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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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wurde dadurch nicht besser, und wenn der Brandmeister hätte zugegen sein können,
ich wette, er wäre mit der Barschheit meines Auftretens lwllig zufrieden gestellt
gewesen, Gut war es jedoch, daß er nicht zugegen war. Wir Ware" schwerlich
friedlich auseinander gekommen. Er hatte es zu toll, zu tölpelhaft angefangen.
Diese herausfordernde, welterfahrne Person gewissermaßen in eine und dieselbe
Kategorie mit Maria Jwanowna Ssawinski bringen zu können

Es war über elf Uhr geworden, als ich uach Ha.ise kam. Ich schulte Gera Sinn
nach dem Ehlen .ab warf mich auf das Bett, um bis zu s^mer ZurrMnnf zu
schlunnnerm. Vergebliche Mühe! Als ich lag. und der Körper in Untätigkeit war
arbeitete es um so starker im Jnnern. Ich hätte den Brandmeister in Stücke
zerreiße" möge", und doch war ich über ihn nicht so aufgebracht wie über Gmvo.
obgleich ich mir wieder gesteh" mußte, daß die Schuld hier mehr in der Avueigung
l"g, die Guido mir vo" vornherein eingeflößt hatte. Das Liegen wurde lar micht
niierträglich. Ich sprang auf. lief im Zimmer auf und nieder und rauchte eine
Zigarette unes der andern.

.Endlich kam Gcrassim und deckte den Tisch. Ich hatte große Lust zu ve-
fehle", er solle das Essen für sich behalten, denn ich fühlte keinen Hunger. Aber
ich tat es "icht, um den Menschen nicht zu beleidigen. Ich setzte mich und ergriff
widerwillig den Löffel. Die Kohlsuppe mit winzig kleinen Fleischklößchen darin,
die so zart waren, daß sie sich mit der Zunge zerdrücken ließen, behauptete jedochihr Recht. Ich perzehrte nicht nur einen ganzen Teller, sondern nahm mir noch
einen halben. Ich hätte sogar den zweiten ganz geleert, wenn ich nicht gefürchtet
hätte, Gerassim zu sehr zu schmäler". Es wurde mir leichter zu Mute. Ich konnte
sogar darüber lachen, daß mir nach der Suppe warm wurde, und ich fast geschwitzt
hätte wie Gcrassim, wenn er seinen dritten Krug Tee trank. Bei dem saftigen
Braten und schmnckhasten Zugemüse Perbesserte sich meine Stimmung bedeutend
und als Gerassim darauf ungeheißen die Teemaschine auftrug, begann ich mich fast
darüber zu wundern, wie es möglich gewesen war, daß des Brandmeisters Ge¬
plapper mich in solche Aufregung 'hatte versetzen können.

Was war mir Mahada? Sie hatte bei dem ersten Z^'77"treffen Eindruck
""f '"ich gemacht. Der Blick, der flehende Blick, den ich erhascht hatte! ^h MM
jetzt in der Wärme und mit dem Teeglase por mir wohltuendes Gruse u me ich
"M den Blick vergegenwärtigte. Nun gut. was war weiter dabei? Gesetzt, der
Brandmeister hatte Recht, hatte die Wahrheit gesprochen - was weiter Offiziere
hatten das Haus besucht, vielleicht junge Kameraden oder Untergebne des Perstorbnen
Vaters. Warm", sollte" sie die Witwe nicht besuchen? Es war vielleicht hübsch
von ihnen, daß sie nicht wegbliebe", obgleich sie nicht mehr ausgenommen und ge¬
füttert werde" konnten wie früher, als der Vater lebte. Und wenn sie sich dabei
in Mafcha verliebten, wenn sie alles aufboten, ihre Neigung, vielleicht ihre Hand
zu gewinne" -- wahrlich, ich war nicht imstande, ihnen das zu verdenke". Und
Mahada? War sie gezwungen, sich dadurch beeinflussen zu lassen? Durfte sie nicht
sreie Herrin über ihr eignes Gefühl sein? Sollte sie nicht das Recht haben, den
zurückzuweisen, der ihr nicht gefiel, zumal wenn er möglicherweise aufdring ich wurde.
Kokett, hatte der Brandmeister gesagt. Dummes Zeug! Vou der Seite gesehen,
kom.te als Koketterie erscheinen, was anfangs lauter Herzensgüte nud spater Gerad¬
heit und Entschiedenheit war. Ich hatte mehrere Stunden mit ihr zMM'nen ge¬
sessen und sie beobachtet und -- uun ja. kokett war sie. aber Koketterie und Koketterie
ist nicht immer derselbe Begriff. Solche Koketterie, wie Mafcha ste gestern abend
an den Tag gelegt hatte, verdient keinen Vorwurf. Im Gegenteil, solche Koketterie
ist nur der Widerschein der Kindlichkeit, die sich in dem erwachsenen Madchen er¬
halten hat.

