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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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und in den meisten Obcrlandesgerichtsbezirken dürften die landgerichtlichen
Prozesse eine ebenso rasche Erledigung finden, wie dies gegenwärtig dank dieser
segensreichen Einrichtung in Sachsen, Württemberg und Baden der Fall ist.




Eugen Mouton
(Schluß)

W
Machten Eugen die Schulmarter überstanden hatte, wühlte er die
juristische Laufbahn. Die Erfahrungen, die er als substitue und
als Chef in der Staatsanwaltschaft machte, die Krimiualfülle, die
er erzählt, sein Urteil über das Verfahren, das alles muß für
Juristen sehr interessant sein, aber wegen Mangels an Sach¬
kenntnis verzichten wir auf die Darstellung dieser Dinge und beschränken uus
darauf, sein Urteil über den Richterstand seines Vaterlandes mitzuteilen.
"Zwanzig Jahre Amtsführung an acht Tribunalen in verschiednen Gegenden,
die weit entfernt voneinander liegen, und in politisch verschieden beeinflußten
Zeiten haben an meinem Urteil nichts geändert. Wenn ich bedenke, daß zwar
kein Mensch ein Engel ist, daß aber die Lebensumstände dem einen das Gute
leichter oder schwerer machen als dem andern, so erscheint es mir als ein großes
Glück für einen rechtschaffnen Mann, wenn er als Justizbcmnter leben kann.
Es gibt kein Paradies auf Erden, aber je länger man die Bedingungen be¬
trachtet, die die Moralität beeinflussen, und die von der Gewalt der Dinge so
ungleich unter die verschiednen Berufsarten verteilt werden, desto beneidenswerter
erscheint einem das Los eines Richters. In keinem andern Staude ist ein
Mann so ausschließlich nur von seinem Gewissen abhängig, und seine Berufs¬
pflicht besteht darin, seinen Mitmenschen ihr Eigentum, ihre Rechte, ihre Ehre
und ihr Leben zu sichern swas aber, wie unsre heutigen Kriminalrcformer be¬
haupte", infolge mangelhafter Gesetze und Einrichtungen so unvollkommen geschieht,
daß die Gewissen mancher Juristen unruhig zu werden anfangen; den Dingen
auf den Grund zu sehen, ist wohl nicht Franzosenartj. Gewiß gibt es keinen
Beruf, in dem man nicht rechtschaffen sein könnte, aber man beleidigt niemand,
wenn man auf den Stand hinweist, der den Frieden des Gewissens am besten
sichert. Zwar habe ich auch unwürdige Justizbeamte kennen lernen, aber ihre
Zahl ist so klein, daß die Seltenheit der Ausnahmen die Würdigkeit des ganzen
Standes nur um so Heller strahlen läßt. Auch die politischen Umwälzungen
andern nichts daran; jede führt dem Stande einige bedenkliche Leute zu, aber
dieser moralisiert und diszipliniert sie entweder oder stößt sie wieder aus. Wie
bei allen Körperschaften, so ist es auch bei den Tribunalen: die kleinsten haben
die besten Mitglieder, weil in großen Kollegien das Gewicht der einzelnen
Stimmen sinkt und dadurch das Gefühl der Verantwortung geschwächt wird;
zudem überwiegt in groß-n Gerichtshöfen die Stimme des Präsidenten. Die
wlzigen Mißbräuche, über die ich mich zu beklagen gehabt habe, habe ich in
den Assisen, dieser absurden Einrichtnno,, angetroffen. Unerträglich waren in


Lüge» lNouton

und in den meisten Obcrlandesgerichtsbezirken dürften die landgerichtlichen
Prozesse eine ebenso rasche Erledigung finden, wie dies gegenwärtig dank dieser
segensreichen Einrichtung in Sachsen, Württemberg und Baden der Fall ist.




Eugen Mouton
(Schluß)

W
Machten Eugen die Schulmarter überstanden hatte, wühlte er die
juristische Laufbahn. Die Erfahrungen, die er als substitue und
als Chef in der Staatsanwaltschaft machte, die Krimiualfülle, die
er erzählt, sein Urteil über das Verfahren, das alles muß für
Juristen sehr interessant sein, aber wegen Mangels an Sach¬
kenntnis verzichten wir auf die Darstellung dieser Dinge und beschränken uus
darauf, sein Urteil über den Richterstand seines Vaterlandes mitzuteilen.
„Zwanzig Jahre Amtsführung an acht Tribunalen in verschiednen Gegenden,
die weit entfernt voneinander liegen, und in politisch verschieden beeinflußten
Zeiten haben an meinem Urteil nichts geändert. Wenn ich bedenke, daß zwar
kein Mensch ein Engel ist, daß aber die Lebensumstände dem einen das Gute
leichter oder schwerer machen als dem andern, so erscheint es mir als ein großes
Glück für einen rechtschaffnen Mann, wenn er als Justizbcmnter leben kann.
Es gibt kein Paradies auf Erden, aber je länger man die Bedingungen be¬
trachtet, die die Moralität beeinflussen, und die von der Gewalt der Dinge so
ungleich unter die verschiednen Berufsarten verteilt werden, desto beneidenswerter
erscheint einem das Los eines Richters. In keinem andern Staude ist ein
Mann so ausschließlich nur von seinem Gewissen abhängig, und seine Berufs¬
pflicht besteht darin, seinen Mitmenschen ihr Eigentum, ihre Rechte, ihre Ehre
und ihr Leben zu sichern swas aber, wie unsre heutigen Kriminalrcformer be¬
haupte«, infolge mangelhafter Gesetze und Einrichtungen so unvollkommen geschieht,
daß die Gewissen mancher Juristen unruhig zu werden anfangen; den Dingen
auf den Grund zu sehen, ist wohl nicht Franzosenartj. Gewiß gibt es keinen
Beruf, in dem man nicht rechtschaffen sein könnte, aber man beleidigt niemand,
wenn man auf den Stand hinweist, der den Frieden des Gewissens am besten
sichert. Zwar habe ich auch unwürdige Justizbeamte kennen lernen, aber ihre
Zahl ist so klein, daß die Seltenheit der Ausnahmen die Würdigkeit des ganzen
Standes nur um so Heller strahlen läßt. Auch die politischen Umwälzungen
andern nichts daran; jede führt dem Stande einige bedenkliche Leute zu, aber
dieser moralisiert und diszipliniert sie entweder oder stößt sie wieder aus. Wie
bei allen Körperschaften, so ist es auch bei den Tribunalen: die kleinsten haben
die besten Mitglieder, weil in großen Kollegien das Gewicht der einzelnen
Stimmen sinkt und dadurch das Gefühl der Verantwortung geschwächt wird;
zudem überwiegt in groß-n Gerichtshöfen die Stimme des Präsidenten. Die
wlzigen Mißbräuche, über die ich mich zu beklagen gehabt habe, habe ich in
den Assisen, dieser absurden Einrichtnno,, angetroffen. Unerträglich waren in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/613>, abgerufen am 21.11.2024.