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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Prozeßverschleppungen

n einer Sache, in der so viel Tinte vergossen worden ist, würde
ich das Wort nicht ergreifen, wenn nicht trotz des vielen Schreibens
gerade das Einfachste und Nächstliegende vollständig anßer acht
gelassen worden wäre. Es ist dies die Erforschung der Gründe,
auf denen die in den einzelnen Oberlaudesgerichtsbezirken be¬
stehende ungemein große Verschiedenheit in der Prozeßdauer beruht. Man
hat dies bis jetzt nur bei den rheinischen Oberlandesgerichtsbezirken im Vergleich
mit den übrigen Bezirken getan und beide einander gegenüber gestellt. Ins¬
besondre hat man den Oberlandesgcrichtsbezirk Köln in einen Gegensatz zu
den übrigen preußischen Bezirken gebracht, weil er die meisten Prozeßrück¬
stände in Preußen auszuweisen hatte. Mau schob die Schuld auf die von dem
frühern Verfahren dort herrührenden "Übertreibungen desMündlichkcitsprinzips."
Nun schließen aber, wie wir sehen werden, nicht alle linksrheinischen Bezirke
ungünstig ab, während verschiedne rechtsrheinische eine nicht minder lange Proze߬
dauer aufzuweisen haben. Wenn mau zu einem befriedigenden Ergebnisse
kommen will, bedarf es einer weit gründlichern Untersuchung der deutschen Justiz-
statistik als bisher. Diese bietet nämlich für unsre Frage eine reiche Fundgrube,
indem sie uns nicht nur die Verschiedenheit in den einzelnen Oberlandesgerichts¬
bezirken aufzeigt, sondern auch die Mittel und Wege zur Abhilfe angibt.

Daß die Frage uoch nicht zum Abschluß gelaugt ist, und namentlich der von
verschiednen Seiten befürwortete Vorschlag von Neukamp, ^) dem Richter die
volle Herrschaft über den Prozeß einzuräumen und jede Befugnis der Parteien,
Termine und Fristen zu erstrecken, zu beseitigen, nicht den Beifall der Mehrheit
gefunden hat, zeigt folgender Beschluß des vorjährigen Juristentages: "Eine
Änderung der deutschen Zivilprozeßordnung dahin, daß dem Richter eine größere
Mitwirkung beim Prozcßbetrieb gewährt wird, ist nicht empfehlenswert. Da¬
gegen ist zu erwogen, in welcher Weise der Vereitelung von Verhandlungs¬
terminen entgegenzuwirken ist."

Mit Recht will der Juristentag den Parteibctrieb, der sich im deutschen
Prozeß vollständig eingelebt hat und auch nicht mit einem Federstrich daraus
beseitigt werden kann, nicht angetastet wissen. Aber auch weniger einschneidende
Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Zivilprozeßordnung, von
denen manche, wie die Erhöhung der Zuständigkeit der Amtsgerichte auf 500 Mark
und die Einführung eines Vortcrmins, gewiß geeignet sind, die Prozesse zu
beschleunigen, können nicht in Betracht kommen. Bekanntlich wurden diese



Die Abgrenzung von Richterrecht und Parteibetrieb im Zivilprozeß. Verhandlungen
des 26. Deutschen Juristentages. I. Bd. Gutachten. Berlin, 1902. S. 125 ff.


Prozeßverschleppungen

n einer Sache, in der so viel Tinte vergossen worden ist, würde
ich das Wort nicht ergreifen, wenn nicht trotz des vielen Schreibens
gerade das Einfachste und Nächstliegende vollständig anßer acht
gelassen worden wäre. Es ist dies die Erforschung der Gründe,
auf denen die in den einzelnen Oberlaudesgerichtsbezirken be¬
stehende ungemein große Verschiedenheit in der Prozeßdauer beruht. Man
hat dies bis jetzt nur bei den rheinischen Oberlandesgerichtsbezirken im Vergleich
mit den übrigen Bezirken getan und beide einander gegenüber gestellt. Ins¬
besondre hat man den Oberlandesgcrichtsbezirk Köln in einen Gegensatz zu
den übrigen preußischen Bezirken gebracht, weil er die meisten Prozeßrück¬
stände in Preußen auszuweisen hatte. Mau schob die Schuld auf die von dem
frühern Verfahren dort herrührenden „Übertreibungen desMündlichkcitsprinzips."
Nun schließen aber, wie wir sehen werden, nicht alle linksrheinischen Bezirke
ungünstig ab, während verschiedne rechtsrheinische eine nicht minder lange Proze߬
dauer aufzuweisen haben. Wenn mau zu einem befriedigenden Ergebnisse
kommen will, bedarf es einer weit gründlichern Untersuchung der deutschen Justiz-
statistik als bisher. Diese bietet nämlich für unsre Frage eine reiche Fundgrube,
indem sie uns nicht nur die Verschiedenheit in den einzelnen Oberlandesgerichts¬
bezirken aufzeigt, sondern auch die Mittel und Wege zur Abhilfe angibt.

Daß die Frage uoch nicht zum Abschluß gelaugt ist, und namentlich der von
verschiednen Seiten befürwortete Vorschlag von Neukamp, ^) dem Richter die
volle Herrschaft über den Prozeß einzuräumen und jede Befugnis der Parteien,
Termine und Fristen zu erstrecken, zu beseitigen, nicht den Beifall der Mehrheit
gefunden hat, zeigt folgender Beschluß des vorjährigen Juristentages: „Eine
Änderung der deutschen Zivilprozeßordnung dahin, daß dem Richter eine größere
Mitwirkung beim Prozcßbetrieb gewährt wird, ist nicht empfehlenswert. Da¬
gegen ist zu erwogen, in welcher Weise der Vereitelung von Verhandlungs¬
terminen entgegenzuwirken ist."

Mit Recht will der Juristentag den Parteibctrieb, der sich im deutschen
Prozeß vollständig eingelebt hat und auch nicht mit einem Federstrich daraus
beseitigt werden kann, nicht angetastet wissen. Aber auch weniger einschneidende
Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Zivilprozeßordnung, von
denen manche, wie die Erhöhung der Zuständigkeit der Amtsgerichte auf 500 Mark
und die Einführung eines Vortcrmins, gewiß geeignet sind, die Prozesse zu
beschleunigen, können nicht in Betracht kommen. Bekanntlich wurden diese



Die Abgrenzung von Richterrecht und Parteibetrieb im Zivilprozeß. Verhandlungen
des 26. Deutschen Juristentages. I. Bd. Gutachten. Berlin, 1902. S. 125 ff.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/528>, abgerufen am 21.11.2024.