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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Nationalität und Aultur

in ihren edelsten Vertretern nicht nach dem äußerlich Nützlichen gestrebt,
sondern nach dem Guten und dem Schönen und so zuerst die freie, auf sich
selbst ruhende Persönlichkeit ausgebildet. Darin liegt der Wert des Alter¬
tums, darin sein Recht, die eine Grundlage unsrer höhern Bildung auch heute
noch zu sein und zu bleiben, nicht, weil es uns Vorbilder liefert, sondern
als eine einzige historische Erscheinung, als die historische Grundlage unsrer
Kultur.

Wer diese Bildung von dieser Grundlage losreißen will, wer sie und
unsre ganze Kultur auf eine rein "nationale" Basis stellen will, der will sie
von ihrer eignen Geschichte losreißen, der handelt also unhistorisch und revo¬
lutionär, der faßt den Begriff des nationalen viel zu eng, also falsch. Denn
national ist alles, was unsre Kultur im Laufe der Jahrhunderte wirklich in sich
aufgenommen hat, es mag gekommen sein, woher es will. National deutsch
sind Parzival und die Nibelungen, die DxistolÄS odZvuroruin. virorura und
Sebastian Brants Narrenschiss, Goethes Iphigenie und Faust, Albrecht Dürer
und Rafael Mengs, Asmus Carstens und Moritz von Schwind, die Walhalla
und der Kölner Dom, denn durch das alles weht doch deutscher Geist. Wie arm
würden wir werden, wenn wir alles, was die Kenntnis fremder Kulturen vor¬
aussetzt, nicht mehr verstehn könnten, wenn unsre Gebildeten dereinst so
"national" würden, daß ihnen Goethes Tasso oder Schillers "Eleusisches Fest"
als etwas Fremdartiges erschiene! Dann müßten sich ernste Männer mit
Widerwillen von Bestrebungen abwenden, die nnter der Flagge des "natio¬
nalen" uns edle Güter entreißen und uns zu Barbaren machen würden. Eine
höhere Bildung ist nun einmal ohne Kenntnis fremder Kulturen und ihrer
Sprachen heute nicht möglich, und unser deutsches Bildungsideal muß doch
die Verbindung der Pflege nationaler Art mit dem Altertum auf dem sittlich¬
religiösen Boden des Christentums bleiben. Ein starkes, selbstbewußtes Volk
wird durch Aufnahme fremder Kulturgüter nicht schwächer, sondern reicher und
stärker, nur ein schwaches, widerstandsuufähiges kaun daran zu Grunde gehn.
Daß wir ein solches sind, dieses Armutszeugnis werden wir Deutschen uns
doch wohl nicht selbst ausstellen wollen. Nicht fremde Kultureinflüsse ge¬
fährden die eigne Nationalität, sondern die Schwäche des Nationalbewußtseins,
die nationale Charakterlosigkeit.




Nationalität und Aultur

in ihren edelsten Vertretern nicht nach dem äußerlich Nützlichen gestrebt,
sondern nach dem Guten und dem Schönen und so zuerst die freie, auf sich
selbst ruhende Persönlichkeit ausgebildet. Darin liegt der Wert des Alter¬
tums, darin sein Recht, die eine Grundlage unsrer höhern Bildung auch heute
noch zu sein und zu bleiben, nicht, weil es uns Vorbilder liefert, sondern
als eine einzige historische Erscheinung, als die historische Grundlage unsrer
Kultur.

