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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Filier!

8

Ich verließ das Feuerwehrdepvt in einem Zustande, der schwer zu beschreiben
ist. Ich war empört. Ich war überzeugt, daß alles, was der Brandmeister er¬
zählt hatte, auf Klatsch und Verleumdung beruhe. Trotz dieser Überzeugung fühlte
ich mich gedrückt, beschämt und gedemütigt. War ich denn wirklich ein solcher
Gimpel, daß ich Mahada für die Personifizierung der Sittsnmkeit und Bescheiden¬
heit gehalten hatte, während Leute, die sie lttuger kannten, in ihr eine gewiegte
Kokette sehen mußten! Und schließlich war ich darüber am meisten empört, daß
die Erzählung des Brandmeisters mich überhaupt aus der Fassung gebracht und einen
ganzen Sturm widersprechender Gefühle in mir erregt hatte. Was war mir Mahada
Ssawinski? Was ging sie mich an? Ob sie einsam mit der Mutter saß und
nähte oder von Offizieren umringt war, mit denen sie ihr Spiel trieb -- was
hatte ich damit zu tun? Sie war nicht das erste schöne Mädchen, das ich in
meinem Leben zu Gesicht bekam. Und wäre sie auch das erste gewesen, so lag
darin immer noch keine Entschuldigung für den Unsinn, daß ich mir zu Herzen
nahm, was über sie gesprochen wurde. Aber wenn sie wirklich still und eingezogen
lebte, wenn die vom Brandmeister wiederholten Gerüchte lauter Lügen waren, wenn
sie unter diesen Gerüchten vielleicht schon viel und schwer gelitten hatte -- dann
war es kein Wunder, daß sie die Öffentlichkeit fürchtete, und wenn sie gezwungen
wurde, aus der Verborgenheit hervorzutreten, wie damals demi Richter, so wunder-
bar flehend aus den Augen schaute. Ja, dieser flehende Blick war es gewesen,
der es mir angetan hatte, und dieser Blick konnte unmöglich täuschen. Dieser Blick
war nicht gemacht, nicht berechnet. Ohne ihren Willen hatte er verraten, wie es
in ihrem Innern aussah, wie hilflos, wie verlassen sie sich fühlte. Und sie sollte
eine Kokette sein, noch dazu eine geübte, die mit der Zuneigung und Hingebung
andrer ihren Spott trieb! Nimmermehr. Lügen und wieder Lügen, ausgesprengt
von verdorbnen Subjekten, denen nichts heilig war, die in ihrer moralischen Zer¬
fahrenheit jeden Begriff von Unschuld und Reinheit verloren hatten wie mein
saubrer Kollege Guido! Vielleicht ging das Gerede auch nur von ihm allein aus.
Sehr möglich, daß er sich Mahada leichtfertig hatte nähern wollen wie den zweifel¬
haften, anrüchigen Weibern, von denen er mir in unserm ersten Gespräche Mitteilung
gemacht hatte. Abgewiesen, wie es sich gehörte, war er schlecht genug gewesen, sich
durch ehrenrührige Klatschereien zu rächen. Freilich machte der Brandmeister nicht
den Eindruck, als ob er gedankenlos nachgeplappert hätte, was aus keiner bessern
Quelle kam als aus dem Munde Guibos. Aber der Brandmeister war -- wie
es bei ihm mit den Folgen des Trinkens auch stehn mochte -- doch immer ein
Trinker, und was für Unsinn bei dem Trinken in lustiger und dabei moralisch ver-
dorbner Gesellschaft zusammengebrochen wird, davon hatte ich schon manches Bei¬
spiel erlebt. Zudem schien der Brandmeister überhaupt vou den Weibern schlecht
zu denken. Das war ihm auch nicht zu verargen, wenn seine Frauenbekanntschafteu
sich auf die Sorte beschränkten, zu der Suskins Schwester gehörte. Pfui Teufel!
Es war zu arg. Suskins Schwester und Murja Jwanowna hatte der Mann in
einem Atem nebeneinander gestellt. Nun jn, er faßte die Sache vou der scherz¬
hafte" Seite auf und nannte beide zusammen, weil sie in derselben Straße wohnten.
Er hatte jn selbst dabei gesagt, Marja Jwauowua sei uicht von der Art.

