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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen
Wilhelm Speck Lin Lebensbild von
(Fortsetzung)

26

s war an einem Sonntag, als ich dem Dorfe, worin ich mein Leben
weiterzuführen gedachte, zuwanderte. Ich war durch lichte Frühlings-
nuen gezogen, vorüber an Dörfern und Weilern, an hohen Burgen
und Schlössern. An der Seite manches fröhlichen Baches und durch
schöne, frischgrüne Wälder war ich gewandert, immer der unbekannten
Welt entgegen, die in geheimnisvoller Stille und Große bald wie
el" düstres vieltürmiges Mauerwerk, bald als eine feingegliedertc Silberwolke zu
"ur niederschaute. Nun war ich meinem Ziele nah und ging die letzten Stunden
>naht mehr auf der gewöhnlichen Straße, sondern auf einem nähern Saumpfad,
durch einen dichten, auf allen Seiten geschlossenen Nadelwald.

Es war spät am Nachmittag, als ich den höchsten Punkt in diesem Walde c"
flehte. Die Sonne war schon tief gesunken, warmes goldnes Licht flutete um die
^Wfel und glänzte über fernen Bergzügen, unter mir aber, wo die Felsen zu einer
Ichwindelndeu Tiefe abfielen, schien es schon Nacht zu werden. Von einer mersch-
>chen Ansiedlung war keine Spur zu sehen, und nirgends in dieser Einsamkeit war
^ne Stimme zu hören, kein Wasser rauschte, auch keine Herdenglvcke läutete in die
stille herein. Alles war still, als hielte die Natur den Atem an, und die große
^ufte Landschaft stand unbeweglich im Abendlicht. Nur ein einzelnes Wölkchen,
^ sich wohl auch verloren haben mochte, irrte einsam über den Himmel. Endlich
entdeckte mein Auge, das suchend über die Wnldfläche glitt, seitwärts unter mir ein
Mzernes Kreuz, wie ich schon manches auf meiner Wanderung gesehen hatte. Dieses
"ußte von bedeutender Höhe sein, da es über die Tannen hinausragte, und so ver-
"h' daß es nicht nur die Bestimmung habe, an seinem Platze auf einen
zufälligen Wandrer einzuwirken, sondern daß es auch unten im Tal gesehen werden
>°'lec und also wohl auch selbst auf menschliche Wohnungen hiuabschaue.

. niedersteigend fand ich mich auch in meiner Erwartung nicht getäuscht: als
") am Fuße des Kreuzes stand, hatte ich das Dorf dicht unter mir.

r ,Mo wurde warm und weich ums Herz, als ich nach all der Stille und Ein-
mnteit wieder ans die Häuser der Menschen hinabsah. Das Dorf lag auf einem
den k? Wiesenstreifen, zu dessen beiden Seiten der Wald steil emporstieg, ein
dero ^ ^"""enwald, untermischt mit hellgrünen Lärchen und unterbrochen von lench-
Stm"? "ber einige kühne Felszacken. Eine wundersame
dra, ^ l die Stimme des Baches, der unten über Felsblöcke Hin¬
nichts '"^ ^" Mistern, und sonst hörte mau nichts und sah sich auch
schei ^<^" Wollen, die laugsam über den Himmel zogen, und den Sonnen-
ie '!>' ^' ^eher Wolken kam und ging. Aber die Stille hatte jetzt, wo
würd - Weh>"engen der Menschen schwebte, nichts Bedrückendes mehr, sondern sie
Seel s" goldnen Feiertagsfrieden, der sich warm und und auch über meine
Mens s ^' ^ ^h ^and, ein einsamer Wandrer und ein einsamer
dock -s der gewaltigen Natur, die tief zu meinen Füßen lag und sich
^ V uver mich bis in die Wolken erhob, dn rückte sich manches in meinem Leben




Zwei Seelen
Wilhelm Speck Lin Lebensbild von
(Fortsetzung)

26

s war an einem Sonntag, als ich dem Dorfe, worin ich mein Leben
weiterzuführen gedachte, zuwanderte. Ich war durch lichte Frühlings-
nuen gezogen, vorüber an Dörfern und Weilern, an hohen Burgen
und Schlössern. An der Seite manches fröhlichen Baches und durch
schöne, frischgrüne Wälder war ich gewandert, immer der unbekannten
Welt entgegen, die in geheimnisvoller Stille und Große bald wie
el» düstres vieltürmiges Mauerwerk, bald als eine feingegliedertc Silberwolke zu
"ur niederschaute. Nun war ich meinem Ziele nah und ging die letzten Stunden
>naht mehr auf der gewöhnlichen Straße, sondern auf einem nähern Saumpfad,
durch einen dichten, auf allen Seiten geschlossenen Nadelwald.

Es war spät am Nachmittag, als ich den höchsten Punkt in diesem Walde c»
flehte. Die Sonne war schon tief gesunken, warmes goldnes Licht flutete um die
^Wfel und glänzte über fernen Bergzügen, unter mir aber, wo die Felsen zu einer
Ichwindelndeu Tiefe abfielen, schien es schon Nacht zu werden. Von einer mersch-
>chen Ansiedlung war keine Spur zu sehen, und nirgends in dieser Einsamkeit war
^ne Stimme zu hören, kein Wasser rauschte, auch keine Herdenglvcke läutete in die
stille herein. Alles war still, als hielte die Natur den Atem an, und die große
^ufte Landschaft stand unbeweglich im Abendlicht. Nur ein einzelnes Wölkchen,
^ sich wohl auch verloren haben mochte, irrte einsam über den Himmel. Endlich
entdeckte mein Auge, das suchend über die Wnldfläche glitt, seitwärts unter mir ein
Mzernes Kreuz, wie ich schon manches auf meiner Wanderung gesehen hatte. Dieses
"ußte von bedeutender Höhe sein, da es über die Tannen hinausragte, und so ver-
"h' daß es nicht nur die Bestimmung habe, an seinem Platze auf einen
zufälligen Wandrer einzuwirken, sondern daß es auch unten im Tal gesehen werden
>°'lec und also wohl auch selbst auf menschliche Wohnungen hiuabschaue.

