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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Die mittelitalienische Liga ^859/^860
Gelo Aaemmel von

kaum und Viktor Emanuel! -- das war in den fünfziger Jahren die
Lösung der italienischen Patrioten geworden, nachdem die schweren
Erfahrungen des Sturmjahrcs 1848/49 bewiesen hatten, daß die
Befreiung und die Einigung Italiens auf republikanischen Wege
nicht zu erreichen seien; nur Mazzini und sein Anhang hielten noch
an dem alten Traume fest, aber Daniele Mauin, der letzte Doge von Venedig,
predigte jetzt den Anschluß an Piemont, und auch Vincenzo Gioberti, der einst
(1843) für den italienischen Staatenbund unter dem Primate des Papstes ge¬
schwärmt hatte, bezeichnete in seinem "Ninnovmuento" von 1852 das Königtum
des Hauses Savoyen als den berufnen Führer der nationalen Bewegung, forderte
Rom als die Hauptstadt Italiens, wo dereinst das Königtum und das seiner
weltlichen Gewalt entkleidete Papsttum friedlich nebeneinander walten würden.
Vollends der Nationalverein, der 1857 unter der Leitung des Sizilianers Giuseppe
La Farina ins Leben trat, forderte kurzab den italienischen Einheitsstaat unter
König Viktor Emanuel und setzte sich mit dessen leitendem Minister, dem Grafen
Cavour, in die engste Verbindung. Diese klare Entschlossenheit der Italiener hat
das Königreich Italien begründet. Die Siege Napoleons des Dritten, der das
gar nicht wollte, im Sommer 1859 haben die Einheit uur ermöglicht. Ent¬
scheidend war dabei die Haltung der mittelitalienischen Landschaften; ohne sie
wäre die Einheitsbewegung am Po und am Mineio stehn geblieben oder doch
nicht über einen lockern Staatenbund hinausgekommen, der den Keim des Unter¬
gangs in sich getragen hätte, und den obendrein Pius der Nennte, sein in Aus¬
sicht genommenes Oberhaupt, unbedingt zurückwies.

Vom deutsch-monarchischen Standpunkt ans diese Dinge zu beurteilen, wäre
ganz verkehrt und ungerecht. Das sittliche Band, das deutsche Bevölkerungen mit
ihren alten Fürstengeschlechtern verbindet, ist in Italien niemals vorhanden ge¬
wesen und konnte niemals vorhanden sein. Mit Ausnahme von Neapel und
von Piemont ist zunächst die Geschichte Italiens städtisch-republikanisch, nicht
monarchisch, und das starke Sonderbewußtsein wenigstens in der Nordhälfte städtisch,
uicht landschaftlich; die kleinen und die großen Herrscherhäuser, die gegen Ende
des Mittelalters dort emporkamen, waren illegitimen Ursprungs und ohne Wurzeln
im Lande, und die Dynastien, die im neunzehnten Jahrhundert dort regierten,
verdankten mit Ausnahme des Hauses Savoyen ihre Herrschaft der Willkür der
europäischen Diplomatie, waren dem Lande von Hans aus fremd, fühlten sich
niemals als Glieder der italienischen Nation und hatten nur ihre ^dynastischen
Interessen im Auge. Auf Mittelitalien trifft das besonders zu. Das Haus
Lothringen war erst 1739 nach den Bestimmungen des Wiener Friedens von




Die mittelitalienische Liga ^859/^860
Gelo Aaemmel von

kaum und Viktor Emanuel! — das war in den fünfziger Jahren die
Lösung der italienischen Patrioten geworden, nachdem die schweren
Erfahrungen des Sturmjahrcs 1848/49 bewiesen hatten, daß die
Befreiung und die Einigung Italiens auf republikanischen Wege
nicht zu erreichen seien; nur Mazzini und sein Anhang hielten noch
an dem alten Traume fest, aber Daniele Mauin, der letzte Doge von Venedig,
predigte jetzt den Anschluß an Piemont, und auch Vincenzo Gioberti, der einst
(1843) für den italienischen Staatenbund unter dem Primate des Papstes ge¬
schwärmt hatte, bezeichnete in seinem „Ninnovmuento" von 1852 das Königtum
des Hauses Savoyen als den berufnen Führer der nationalen Bewegung, forderte
Rom als die Hauptstadt Italiens, wo dereinst das Königtum und das seiner
weltlichen Gewalt entkleidete Papsttum friedlich nebeneinander walten würden.
Vollends der Nationalverein, der 1857 unter der Leitung des Sizilianers Giuseppe
La Farina ins Leben trat, forderte kurzab den italienischen Einheitsstaat unter
König Viktor Emanuel und setzte sich mit dessen leitendem Minister, dem Grafen
Cavour, in die engste Verbindung. Diese klare Entschlossenheit der Italiener hat
das Königreich Italien begründet. Die Siege Napoleons des Dritten, der das
gar nicht wollte, im Sommer 1859 haben die Einheit uur ermöglicht. Ent¬
scheidend war dabei die Haltung der mittelitalienischen Landschaften; ohne sie
wäre die Einheitsbewegung am Po und am Mineio stehn geblieben oder doch
nicht über einen lockern Staatenbund hinausgekommen, der den Keim des Unter¬
gangs in sich getragen hätte, und den obendrein Pius der Nennte, sein in Aus¬
sicht genommenes Oberhaupt, unbedingt zurückwies.

Vom deutsch-monarchischen Standpunkt ans diese Dinge zu beurteilen, wäre
ganz verkehrt und ungerecht. Das sittliche Band, das deutsche Bevölkerungen mit
ihren alten Fürstengeschlechtern verbindet, ist in Italien niemals vorhanden ge¬
wesen und konnte niemals vorhanden sein. Mit Ausnahme von Neapel und
von Piemont ist zunächst die Geschichte Italiens städtisch-republikanisch, nicht
monarchisch, und das starke Sonderbewußtsein wenigstens in der Nordhälfte städtisch,
uicht landschaftlich; die kleinen und die großen Herrscherhäuser, die gegen Ende
des Mittelalters dort emporkamen, waren illegitimen Ursprungs und ohne Wurzeln
im Lande, und die Dynastien, die im neunzehnten Jahrhundert dort regierten,
verdankten mit Ausnahme des Hauses Savoyen ihre Herrschaft der Willkür der
europäischen Diplomatie, waren dem Lande von Hans aus fremd, fühlten sich
niemals als Glieder der italienischen Nation und hatten nur ihre ^dynastischen
Interessen im Auge. Auf Mittelitalien trifft das besonders zu. Das Haus
Lothringen war erst 1739 nach den Bestimmungen des Wiener Friedens von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/560>, abgerufen am 29.06.2024.