Mein innerer Zwiespalt und meine Entrüstung waren um nichts geringer ge¬
worden, als ich Suskius Hof betrat und die Schwester im Hinterhause aufsuchte.
Ich fand sie mit einer Magd in einer geräumigen Küche, wo sie im Begriff war,
das Essen zu bereiten Ich sah sie uicht gerade freundlich an, als sie mir ent¬
gegentrat in einem Hauskleid?, das die zum Platzen vollen Formen unbeengt vor¬
trete" ließ, hochgewachsen, mit einem feingeschnittnen Gesicht, dessen schwarze mandel-
förmige Augen auf orientalische, vielleicht jüdische Abstammung deuteten. Die Ord-
nung, die in dem Raume herrschte, das Blinken der Kessel auf dem englischen
Kachelherde, die tadellose Sauberkeit des Tisches wie des Brettes, auf dem die
Magd Fleisch hackte -- alles das entging meinen Blicken nicht; aber meine Stimmung


Filier!

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Ich verließ das Feuerwehrdepvt in einem Zustande, der schwer zu beschreiben
ist. Ich war empört. Ich war überzeugt, daß alles, was der Brandmeister er¬
zählt hatte, auf Klatsch und Verleumdung beruhe. Trotz dieser Überzeugung fühlte
ich mich gedrückt, beschämt und gedemütigt. War ich denn wirklich ein solcher
Gimpel, daß ich Mahada für die Personifizierung der Sittsnmkeit und Bescheiden¬
heit gehalten hatte, während Leute, die sie lttuger kannten, in ihr eine gewiegte
Kokette sehen mußten! Und schließlich war ich darüber am meisten empört, daß
die Erzählung des Brandmeisters mich überhaupt aus der Fassung gebracht und einen
ganzen Sturm widersprechender Gefühle in mir erregt hatte. Was war mir Mahada
Ssawinski? Was ging sie mich an? Ob sie einsam mit der Mutter saß und
nähte oder von Offizieren umringt war, mit denen sie ihr Spiel trieb — was
hatte ich damit zu tun? Sie war nicht das erste schöne Mädchen, das ich in
meinem Leben zu Gesicht bekam. Und wäre sie auch das erste gewesen, so lag
darin immer noch keine Entschuldigung für den Unsinn, daß ich mir zu Herzen
nahm, was über sie gesprochen wurde. Aber wenn sie wirklich still und eingezogen
lebte, wenn die vom Brandmeister wiederholten Gerüchte lauter Lügen waren, wenn
sie unter diesen Gerüchten vielleicht schon viel und schwer gelitten hatte — dann
war es kein Wunder, daß sie die Öffentlichkeit fürchtete, und wenn sie gezwungen
wurde, aus der Verborgenheit hervorzutreten, wie damals demi Richter, so wunder-
bar flehend aus den Augen schaute. Ja, dieser flehende Blick war es gewesen,
der es mir angetan hatte, und dieser Blick konnte unmöglich täuschen. Dieser Blick
war nicht gemacht, nicht berechnet. Ohne ihren Willen hatte er verraten, wie es
in ihrem Innern aussah, wie hilflos, wie verlassen sie sich fühlte. Und sie sollte
eine Kokette sein, noch dazu eine geübte, die mit der Zuneigung und Hingebung
andrer ihren Spott trieb! Nimmermehr. Lügen und wieder Lügen, ausgesprengt
von verdorbnen Subjekten, denen nichts heilig war, die in ihrer moralischen Zer¬
fahrenheit jeden Begriff von Unschuld und Reinheit verloren hatten wie mein
saubrer Kollege Guido! Vielleicht ging das Gerede auch nur von ihm allein aus.
Sehr möglich, daß er sich Mahada leichtfertig hatte nähern wollen wie den zweifel¬
haften, anrüchigen Weibern, von denen er mir in unserm ersten Gespräche Mitteilung
gemacht hatte. Abgewiesen, wie es sich gehörte, war er schlecht genug gewesen, sich
durch ehrenrührige Klatschereien zu rächen. Freilich machte der Brandmeister nicht
den Eindruck, als ob er gedankenlos nachgeplappert hätte, was aus keiner bessern
Quelle kam als aus dem Munde Guibos. Aber der Brandmeister war — wie
es bei ihm mit den Folgen des Trinkens auch stehn mochte — doch immer ein
Trinker, und was für Unsinn bei dem Trinken in lustiger und dabei moralisch ver-
dorbner Gesellschaft zusammengebrochen wird, davon hatte ich schon manches Bei¬
spiel erlebt. Zudem schien der Brandmeister überhaupt vou den Weibern schlecht
zu denken. Das war ihm auch nicht zu verargen, wenn seine Frauenbekanntschafteu
sich auf die Sorte beschränkten, zu der Suskins Schwester gehörte. Pfui Teufel!
Es war zu arg. Suskins Schwester und Murja Jwanowna hatte der Mann in
einem Atem nebeneinander gestellt. Nun jn, er faßte die Sache vou der scherz¬
hafte» Seite auf und nannte beide zusammen, weil sie in derselben Straße wohnten.
Er hatte jn selbst dabei gesagt, Marja Jwauowua sei uicht von der Art.

