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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Der Seemann und seine soziale Tage
L. Fitger Von

el den Verhandlungen des Reichstags über die neue Secmanns-
ordnnng sind von sozialdemvkratischcr Seite lebhafte Klagen über
die wirtschaftlichen Verhältnisse der seemännischen Bevölkerung
laut geworden, "Die Ärmsten der Armen" nannte ein Redner
die Matrosen und die Heizer. Das mag dem Verein für Sozial¬
politik den letzten Anstoß gegeben haben, eine Untersuchung über die Lage
der in der Seeschiffart beschäftigten Arbeiter anzustellen. Es ist ein Vorzug
unsrer Zeit, daß sie einen Areopag hat, dein für solche Untersuchungen das
nötige Ansehen zu Gebote steht, weil er sich von allen Jnteressententendenzen
vollständig fern hält und nur einen Zweck im Auge hat: die Ermittlung
der Wahrheit. Das erkennt man in beiden Lagern an.

Natürlich haben die Hochschulprofessoren, die doch die geistigen Potenzen
des Vereins sind, wenig Beziehung zu "Jan Maat" und zu seiner Lebens¬
weise ein Bord und am Land. Aber es fehlt ihnen nicht an Gelegenheit,
sich mit einem großen Kreise von Sachkennern in Verbindung zu setzen, mit
ihnen die Methode der Untersuchungen zu vereinbaren und geeignete Männer
auszulesen, um dem, was unbekannt ist, nachzuforschen und das Ermittelte
mit dem Allbekannten zu einer Reihe lebensgetreuer Bilder zu verarbeiten
und dadurch Kenntnis des Ganzen zu schaffen. Das hat der Verein für
Sozialpolitik getan. Er hat dabei seine Mitarbeiter ausdrücklich darauf ver¬
wiesen, auch die Ansichten der in der Seeschiffahrt tätigen Arbeiterbevölkerung,
eben der Matrosen, Bootsleute, Segelmacher, Schisfszimmerleute, Köche, sowie
des Maschinenpersonals, der Heizer und Kohlenzieher und auch der Kajüten¬
dienerschaft zu erforschen. Andrerseits haben die großen Reedereien und die
Unternehmervereine bereitwillig ihre Unterstützung zugesagt und geleistet. Es
ist ein sehr ins Einzelne gehender Fragebogen aufgestellt wordeu, und zwar
ist an diesem hauptsächlich der Professor Tönnies beteiligt, der beim Ham¬
burger Hafenarbeiterstreik geradezu als Vertrauensmann der Streitenden au¬
gesehen werden konnte. Auch in Reederkreisen hat mau dem Fragebogen viel
Aufmerksamkeit gewidmet und manche Frage hinzugefügt. Der Apparat ist
also wohlgceignet gewesen für seinen Zweck.

Der schon vor Jahresfrist erschienene erste Band des vom Verein für
Sozialpolitik herausgegebnen Werkes "Die Lage der in der Seeschiffahrt beschäf¬
tigten Arbeiter" brachte eine Abhandlung über die wirtschaftliche und die technische
Entwicklung der Seeschiffahrt von der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts bis
auf die Gegenwart. Er berührte, um den Erhebungen in keiner Weise vorzugreifen,
die Lage der Seeleute nur äußerlich, historisch und in nicht streitigen Angelegen-




Der Seemann und seine soziale Tage
L. Fitger Von

el den Verhandlungen des Reichstags über die neue Secmanns-
ordnnng sind von sozialdemvkratischcr Seite lebhafte Klagen über
die wirtschaftlichen Verhältnisse der seemännischen Bevölkerung
laut geworden, „Die Ärmsten der Armen" nannte ein Redner
die Matrosen und die Heizer. Das mag dem Verein für Sozial¬
politik den letzten Anstoß gegeben haben, eine Untersuchung über die Lage
der in der Seeschiffart beschäftigten Arbeiter anzustellen. Es ist ein Vorzug
unsrer Zeit, daß sie einen Areopag hat, dein für solche Untersuchungen das
nötige Ansehen zu Gebote steht, weil er sich von allen Jnteressententendenzen
vollständig fern hält und nur einen Zweck im Auge hat: die Ermittlung
der Wahrheit. Das erkennt man in beiden Lagern an.

Natürlich haben die Hochschulprofessoren, die doch die geistigen Potenzen
des Vereins sind, wenig Beziehung zu „Jan Maat" und zu seiner Lebens¬
weise ein Bord und am Land. Aber es fehlt ihnen nicht an Gelegenheit,
sich mit einem großen Kreise von Sachkennern in Verbindung zu setzen, mit
ihnen die Methode der Untersuchungen zu vereinbaren und geeignete Männer
auszulesen, um dem, was unbekannt ist, nachzuforschen und das Ermittelte
mit dem Allbekannten zu einer Reihe lebensgetreuer Bilder zu verarbeiten
und dadurch Kenntnis des Ganzen zu schaffen. Das hat der Verein für
Sozialpolitik getan. Er hat dabei seine Mitarbeiter ausdrücklich darauf ver¬
wiesen, auch die Ansichten der in der Seeschiffahrt tätigen Arbeiterbevölkerung,
eben der Matrosen, Bootsleute, Segelmacher, Schisfszimmerleute, Köche, sowie
des Maschinenpersonals, der Heizer und Kohlenzieher und auch der Kajüten¬
dienerschaft zu erforschen. Andrerseits haben die großen Reedereien und die
Unternehmervereine bereitwillig ihre Unterstützung zugesagt und geleistet. Es
ist ein sehr ins Einzelne gehender Fragebogen aufgestellt wordeu, und zwar
ist an diesem hauptsächlich der Professor Tönnies beteiligt, der beim Ham¬
burger Hafenarbeiterstreik geradezu als Vertrauensmann der Streitenden au¬
gesehen werden konnte. Auch in Reederkreisen hat mau dem Fragebogen viel
Aufmerksamkeit gewidmet und manche Frage hinzugefügt. Der Apparat ist
also wohlgceignet gewesen für seinen Zweck.

Der schon vor Jahresfrist erschienene erste Band des vom Verein für
Sozialpolitik herausgegebnen Werkes „Die Lage der in der Seeschiffahrt beschäf¬
tigten Arbeiter" brachte eine Abhandlung über die wirtschaftliche und die technische
Entwicklung der Seeschiffahrt von der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts bis
auf die Gegenwart. Er berührte, um den Erhebungen in keiner Weise vorzugreifen,
die Lage der Seeleute nur äußerlich, historisch und in nicht streitigen Angelegen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/75>, abgerufen am 03.07.2024.