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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Erinnerungen an die Paulskirche ^3H3

das gewaltsame Ende der Präsidenten Lincoln, Garfield, Priin, Ccirnot usw-
Man lege der deutschen Nation in so aufgeregter Zeit den blutigen Exzeß
nicht zur Last, An demselben Morgen nach der Heldentat wälzten sich wohl
7000 der Tumultuanten zur Stadt hinaus. Wie die Behörden in Frankfurt
waren auch die Regierungen in den Nachbarländern der Verhältnisse nicht mehr
mächtig. Welche Kämpfe haben alle Staaten Europas zu ihrer Regeneration
durchgemacht! Nun, wo das Verlangen nach nationaler Einigung erfüllt und
das Reich sestgegründet, auch vor äußern Angriffen der Friede gesichert ist,
steht jedenfalls fest, daß die erste deutsche Nationalversammlung notwendig
der Reichsgründung vorgearbeitet hat, und wir müssen die gebrachten Opfer
verschmerzen. Nur war der Plan, deu beiden politischen Märtyrern an Ort
und Stelle ein Denkmal zu setzen, nicht ausführbar -- es wäre augenblicklich
wieder zerstört worden.


3. 5leg der Aleiudeutsche". Ablehnung der Kaiserkrone

Die Nationalversamnllung spaltete sich zuletzt in Groß- und Kleindeutsche.
Dieser Ausdruck war von Simon von Trier in Umlauf gesetzt worden im Rück¬
blick ans die römische Hin'irmnm nmgng. se xarva. Man darf es der Linken nach¬
rühmen, daß sie vorwiegend für Großdcutschlaud eintrat. Die Ausschließung
Österreichs, das mit seinen deutschen Landen allein nicht beitreten wollte
noch konnte, ist das unermeßlich große Opfer, das bei der neuen Reichs-
gründung zu bringen blieb. Was durch Konzentration im Innern gewonnen
war, ging nach außen verloren, und der Verlust um Deutschtum ist noch nicht
abzusehen. Daß das Werk der Einigung nicht gelang, gab der nltkniserlichen
Monarchie, die ans der Verbindung mit dem Reiche ihre Kraft schöpfte und
wegen des Übergewichts der ihr einverleibten fremden Völker diesen überant¬
wortet ist, halbwegs den Todesstoß. Heute wäre es nicht mehr möglich, die
Nachkommen der alten Bojohämen zum deutsche" Reichstage einzuladen, und
die Lande, die von uns ans germanisiert oder staatlich geordnet
wurden, sondern sich ab, pochen auf ihre tschechische, magyarische, polnische,
kroatische oder italienische Sprache und trachten möglichst von uns weg und
drohen mit Abfall.

Die Gründe, daß es so kommen mußte, liegen weit zurück. Hätte Öster¬
reich, nachdem es schon den Deutschvrden aufgenommen hatte, ihm freie
Hand gelassen, die Slawen zu germanisieren, und ihm die Vollmacht erteilt,
sich förmlich wie ein Staat im Staate zu konstituieren, er hätte die Ger¬
manisierung vollbracht, wie er nach seiner Übersiedlung nach dein heutigen
Norddeutschland mit deu alten Preußen und Letten, Mnsureu und Kassuben
fertig geworden ist. Jahrhunderte gingen darüber hin, und die heute wider-
willigen Stämme, denen auch das Türkenjoch abgenommen wurde, mußten die
überlegne Zivilisation der westliche" Nachbarn anerkennen. Daß sie sich heute
störrisch gebärde", verursacht großenteils die Laudessperre. Fürst Metternich
trägt hauptsächlich die Schuld, daß Österreich auf wiederholten Antrag von
Bayern dem Zollverein nicht beigetreten ist. Heute braucht man bei jeder
Sendung über die Grenze Vierfache postalische Verbriefnng, Untersuchung des


Erinnerungen an die Paulskirche ^3H3

das gewaltsame Ende der Präsidenten Lincoln, Garfield, Priin, Ccirnot usw-
Man lege der deutschen Nation in so aufgeregter Zeit den blutigen Exzeß
nicht zur Last, An demselben Morgen nach der Heldentat wälzten sich wohl
7000 der Tumultuanten zur Stadt hinaus. Wie die Behörden in Frankfurt
waren auch die Regierungen in den Nachbarländern der Verhältnisse nicht mehr
mächtig. Welche Kämpfe haben alle Staaten Europas zu ihrer Regeneration
durchgemacht! Nun, wo das Verlangen nach nationaler Einigung erfüllt und
das Reich sestgegründet, auch vor äußern Angriffen der Friede gesichert ist,
steht jedenfalls fest, daß die erste deutsche Nationalversammlung notwendig
der Reichsgründung vorgearbeitet hat, und wir müssen die gebrachten Opfer
verschmerzen. Nur war der Plan, deu beiden politischen Märtyrern an Ort
und Stelle ein Denkmal zu setzen, nicht ausführbar — es wäre augenblicklich
wieder zerstört worden.