Mein innerer Zwiespalt und meine Entrüstung waren um nichts geringer ge¬
worden, als ich Suskius Hof betrat und die Schwester im Hinterhause aufsuchte.
Ich fand sie mit einer Magd in einer geräumigen Küche, wo sie im Begriff war,
das Essen zu bereiten Ich sah sie uicht gerade freundlich an, als sie mir ent¬
gegentrat in einem Hauskleid?, das die zum Platzen vollen Formen unbeengt vor¬
trete» ließ, hochgewachsen, mit einem feingeschnittnen Gesicht, dessen schwarze mandel-
förmige Augen auf orientalische, vielleicht jüdische Abstammung deuteten. Die Ord-
nung, die in dem Raume herrschte, das Blinken der Kessel auf dem englischen
Kachelherde, die tadellose Sauberkeit des Tisches wie des Brettes, auf dem die
Magd Fleisch hackte — alles das entging meinen Blicken nicht; aber meine Stimmung


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[0372] Filier! 8 Ich verließ das Feuerwehrdepvt in einem Zustande, der schwer zu beschreiben ist. Ich war empört. Ich war überzeugt, daß alles, was der Brandmeister er¬ zählt hatte, auf Klatsch und Verleumdung beruhe. Trotz dieser Überzeugung fühlte ich mich gedrückt, beschämt und gedemütigt. War ich denn wirklich ein solcher Gimpel, daß ich Mahada für die Personifizierung der Sittsnmkeit und Bescheiden¬ heit gehalten hatte, während Leute, die sie lttuger kannten, in ihr eine gewiegte Kokette sehen mußten! Und schließlich war ich darüber am meisten empört, daß die Erzählung des Brandmeisters mich überhaupt aus der Fassung gebracht und einen ganzen Sturm widersprechender Gefühle in mir erregt hatte. Was war mir Mahada Ssawinski? Was ging sie mich an? Ob sie einsam mit der Mutter saß und nähte oder von Offizieren umringt war, mit denen sie ihr Spiel trieb — was hatte ich damit zu tun? Sie war nicht das erste schöne Mädchen, das ich in meinem Leben zu Gesicht bekam. Und wäre sie auch das erste gewesen, so lag darin immer noch keine Entschuldigung für den Unsinn, daß ich mir zu Herzen nahm, was über sie gesprochen wurde. Aber wenn sie wirklich still und eingezogen lebte, wenn die vom Brandmeister wiederholten Gerüchte lauter Lügen waren, wenn sie unter diesen Gerüchten vielleicht schon viel und schwer gelitten hatte — dann war es kein Wunder, daß sie die Öffentlichkeit fürchtete, und wenn sie gezwungen wurde, aus der Verborgenheit hervorzutreten, wie damals demi Richter, so wunder- bar flehend aus den Augen schaute. Ja, dieser flehende Blick war es gewesen, der es mir angetan hatte, und dieser Blick konnte unmöglich täuschen. Dieser Blick war nicht gemacht, nicht berechnet. Ohne ihren Willen hatte er verraten, wie es in ihrem