Meinen Kollegen Guido hatte sie ablaufen lassen? Nun und? Hätte sie den
jämmerlichen Kerl Pielleicht nicht sollen ablaufen lassen? Wenn er in Wild geraten
war, in solche Wut, daß er schlechte Gerüchte über sie verbreitete, so ließ sich daraus


Grenzboten 1 1908 47

wurde dadurch nicht besser, und wenn der Brandmeister hätte zugegen sein können,
ich wette, er wäre mit der Barschheit meines Auftretens lwllig zufrieden gestellt
gewesen, Gut war es jedoch, daß er nicht zugegen war. Wir Ware» schwerlich
friedlich auseinander gekommen. Er hatte es zu toll, zu tölpelhaft angefangen.
Diese herausfordernde, welterfahrne Person gewissermaßen in eine und dieselbe
Kategorie mit Maria Jwanowna Ssawinski bringen zu können

Es war über elf Uhr geworden, als ich uach Ha.ise kam. Ich schulte Gera Sinn
nach dem Ehlen .ab warf mich auf das Bett, um bis zu s^mer ZurrMnnf zu
schlunnnerm. Vergebliche Mühe! Als ich lag. und der Körper in Untätigkeit war
arbeitete es um so starker im Jnnern. Ich hätte den Brandmeister in Stücke
zerreiße» möge», und doch war ich über ihn nicht so aufgebracht wie über Gmvo.
obgleich ich mir wieder gesteh» mußte, daß die Schuld hier mehr in der Avueigung
l"g, die Guido mir vo» vornherein eingeflößt hatte. Das Liegen wurde lar micht
niierträglich. Ich sprang auf. lief im Zimmer auf und nieder und rauchte eine
Zigarette unes der andern.

.Endlich kam Gcrassim und deckte den Tisch. Ich hatte große Lust zu ve-
fehle», er solle das Essen für sich behalten, denn ich fühlte keinen Hunger. Aber
ich tat es «icht, um den Menschen nicht zu beleidigen. Ich setzte mich und ergriff
widerwillig den Löffel. Die Kohlsuppe mit winzig kleinen Fleischklößchen darin,
die so zart waren, daß sie sich mit der Zunge zerdrücken ließen, behauptete jedochihr Recht. Ich perzehrte nicht nur einen ganzen Teller, sondern nahm mir noch
einen halben. Ich hätte sogar den zweiten ganz geleert, wenn ich nicht gefürchtet
hätte, Gerassim zu sehr zu schmäler». Es wurde mir leichter zu Mute. Ich konnte
sogar darüber lachen, daß mir nach der Suppe warm wurde, und ich fast geschwitzt
hätte wie Gcrassim, wenn er seinen dritten Krug Tee trank. Bei dem saftigen
Braten und schmnckhasten Zugemüse Perbesserte sich meine Stimmung bedeutend
und als Gerassim darauf ungeheißen die Teemaschine auftrug, begann ich mich fast
darüber zu wundern, wie es möglich gewesen war, daß des Brandmeisters Ge¬
plapper mich in solche Aufregung 'hatte versetzen können.