3. 5leg der Aleiudeutsche». Ablehnung der Kaiserkrone

Die Nationalversamnllung spaltete sich zuletzt in Groß- und Kleindeutsche.
Dieser Ausdruck war von Simon von Trier in Umlauf gesetzt worden im Rück¬
blick ans die römische Hin'irmnm nmgng. se xarva. Man darf es der Linken nach¬
rühmen, daß sie vorwiegend für Großdcutschlaud eintrat. Die Ausschließung
Österreichs, das mit seinen deutschen Landen allein nicht beitreten wollte
noch konnte, ist das unermeßlich große Opfer, das bei der neuen Reichs-
gründung zu bringen blieb. Was durch Konzentration im Innern gewonnen
war, ging nach außen verloren, und der Verlust um Deutschtum ist noch nicht
abzusehen. Daß das Werk der Einigung nicht gelang, gab der nltkniserlichen
Monarchie, die ans der Verbindung mit dem Reiche ihre Kraft schöpfte und
wegen des Übergewichts der ihr einverleibten fremden Völker diesen überant¬
wortet ist, halbwegs den Todesstoß. Heute wäre es nicht mehr möglich, die
Nachkommen der alten Bojohämen zum deutsche» Reichstage einzuladen, und
die Lande, die von uns ans germanisiert oder staatlich geordnet
wurden, sondern sich ab, pochen auf ihre tschechische, magyarische, polnische,
kroatische oder italienische Sprache und trachten möglichst von uns weg und
drohen mit Abfall.

Die Gründe, daß es so kommen mußte, liegen weit zurück. Hätte Öster¬
reich, nachdem es schon den Deutschvrden aufgenommen hatte, ihm freie
Hand gelassen, die Slawen zu germanisieren, und ihm die Vollmacht erteilt,
sich förmlich wie ein Staat im Staate zu konstituieren, er hätte die Ger¬
manisierung vollbracht, wie er nach seiner Übersiedlung nach dein heutigen
Norddeutschland mit deu alten Preußen und Letten, Mnsureu und Kassuben
fertig geworden ist. Jahrhunderte gingen darüber hin, und die heute wider-
willigen Stämme, denen auch das Türkenjoch abgenommen wurde, mußten die
überlegne Zivilisation der westliche» Nachbarn anerkennen. Daß sie sich heute
störrisch gebärde», verursacht großenteils die Laudessperre. Fürst Metternich
trägt hauptsächlich die Schuld, daß Österreich auf wiederholten Antrag von
Bayern dem Zollverein nicht beigetreten ist. Heute braucht man bei jeder
Sendung über die Grenze Vierfache postalische Verbriefnng, Untersuchung des


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[0814] Erinnerungen an die Paulskirche ^3H3 das gewaltsame Ende der Präsidenten Lincoln, Garfield, Priin, Ccirnot usw- Man lege der deutschen Nation in so aufgeregter Zeit den blutigen Exzeß nicht zur Last, An demselben Morgen nach der Heldentat wälzten sich wohl 7000 der Tumultuanten zur Stadt hinaus. Wie die Behörden in Frankfurt waren auch die Regierungen in den Nachbarländern der Verhältnisse nicht mehr mächtig. Welche Kämpfe haben alle Staaten Europas zu ihrer Regeneration durchgemacht! Nun, wo das Verlangen nach nationaler Einigung erfüllt und das Reich sestgegründet, auch vor äußern Angriffen der Friede gesichert ist, steht jedenfalls fest, daß die erste deutsche Nationalversammlung notwendig der Reichsgründung vorgearbeitet hat, und wir müssen die gebrachten Opfer verschmerzen. Nur war der Plan, deu beiden politischen Märtyrern an Ort und Stelle ein Denkmal zu setzen, nicht ausführbar — es wäre augenblicklich wieder zerstört worden. 3. 5leg der Aleiudeutsche». Ablehnung der Kaiserkrone Die Nationalversamnllung spaltete sich zuletzt in Groß- und Kleindeutsche. Dieser Ausdruck war von Simon von Trier in Umlauf gesetzt worden im Rück¬ blick ans die römische Hin'irmnm nmgng. se xarva. Man darf es der Linken nach¬ rühmen, daß sie vorwiegend für Großdcutschlaud eintrat. Die Ausschließung Österreichs, das mit seinen deutschen Landen allein nicht beitreten wollte noch konnte, ist das unermeßlich große Opfer, das bei der neuen Reichs- gründung zu bringen blieb. Was durch Konzentration im Innern gewonnen war, ging nach außen verloren, und der Verlust um Deutschtum ist noch nicht abzusehen. Daß das Werk der Einigung nicht gelang, gab der nltkniserlichen Monarchie, die ans der Verbindung mit dem Reiche ihre Kraft schöpfte und wegen des Übergewichts der ihr einverleibten fremden Völker diesen überant¬ wortet ist, halbwegs den Todesstoß. Heute wäre es nicht mehr möglich, die Nachkommen der alten Bojohämen zum deutsche» Reichstage einzuladen, und die Lande, die von uns ans germanisiert oder staatlich geordnet wurden, sondern sich ab, pochen auf ihre tschechische, magyarische, polnische, kroatische oder italienische Sprache und trachten möglichst von uns weg und drohen mit Abfall. Die Gründe, daß es so kommen mußte, liegen weit zurück. Hätte Öster¬ reich, nachdem es schon den Deutschvrden aufgenommen hatte, ihm freie Hand gelassen, die Slawen zu germanisieren, und ihm die Vollmacht erteilt, sich förmlich wie ein Staat im Staate zu konstituieren, er hätte die Ger¬ manisierung vollbracht, wie er nach seiner Übersiedlung nach dein heutigen Norddeutschland mit deu alten Preußen und Letten, Mnsureu und Kassuben fertig geworden ist. Jahrhunderte gingen darüber hin, und die heute wider- willigen Stämme, denen auch das Türkenjoch abgenommen wurde, mußten die überlegne Zivilisation der westliche» Nachbarn anerkennen. Daß sie sich heute störrisch gebärde», verursacht großenteils die Laudessperre. Fürst Metternich trägt hauptsächlich die Schuld, daß Österreich auf wiederholten Antrag von Bayern dem Zollverein nicht beigetreten ist. Heute braucht man bei jeder Sendung über die Grenze Vierfache postalische Verbriefnng, Untersuchung des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/814>, abgerufen am 27.07.2024.