. niedersteigend fand ich mich auch in meiner Erwartung nicht getäuscht: als
") am Fuße des Kreuzes stand, hatte ich das Dorf dicht unter mir.

r ,Mo wurde warm und weich ums Herz, als ich nach all der Stille und Ein-
mnteit wieder ans die Häuser der Menschen hinabsah. Das Dorf lag auf einem
den k? Wiesenstreifen, zu dessen beiden Seiten der Wald steil emporstieg, ein
dero ^ ^"""enwald, untermischt mit hellgrünen Lärchen und unterbrochen von lench-
Stm"? "ber einige kühne Felszacken. Eine wundersame
dra, ^ l die Stimme des Baches, der unten über Felsblöcke Hin¬
nichts '"^ ^" Mistern, und sonst hörte mau nichts und sah sich auch
schei ^<^" Wollen, die laugsam über den Himmel zogen, und den Sonnen-
ie '!>' ^' ^eher Wolken kam und ging. Aber die Stille hatte jetzt, wo
würd - Weh>"engen der Menschen schwebte, nichts Bedrückendes mehr, sondern sie
Seel s" goldnen Feiertagsfrieden, der sich warm und und auch über meine
Mens s ^' ^ ^h ^and, ein einsamer Wandrer und ein einsamer
dock -s der gewaltigen Natur, die tief zu meinen Füßen lag und sich
^ V uver mich bis in die Wolken erhob, dn rückte sich manches in meinem Leben


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[0733] [Abbildung] Zwei Seelen Wilhelm Speck Lin Lebensbild von (Fortsetzung) 26 s war an einem Sonntag, als ich dem Dorfe, worin ich mein Leben weiterzuführen gedachte, zuwanderte. Ich war durch lichte Frühlings- nuen gezogen, vorüber an Dörfern und Weilern, an hohen Burgen und Schlössern. An der Seite manches fröhlichen Baches und durch schöne, frischgrüne Wälder war ich gewandert, immer der unbekannten Welt entgegen, die in geheimnisvoller Stille und Große bald wie el» düstres vieltürmiges Mauerwerk, bald als eine feingegliedertc Silberwolke zu "ur niederschaute. Nun war ich meinem Ziele nah und ging die letzten Stunden >naht mehr auf der gewöhnlichen Straße, sondern auf einem nähern Saumpfad, durch einen dichten, auf allen Seiten geschlossenen Nadelwald. Es war spät am Nachmittag, als ich den höchsten Punkt in diesem Walde c» flehte. Die Sonne war schon tief gesunken, warmes goldnes Licht flutete um die ^Wfel und glänzte über fernen Bergzügen, unter mir aber, wo die Felsen zu einer Ichwindelndeu Tiefe abfielen, schien es schon Nacht zu werden. Von einer mersch- >chen Ansiedlung war keine Spur zu sehen, und nirgends in dieser Einsamkeit war ^ne Stimme zu hören, kein Wasser rauschte, auch keine Herdenglvcke läutete in die stille herein. Alles war still, als hielte die Natur den Atem an, und die große ^ufte Landschaft stand unbeweglich im Abendlicht. Nur ein einzelnes Wölkchen, ^ sich wohl auch verloren haben mochte, irrte einsam über den Himmel. Endlich entdeckte mein Auge, das suchend über die Wnldfläche glitt, seitwärts unter mir ein Mzernes Kreuz, wie ich schon manches auf meiner Wanderung gesehen hatte. Dieses "ußte von bedeutender Höhe sein, da es über die Tannen hinausragte, und so ver- "h' daß es nicht nur die Bestimmung habe, an seinem Platze auf einen zufälligen Wandrer einzuwirken, sondern daß es auch unten im Tal gesehen werden >°'lec und also wohl auch selbst auf menschliche Wohnungen hiuabschaue. . niedersteigend fand ich mich auch in meiner Erwartung nicht getäuscht: als ") am Fuße des Kreuzes stand, hatte ich das Dorf dicht unter mir. r ,Mo wurde warm und weich ums Herz, als ich nach all der Stille und Ein- mnteit wieder ans die Häuser der Menschen hinabsah. Das Dorf lag auf einem den k? Wiesenstreifen, zu dessen beiden Seiten der Wald steil emporstieg, ein dero ^ ^"""enwald, untermischt mit hellgrünen Lärchen und unterbrochen von lench- Stm"? "ber einige kühne Felszacken. Eine wundersame dra, ^ l die Stimme des Baches, der unten über Felsblöcke Hin¬ nichts '"^ ^" Mistern, und sonst hörte mau nichts und sah sich auch schei ^<^" Wollen, die laugsam über den Himmel zogen, und den Sonnen- ie '!>' ^' ^eher Wolken kam und ging. Aber die Stille hatte jetzt, wo würd - Weh>"engen der Menschen schwebte, nichts Bedrückendes mehr, sondern sie Seel s" goldnen Feiertagsfrieden, der sich warm und und auch über meine Mens s ^' ^ ^h ^and, ein einsamer Wandrer und ein einsamer dock -s der gewaltigen Natur, die tief zu meinen Füßen lag und sich ^ V uver mich bis in die Wolken erhob, dn rückte sich manches in meinem Leben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/733>, abgerufen am 29.06.2024.