hatte, ist schon berichtet worden. Es
freuten sich manche Leute in Österreich darüber, nicht bloß die
en allein, sondern auch die Kreise, die im geheimen die gegen die
gerichtete demokratisch-parlamentarische Opposition der Magyaren gern»


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[0144] Der Armeekonflikt in Ungarn Leben sind sie unlöslich, meist unmerklich verwoben. Wo er geht, da gehn sie mit, wo er spricht, da sprechen sie mit. Das geschieht, wo zwei oder drei ver¬ sammelt sind, das geschieht, wo Vereinsglieder die Köpfe zusammenstecken. Ein Unding ist es, daß in Vereinen, und wäre ihr Hauptzweck noch so bieder- meierisch, nationalökonomische oder sozialpolitische Fragen, diese heute jeden Deutschen bewegenden Angelegenheiten, nicht irgendwie zum Worte kommen sollten. Bei solcher Sachlage ist es möglich gewesen, daß dem Vereinsleben von der Polizei nach den Anordnungen des Vereinsgesetzes ernste Schwierig¬ keiten bereitet werden konnten. Insbesondre hat bedeutendern Vereinen, wenn sie dem natürlichen Zuge der Dinge folgten, wenn sie dem Zwange ihrer Interessen gemäß miteinander in Verbindung traten, ohne andre, tiefere Gründe kurzerhand mit dem Paragraphen 8 Spalte d ein Ende gemacht werden können. Von dieser Befugnis ist oft genug, auch aus bureaukratischer Klein- meisterei, Gebrauch gemacht worden. Je häusiger das geschah, um so schwerer erschien im Laufe der Zeit, wie die „politischen Köpfe" sagten, das Recht der „Koalitionsfreiheit," dieses liberal-demokratische Ideal, grundsätzlich gefährdet. Das ist weithin, und nicht etwa nur von den Sozialisten, als ein böser Mißgriff der Behörden empfunden worden. Kann auch keine Rede davon sein, daß die Verwaltung oder das Gericht in irgend einem Falle gegen das be¬ stehende Recht nach der Spruchpraxis der höchsten Gerichte verstoßen hat, so kann doch andrerseits nicht verkannt werden, daß sich diese Gesetzesauslegung zu der Auffassung des Volks in schroffen Widerspruch gestellt hat. Das Vereins¬ wesen ist ein wertvolles Gut des Deutschtums. An ihm und an seiner freien Entfaltung hängen deutsche Menschen. Was sich dagegen richtet, das empfindet das Volk als eine Antastung der Grundbedingungen seines Lebens. Darum hat diese Entwicklung der Rechtsprechung schlimme Folgen nach sich gezogen. Sie hat das Neichsgesetz vom 11. Dezember 1899 heraufgeführt, das von dem Parlamente der Regierung geradezu abgezwungen worden ist, und zwar unter Reden und Szenen im Reichstage, die bei Bismarcks Kanzlerschaft einfach un¬ möglich gewesen wären. Das Gesetz lautet: „Jrländische Vereine jeder Art dürfen mit einander in Verbindung treten. Entgegenstehende landesgesctzliche Be¬ stimmungen sind aufgehoben." ^ Der Armeekonflikt in Ungarn von Albin Geyer (Schluß) Thebens Krones ist nun nötig, einen Blick auf Österreich und die dortigen Ereignisse zu werfen. Daß das Ministerium Körber wegen der Zurückziehung der Wehrvorlage durch den Grafen Khuen seine Demission genommen hatte, ist schon berichtet worden. Es freuten sich manche Leute in Österreich darüber, nicht bloß die en allein, sondern auch die Kreise, die im geheimen die gegen die gerichtete demokratisch-parlamentarische Opposition der Magyaren gern»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/144>, abgerufen am 29.06.2024.