Wer diese Bildung von dieser Grundlage losreißen will, wer sie und
unsre ganze Kultur auf eine rein „nationale" Basis stellen will, der will sie
von ihrer eignen Geschichte losreißen, der handelt also unhistorisch und revo¬
lutionär, der faßt den Begriff des nationalen viel zu eng, also falsch. Denn
national ist alles, was unsre Kultur im Laufe der Jahrhunderte wirklich in sich
aufgenommen hat, es mag gekommen sein, woher es will. National deutsch
sind Parzival und die Nibelungen, die DxistolÄS odZvuroruin. virorura und
Sebastian Brants Narrenschiss, Goethes Iphigenie und Faust, Albrecht Dürer
und Rafael Mengs, Asmus Carstens und Moritz von Schwind, die Walhalla
und der Kölner Dom, denn durch das alles weht doch deutscher Geist. Wie arm
würden wir werden, wenn wir alles, was die Kenntnis fremder Kulturen vor¬
aussetzt, nicht mehr verstehn könnten, wenn unsre Gebildeten dereinst so
„national" würden, daß ihnen Goethes Tasso oder Schillers „Eleusisches Fest"
als etwas Fremdartiges erschiene! Dann müßten sich ernste Männer mit
Widerwillen von Bestrebungen abwenden, die nnter der Flagge des „natio¬
nalen" uns edle Güter entreißen und uns zu Barbaren machen würden. Eine
höhere Bildung ist nun einmal ohne Kenntnis fremder Kulturen und ihrer
Sprachen heute nicht möglich, und unser deutsches Bildungsideal muß doch
die Verbindung der Pflege nationaler Art mit dem Altertum auf dem sittlich¬
religiösen Boden des Christentums bleiben. Ein starkes, selbstbewußtes Volk
wird durch Aufnahme fremder Kulturgüter nicht schwächer, sondern reicher und
stärker, nur ein schwaches, widerstandsuufähiges kaun daran zu Grunde gehn.
Daß wir ein solches sind, dieses Armutszeugnis werden wir Deutschen uns
doch wohl nicht selbst ausstellen wollen. Nicht fremde Kultureinflüsse ge¬
fährden die eigne Nationalität, sondern die Schwäche des Nationalbewußtseins,
die nationale Charakterlosigkeit.




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[0074] Nationalität und Aultur in ihren edelsten Vertretern nicht nach dem äußerlich Nützlichen gestrebt, sondern nach dem Guten und dem Schönen und so zuerst die freie, auf sich selbst ruhende Persönlichkeit ausgebildet. Darin liegt der Wert des Alter¬ tums, darin sein Recht, die eine Grundlage unsrer höhern Bildung auch heute noch zu sein und zu bleiben, nicht, weil es uns Vorbilder liefert, sondern als eine einzige historische Erscheinung, als die historische Grundlage unsrer Kultur. Wer diese Bildung von dieser Grundlage losreißen will, wer sie und unsre ganze Kultur auf eine rein „nationale" Basis stellen will, der will sie von ihrer eignen Geschichte losreißen, der handelt also unhistorisch und revo¬ lutionär, der faßt den Begriff des nationalen viel zu eng, also falsch. Denn national ist alles, was unsre Kultur im Laufe der Jahrhunderte wirklich in sich aufgenommen hat, es mag gekommen sein, woher es will. National deutsch sind Parzival und die Nibelungen, die DxistolÄS odZvuroruin. virorura und Sebastian Brants Narrenschiss, Goethes Iphigenie und Faust, Albrecht Dürer und Rafael Mengs, Asmus Carstens und Moritz von Schwind, die Walhalla und der Kölner Dom, denn durch das alles weht doch deutscher Geist. Wie arm würden wir werden, wenn wir alles, was die Kenntnis fremder Kulturen vor¬ aussetzt, nicht mehr verstehn könnten, wenn unsre Gebildeten dereinst so „national" würden, daß ihnen Goethes Tasso oder Schillers „Eleusisches Fest" als etwas Fremdartiges erschiene! Dann müßten sich ernste Männer mit Widerwillen von Bestrebungen abwenden, die nnter der Flagge des „natio¬ nalen" uns edle Güter entreißen und uns zu Barbaren machen würden. Eine höhere Bildung ist nun einmal ohne Kenntnis fremder Kulturen und ihrer Sprachen heute nicht möglich, und unser deutsches Bildungsideal muß doch die Verbindung der Pflege nationaler Art mit dem Altertum auf dem sittlich¬ religiösen Boden des Christentums bleiben. Ein starkes, selbstbewußtes Volk wird durch Aufnahme fremder Kulturgüter nicht schwächer, sondern reicher und stärker, nur ein schwaches, widerstandsuufähiges kaun daran zu Grunde gehn. Daß wir ein solches sind, dieses Armutszeugnis werden wir Deutschen uns doch wohl nicht selbst ausstellen wollen. Nicht fremde Kultureinflüsse ge¬ fährden die eigne Nationalität, sondern die Schwäche des Nationalbewußtseins, die nationale Charakterlosigkeit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/74>, abgerufen am 03.07.2024.