Was war mir Mahada? Sie hatte bei dem ersten Z^'77"treffen Eindruck
""f '»ich gemacht. Der Blick, der flehende Blick, den ich erhascht hatte! ^h MM
jetzt in der Wärme und mit dem Teeglase por mir wohltuendes Gruse u me ich
"M den Blick vergegenwärtigte. Nun gut. was war weiter dabei? Gesetzt, der
Brandmeister hatte Recht, hatte die Wahrheit gesprochen - was weiter Offiziere
hatten das Haus besucht, vielleicht junge Kameraden oder Untergebne des Perstorbnen
Vaters. Warm», sollte» sie die Witwe nicht besuchen? Es war vielleicht hübsch
von ihnen, daß sie nicht wegbliebe», obgleich sie nicht mehr ausgenommen und ge¬
füttert werde» konnten wie früher, als der Vater lebte. Und wenn sie sich dabei
in Mafcha verliebten, wenn sie alles aufboten, ihre Neigung, vielleicht ihre Hand
zu gewinne» — wahrlich, ich war nicht imstande, ihnen das zu verdenke». Und
Mahada? War sie gezwungen, sich dadurch beeinflussen zu lassen? Durfte sie nicht
sreie Herrin über ihr eignes Gefühl sein? Sollte sie nicht das Recht haben, den
zurückzuweisen, der ihr nicht gefiel, zumal wenn er möglicherweise aufdring ich wurde.
Kokett, hatte der Brandmeister gesagt. Dummes Zeug! Vou der Seite gesehen,
kom.te als Koketterie erscheinen, was anfangs lauter Herzensgüte nud spater Gerad¬
heit und Entschiedenheit war. Ich hatte mehrere Stunden mit ihr zMM'nen ge¬
sessen und sie beobachtet und — uun ja. kokett war sie. aber Koketterie und Koketterie
ist nicht immer derselbe Begriff. Solche Koketterie, wie Mafcha ste gestern abend
an den Tag gelegt hatte, verdient keinen Vorwurf. Im Gegenteil, solche Koketterie
ist nur der Widerschein der Kindlichkeit, die sich in dem erwachsenen Madchen er¬
halten hat.

Meinen Kollegen Guido hatte sie ablaufen lassen? Nun und? Hätte sie den
jämmerlichen Kerl Pielleicht nicht sollen ablaufen lassen? Wenn er in Wild geraten
war, in solche Wut, daß er schlechte Gerüchte über sie verbreitete, so ließ sich daraus


