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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

zurecht, und für einen Augenblick öffnete sich das Fenster nach dem Ewigen hin, das
ich all die Zeit über, so gut es ging, verhängt hatte. Aus meinem Herzen rang
es sich heraus: Hier laß mich Ruhe finden. Schenke mir noch eine gute Zeit. Stürme
und brause um mich her, wenn du willst, ich will dir still halten und will nicht
klagen. Nur gib mir eine Aufgabe, eine Aufgabe groß und schwer und anstrengend
genug, daß ich mich darüber vergessen kann.

Mit freieren Herzen schritt ich weiter und gelangte, da ich meinen Weg schon
über das Ziel hinaus verfolgt hatte, oberhalb des Dorfes, jedoch nahe bei dem
ersten Hause in den frühlingsschönen Grund hinein. Ich hatte das Dorf jetzt von
einer andern Seite vor mir. Die Häuser Ware" über die Matten verstreut, und
einige von ihnen lagen schon hoch im Walde und in angrenzenden Tälern. Aber
auch die übrigen, die dichter zusammenlagen, waren so weit auseinander gebaut,
daß jedes Hauswesen eine Welt für sich war. Es war auch hier im Tal ganz
wundersam still und einsam, die Luft voll köstlichen Duftes, und die Welt voll
unbeschreiblicher Ruhe. Dazu kam noch das sanft verglimmende Sonnenlicht und
die fernen Gipfel, die aus dem Abendrot in diese Bergeinsamkeit sahen. Auch das
Rauschen des Baches und der kerzengerade von den Häusern aufsteigende Rauch
gehörte in diese Stille hinein.

Da war es nun eine seltsame Fügung, daß das einzige, was in all dieser
Schönheit das Zeichen der Zerstörung an sich trug, mir sogleich an der Schwelle
der neuen Heimat entgegentreten und also ein Unglück sogleich zum audern kommen
mußte. Wie ich das Bild des im Abeudglnnz ruhenden Dorfes noch betrachtete,
sah ich seitwärts von dem ersten Hause, da wo der Weg am Wcildesrande hin¬
führte, eine Frauengestalt sitzen, neben der ein Kind im Grase spielte, ein Mädchen,
das einen Blumenstrauß band. Als ich nun näher trat, und mein Schritt auf dem
bürden Wege hörbar wurde, richtete sich die Gestalt auf und sah mir unruhig ent¬
gegen. Es war ein zartes feines Antlitz, das sich mir da zuwandte, und seltsam
hatte es sich ausgeputzt. Ein schwerer Kranz von Frühlingsblumen lag über ihrem
Haar, und die blauen und roten Glocken und Sterne hingen tief hinab in das
mnrmorblasse Gesicht. In derselben Weise hatte sie sich auch sonst mit Blumen
geschmückt und zum Überfluß noch ein mit grellen Farben bedrucktes Tuch um die
Schultern gelegt. Voll Verwundrung und ungewiß, was ich von ihr zu halten hatte,
blieb ich stehn und sah betroffen auf dieses bunte Blumenwuuder. Da kam plötzlich
Leben in die Gestalt, und während das Kind mit dem Ruf: Maria! zu dem Hause
hinunterlief, trat sie auf mich zu und streckte mir in überquellender Frende beide
Hände entgegen. Ich hatte mich nicht von der Stelle regen können und schaute
erschrocken auf das mit der holden Frühlingsblüte geschmückte Unglück, das sich zärtlich
an meine Brust schmiegte, und in die von rinnenden Tränen verschleierten Augen.

Unterdessen kam ein andres Mädchen über die Wiese gelaufen und rief von
weitem: Veronika!

Jetzt endlich duldete es das arme Weib, dessen trauriger Zustand leicht zu
erkennen war, daß ich mich vou ihr frei machte, und rief der Schwester zu: Er
ist gekommen, er ist wieder gekommen!

Meine arme Veronika, sagte die Schwester freundlich, was hast du wieder
aus dir gemacht! Komm, laß mich die Blumen abnehmen, hier werden sie nur
verwelken. Wir stellen sie in ein Glas und lassen sie da weiterbltthn.

Darauf wandte sie sich zu mir und entschuldigte die Schwester. Sie sei gegen-
wärtig nicht wohl und hätte mich mit einem andern, auf dessen Wiederkommen sie
beständig warte, verwechselt.