Innern aussah, wie hilflos, wie verlassen sie sich fühlte. Und sie sollte eine Kokette sein, noch dazu eine geübte, die mit der Zuneigung und Hingebung andrer ihren Spott trieb! Nimmermehr. Lügen und wieder Lügen, ausgesprengt von verdorbnen Subjekten, denen nichts heilig war, die in ihrer moralischen Zer¬ fahrenheit jeden Begriff von Unschuld und Reinheit verloren hatten wie mein saubrer Kollege Guido! Vielleicht ging das Gerede auch nur von ihm allein aus. Sehr möglich, daß er sich Mahada leichtfertig hatte nähern wollen wie den zweifel¬ haften, anrüchigen Weibern, von denen er mir in unserm ersten Gespräche Mitteilung gemacht hatte. Abgewiesen, wie es sich gehörte, war er schlecht genug gewesen, sich durch ehrenrührige Klatschereien zu rächen. Freilich machte der Brandmeister nicht den Eindruck, als ob er gedankenlos nachgeplappert hätte, was aus keiner bessern Quelle kam als aus dem Munde Guibos. Aber der Brandmeister war — wie es bei ihm mit den Folgen des Trinkens auch stehn mochte — doch immer ein Trinker, und was für Unsinn bei dem Trinken in lustiger und dabei moralisch ver- dorbner Gesellschaft zusammengebrochen wird, davon hatte ich schon manches Bei¬ spiel erlebt. Zudem schien der Brandmeister überhaupt vou den Weibern schlecht zu denken. Das war ihm auch nicht zu verargen, wenn seine Frauenbekanntschafteu sich auf die Sorte beschränkten, zu der Suskins Schwester gehörte. Pfui Teufel! Es war zu arg. Suskins Schwester und Murja Jwanowna hatte der Mann in einem Atem nebeneinander gestellt. Nun jn, er faßte die Sache vou der scherz¬ hafte» Seite auf und nannte beide zusammen, weil sie in derselben Straße wohnten. Er hatte jn selbst dabei gesagt, Marja Jwauowua sei uicht von der Art. Mein innerer Zwiespalt und meine Entrüstung waren um nichts geringer ge¬ worden, als ich Suskius Hof betrat und die Schwester im Hinterhause aufsuchte. Ich fand sie mit einer Magd in einer geräumigen Küche, wo sie im Begriff war, das Essen zu bereiten Ich sah sie uicht gerade freundlich an, als sie mir ent¬ gegentrat in einem Hauskleid?, das die zum Platzen vollen Formen unbeengt vor¬ trete» ließ, hochgewachsen, mit einem feingeschnittnen Gesicht, dessen schwarze mandel- förmige Augen auf orientalische, vielleicht jüdische Abstammung deuteten. Die Ord- nung, die in dem Raume herrschte, das Blinken der Kessel auf dem englischen Kachelherde, die tadellose Sauberkeit des Tisches wie des Brettes, auf dem die Magd Fleisch hackte — alles das entging meinen Blicken nicht; aber meine Stimmung

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/372>, abgerufen am 27.07.2024.