Grenzboten 1 1908 47
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[0373] wurde dadurch nicht besser, und wenn der Brandmeister hätte zugegen sein können, ich wette, er wäre mit der Barschheit meines Auftretens lwllig zufrieden gestellt gewesen, Gut war es jedoch, daß er nicht zugegen war. Wir Ware» schwerlich friedlich auseinander gekommen. Er hatte es zu toll, zu tölpelhaft angefangen. Diese herausfordernde, welterfahrne Person gewissermaßen in eine und dieselbe Kategorie mit Maria Jwanowna Ssawinski bringen zu können Es war über elf Uhr geworden, als ich uach Ha.ise kam. Ich schulte Gera Sinn nach dem Ehlen .ab warf mich auf das Bett, um bis zu s^mer ZurrMnnf zu schlunnnerm. Vergebliche Mühe! Als ich lag. und der Körper in Untätigkeit war arbeitete es um so starker im Jnnern. Ich hätte den Brandmeister in Stücke zerreiße» möge», und doch war ich über ihn nicht so aufgebracht wie über Gmvo. obgleich ich mir wieder gesteh» mußte, daß die Schuld hier mehr in der Avueigung l"g, die Guido mir vo» vornherein eingeflößt hatte. Das Liegen wurde lar micht niierträglich. Ich sprang auf. lief im Zimmer auf und nieder und rauchte eine Zigarette unes der andern. .Endlich kam Gcrassim und deckte den Tisch. Ich hatte große Lust zu ve- fehle», er solle das Essen für sich behalten, denn ich fühlte keinen Hunger. Aber ich tat es «icht, um den Menschen nicht zu beleidigen. Ich setzte mich und ergriff widerwillig den Löffel. Die Kohlsuppe mit winzig kleinen Fleischklößchen darin, die so zart waren, daß sie sich mit der Zunge zerdrücken ließen, behauptete jedochihr Recht. Ich perzehrte nicht nur einen ganzen Teller, sondern nahm mir noch einen halben. Ich hätte sogar den zweiten ganz geleert, wenn ich nicht gefürchtet hätte, Gerassim zu sehr zu schmäler». Es wurde mir leichter zu Mute. Ich konnte sogar darüber lachen, daß mir nach der Suppe warm wurde, und ich fast geschwitzt hätte wie Gcrassim, wenn er seinen dritten Krug Tee trank. Bei dem saftigen Braten und schmnckhasten Zugemüse Perbesserte sich meine Stimmung bedeutend und als Gerassim darauf ungeheißen die Teemaschine auftrug, begann ich mich fast darüber zu wundern, wie es möglich gewesen war, daß des Brandmeisters Ge¬ plapper mich in solche Aufregung 'hatte versetzen können. Was war mir Mahada? Sie hatte bei dem ersten Z^'77"treffen Eindruck ""f '»ich gemacht. Der Blick, der flehende Blick, den ich erhascht hatte! ^h MM jetzt in der Wärme und mit dem Teeglase por mir wohltuendes Gruse u me ich "M den Blick vergegenwärtigte. Nun gut. was war weiter dabei? Gesetzt, der Brandmeister hatte Recht, hatte die Wahrheit gesprochen - was weiter Offiziere hatten das Haus besucht, vielleicht junge Kameraden oder Untergebne des Perstorbnen Vaters. Warm», sollte» sie die Witwe nicht besuchen? Es war vielleicht hübsch von ihnen, daß sie nicht wegbliebe», obgleich sie nicht mehr ausgenommen und ge¬ füttert werde» konnten wie früher, als der Vater lebte. Und wenn sie sich dabei in Mafcha verliebten, wenn sie alles aufboten, ihre Neigung, vielleicht ihre Hand zu gewinne» — wahrlich, ich war nicht imstande, ihnen das zu verdenke». Und Mahada? War sie gezwungen, sich dadurch beeinflussen zu lassen? Durfte sie nicht sreie Herrin über ihr eignes Gefühl sein? Sollte sie nicht das Recht haben, den zurückzuweisen, der ihr nicht gefiel, zumal wenn er möglicherweise aufdring ich wurde. Kokett, hatte der Brandmeister gesagt. Dummes Zeug! Vou der Seite gesehen, kom.te als Koketterie erscheinen, was anfangs lauter Herzensgüte nud spater Gerad¬ heit und Entschiedenheit war. Ich hatte mehrere Stunden mit ihr zMM'nen ge¬ sessen und sie beobachtet und — uun ja. kokett war sie. aber Koketterie und Koketterie ist nicht immer derselbe Begriff. Solche Koketterie, wie Mafcha ste gestern abend an den Tag gelegt hatte, verdient keinen Vorwurf. Im Gegenteil, solche Koketterie ist nur der Widerschein der Kindlichkeit, die sich in dem erwachsenen Madchen er¬ halten hat. Meinen Kollegen Guido hatte sie ablaufen lassen? Nun und? Hätte sie den jämmerlichen Kerl Pielleicht nicht sollen ablaufen lassen? Wenn er in Wild geraten war, in solche Wut, daß er schlechte Gerüchte über sie verbreitete, so ließ sich daraus Grenzboten 1 1908 47

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/373>, abgerufen am 24.11.2024.