Veronika hörte das alles, ohne etwas dazu zu sagen, ruhig an und ließ sich
auch geduldig die Blumen abnehmen, worauf sie, als der phantastische Putz beseitigt
war, als ein bleiches Weib vor mir stand, in dem rührenden Schmerz eines ver¬
dunkelten Geistes und mit den betrübten Augen eines Kindes, dem eine Frende ver¬
dorben ist. Als ich mich jedoch, verlegen über das seltsame Abenteuer, entfernen


Zwei Seelen

zurecht, und für einen Augenblick öffnete sich das Fenster nach dem Ewigen hin, das
ich all die Zeit über, so gut es ging, verhängt hatte. Aus meinem Herzen rang
es sich heraus: Hier laß mich Ruhe finden. Schenke mir noch eine gute Zeit. Stürme
und brause um mich her, wenn du willst, ich will dir still halten und will nicht
klagen. Nur gib mir eine Aufgabe, eine Aufgabe groß und schwer und anstrengend
genug, daß ich mich darüber vergessen kann.

Mit freieren Herzen schritt ich weiter und gelangte, da ich meinen Weg schon
über das Ziel hinaus verfolgt hatte, oberhalb des Dorfes, jedoch nahe bei dem
ersten Hause in den frühlingsschönen Grund hinein. Ich hatte das Dorf jetzt von
einer andern Seite vor mir. Die Häuser Ware« über die Matten verstreut, und
einige von ihnen lagen schon hoch im Walde und in angrenzenden Tälern. Aber
auch die übrigen, die dichter zusammenlagen, waren so weit auseinander gebaut,
daß jedes Hauswesen eine Welt für sich war. Es war auch hier im Tal ganz
wundersam still und einsam, die Luft voll köstlichen Duftes, und die Welt voll
unbeschreiblicher Ruhe. Dazu kam noch das sanft verglimmende Sonnenlicht und
die fernen Gipfel, die aus dem Abendrot in diese Bergeinsamkeit sahen. Auch das
Rauschen des Baches und der kerzengerade von den Häusern aufsteigende Rauch
gehörte in diese Stille hinein.

Da war es nun eine seltsame Fügung, daß das einzige, was in all dieser
Schönheit das Zeichen der Zerstörung an sich trug, mir sogleich an der Schwelle
der neuen Heimat entgegentreten und also ein Unglück sogleich zum audern kommen
mußte. Wie ich das Bild des im Abeudglnnz ruhenden Dorfes noch betrachtete,
sah ich seitwärts von dem ersten Hause, da wo der Weg am Wcildesrande hin¬
führte, eine Frauengestalt sitzen, neben der ein Kind im Grase spielte, ein Mädchen,
das einen Blumenstrauß band. Als ich nun näher trat, und mein Schritt auf dem
bürden Wege hörbar wurde, richtete sich die Gestalt auf und sah mir unruhig ent¬
gegen. Es war ein zartes feines Antlitz, das sich mir da zuwandte, und seltsam
hatte es sich ausgeputzt. Ein schwerer Kranz von Frühlingsblumen lag über ihrem
Haar, und die blauen und roten Glocken und Sterne hingen tief hinab in das
mnrmorblasse Gesicht. In derselben Weise hatte sie sich auch sonst mit Blumen
geschmückt und zum Überfluß noch ein mit grellen Farben bedrucktes Tuch um die
Schultern gelegt. Voll Verwundrung und ungewiß, was ich von ihr zu halten hatte,
blieb ich stehn und sah betroffen auf dieses bunte Blumenwuuder. Da kam plötzlich
Leben in die Gestalt, und während das Kind mit dem Ruf: Maria! zu dem Hause
hinunterlief, trat sie auf mich zu und streckte mir in überquellender Frende beide
Hände entgegen. Ich hatte mich nicht von der Stelle regen können und schaute
erschrocken auf das mit der holden Frühlingsblüte geschmückte Unglück, das sich zärtlich
an meine Brust schmiegte, und in die von rinnenden Tränen verschleierten Augen.

Unterdessen kam ein andres Mädchen über die Wiese gelaufen und rief von
weitem: Veronika!

Jetzt endlich duldete es das arme Weib, dessen trauriger Zustand leicht zu
erkennen war, daß ich mich vou ihr frei machte, und rief der Schwester zu: Er
ist gekommen, er ist wieder gekommen!

Meine arme Veronika, sagte die Schwester freundlich, was hast du wieder
aus dir gemacht! Komm, laß mich die Blumen abnehmen, hier werden sie nur
verwelken. Wir stellen sie in ein Glas und lassen sie da weiterbltthn.

Darauf wandte sie sich zu mir und entschuldigte die Schwester. Sie sei gegen-
wärtig nicht wohl und hätte mich mit einem andern, auf dessen Wiederkommen sie
beständig warte, verwechselt.

Veronika hörte das alles, ohne etwas dazu zu sagen, ruhig an und ließ sich
auch geduldig die Blumen abnehmen, worauf sie, als der phantastische Putz beseitigt
war, als ein bleiches Weib vor mir stand, in dem rührenden Schmerz eines ver¬
dunkelten Geistes und mit den betrübten Augen eines Kindes, dem eine Frende ver¬
dorben ist. Als ich mich jedoch, verlegen über das seltsame Abenteuer, entfernen


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[0734] Zwei Seelen zurecht, und für einen Augenblick öffnete sich das Fenster nach dem Ewigen hin, das ich all die Zeit über, so gut es ging, verhängt hatte. Aus meinem Herzen rang es sich heraus: Hier laß mich Ruhe finden. Schenke mir noch eine gute Zeit. Stürme und brause um mich her, wenn du willst, ich will dir still halten und will nicht klagen. Nur gib mir eine Aufgabe, eine Aufgabe groß und schwer und anstrengend genug, daß ich mich darüber vergessen kann. Mit freieren Herzen schritt ich weiter und gelangte, da ich meinen Weg schon über das Ziel hinaus verfolgt hatte, oberhalb des Dorfes, jedoch nahe bei dem ersten Hause in den frühlingsschönen Grund hinein. Ich hatte das Dorf jetzt von einer andern Seite vor mir. Die Häuser Ware« über die Matten verstreut, und einige von ihnen lagen schon hoch im Walde und in angrenzenden Tälern. Aber auch die übrigen, die dichter zusammenlagen, waren so weit auseinander gebaut, daß jedes Hauswesen eine Welt für sich war. Es war auch hier im Tal ganz wundersam still und einsam, die Luft voll köstlichen Duftes, und die Welt voll unbeschreiblicher Ruhe. Dazu kam noch das sanft verglimmende Sonnenlicht und die fernen Gipfel, die aus dem Abendrot in diese Bergeinsamkeit sahen. Auch das Rauschen des Baches und der kerzengerade von den Häusern aufsteigende Rauch gehörte in diese Stille hinein. Da war es nun eine seltsame Fügung, daß das einzige, was in all dieser Schönheit das Zeichen der Zerstörung an sich trug, mir sogleich an der Schwelle der neuen Heimat entgegentreten und also ein Unglück sogleich zum audern kommen mußte. Wie ich das Bild des im Abeudglnnz ruhenden Dorfes noch betrachtete, sah ich seitwärts von dem ersten Hause, da wo der Weg am Wcildesrande hin¬ führte, eine Frauengestalt sitzen, neben der ein Kind im Grase spielte, ein Mädchen, das einen Blumenstrauß band. Als ich nun näher trat, und mein Schritt auf dem bürden Wege hörbar wurde, richtete sich die Gestalt auf und sah mir unruhig ent¬ gegen. Es war ein zartes feines Antlitz, das sich mir da zuwandte, und seltsam hatte es sich ausgeputzt. Ein schwerer Kranz von Frühlingsblumen lag über ihrem Haar, und die blauen und roten Glocken und Sterne hingen tief hinab in das mnrmorblasse Gesicht. In derselben Weise hatte sie sich auch sonst mit Blumen geschmückt und zum Überfluß noch ein mit grellen Farben bedrucktes Tuch um die Schultern gelegt. Voll Verwundrung und ungewiß, was ich von ihr zu halten hatte, blieb ich stehn und sah betroffen auf dieses bunte Blumenwuuder. Da kam plötzlich Leben in die Gestalt, und während das Kind mit dem Ruf: Maria! zu dem Hause hinunterlief, trat sie auf mich zu und streckte mir in überquellender Frende beide Hände entgegen. Ich hatte mich nicht von der Stelle regen können und schaute erschrocken auf das mit der holden Frühlingsblüte geschmückte Unglück, das sich zärtlich an meine Brust schmiegte, und in die von rinnenden Tränen verschleierten Augen. Unterdessen kam ein andres Mädchen über die Wiese gelaufen und rief von weitem: Veronika! Jetzt endlich duldete es das arme Weib, dessen trauriger Zustand leicht zu erkennen war, daß ich mich vou ihr frei machte, und rief der Schwester zu: Er ist gekommen, er ist wieder gekommen! Meine arme Veronika, sagte die Schwester freundlich, was hast du wieder aus dir gemacht! Komm, laß mich die Blumen abnehmen, hier werden sie nur verwelken. Wir stellen sie in ein Glas und lassen sie da weiterbltthn. Darauf wandte sie sich zu mir und entschuldigte die Schwester. Sie sei gegen- wärtig nicht wohl und hätte mich mit einem andern, auf dessen Wiederkommen sie beständig warte, verwechselt. Veronika hörte das alles, ohne etwas dazu zu sagen, ruhig an und ließ sich auch geduldig die Blumen abnehmen, worauf sie, als der phantastische Putz beseitigt war, als ein bleiches Weib vor mir stand, in dem rührenden Schmerz eines ver¬ dunkelten Geistes und mit den betrübten Augen eines Kindes, dem eine Frende ver¬ dorben ist. Als ich mich jedoch, verlegen über das seltsame Abenteuer, entfernen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/734>, abgerufen am 01.07.2024.