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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Gine Inselreihe durch das griechische Meer

wurden. Wäre das Zentrum Rußlands in Moskau geblieben, so würden sie
weniger zur Größe des Reichs beigetragen, vielleicht aber durch regere Ent¬
wicklung des heimischen Unternehinuugsgeistes besser für ihre eigne Zukunft
vorgesorgt haben. Finnland war seit der Verlegung der russischen Residenz nach
der Ostsee der Attraktivnskraft des mächtigen Nachbarreichs rettungslos über¬
liefert. Die Hauptstadt einer Großmacht kann auf die Dauer nicht Grenzstadt
bleiben. Schweden hat noch nach dem Nordischen Kriege zwei Präventivkriege
geführt, um Nußland wieder nach Moskau zurückzuwerfen und den Verlust
Finnlands zu verhüte". Es war umsonst. Die ungeheure Übermacht und die
geographische Lage gaben den Ausschlag zu Gunsten Rußlands.




(Line Inselreihe durch das griechische Meer
Friedrich Seiler von
2. Von Aeos bis Mykonos

ach dem gedruckten Neiscprogramm sollten wir von Sunion hinüber
nach dem naheliegenden Andros fahren, aber der starke Nord¬
wind machte das unmöglich, und wir kamen so um den Anblick
der "Andria," des Mädchens von Andros, auf das sich besonders
die Jüngern unter uns schon gefreut hatten. Statt dessen steuerte
unser Schiff südwärts der Insel Keos zu, der Heimat des Dichters Simonides
und des Philosophen Proditos. Es landete aber nicht an der Hauptstadt Kea,
sondern an der Südostküste, wo einst die alte Stadt Karthaia gelegen hat. Hier
waren der Herren- und der Damenstrand durch eine starke ins Meer vorspringende
FelskuKssc gesondert, aber niemand mochte bei dem kalten Winde von der vor-
treMben Badegelegenheit Gebrauch machen. Vielmehr stiegen wir alle zu der
schmalen, schrägen Felsterrasse hinauf, wo früher die Heiligtümer der Stadt
gelegen hatten, und fanden dort "eine schöne, polygonale Mauer" nebst Gräber-
mschen und Höhlen. Auch eine zweite noch höhere, schmalere und schwerer
zugängliche Terrasse wurde von den Kühnern bestiegen. Auf beiden Terrassen,
wo einst eine blühende Stadt gestanden hatte, herrschte jetzt absolute Einsamkeit.
Keine Spur von Anbau war in dem Felstal unterhalb°der beiden Terrassen,
zu entdecken, mir eine kleine byzantinische Kapelle dämmerte verfallend am
Strande hin, und ein Hirtenjunge ließ einige Ziegen, man kann nicht sagen
grasen -- denn Gras gab es wohl kaum -- eher tuschen. Dein mag wohl
hier manchmal in der Mittagsstunde der große Pan erscheinen, sodaß er ent¬
setzt mit seiner Hirtenflasche strandwärts flüchtet, wie das Böcklinsche Gemälde
das so wunderbar darstellt.

Während der Weiterfahrt überzogen Wolken das Firmament, und "es brach
dom Himmel herein die Nacht." Ich setzte mich in das ans allen Selten mit
Glas umwendete Kompaß- oder Stenerhäuschen ans Deck und sah von dieser


Grenzboten 1 1903 ^
Gine Inselreihe durch das griechische Meer

wurden. Wäre das Zentrum Rußlands in Moskau geblieben, so würden sie
weniger zur Größe des Reichs beigetragen, vielleicht aber durch regere Ent¬
wicklung des heimischen Unternehinuugsgeistes besser für ihre eigne Zukunft
vorgesorgt haben. Finnland war seit der Verlegung der russischen Residenz nach
der Ostsee der Attraktivnskraft des mächtigen Nachbarreichs rettungslos über¬
liefert. Die Hauptstadt einer Großmacht kann auf die Dauer nicht Grenzstadt
bleiben. Schweden hat noch nach dem Nordischen Kriege zwei Präventivkriege
geführt, um Nußland wieder nach Moskau zurückzuwerfen und den Verlust
Finnlands zu verhüte». Es war umsonst. Die ungeheure Übermacht und die
geographische Lage gaben den Ausschlag zu Gunsten Rußlands.




(Line Inselreihe durch das griechische Meer
Friedrich Seiler von
2. Von Aeos bis Mykonos

ach dem gedruckten Neiscprogramm sollten wir von Sunion hinüber
nach dem naheliegenden Andros fahren, aber der starke Nord¬
wind machte das unmöglich, und wir kamen so um den Anblick
der „Andria," des Mädchens von Andros, auf das sich besonders
die Jüngern unter uns schon gefreut hatten. Statt dessen steuerte
unser Schiff südwärts der Insel Keos zu, der Heimat des Dichters Simonides
und des Philosophen Proditos. Es landete aber nicht an der Hauptstadt Kea,
sondern an der Südostküste, wo einst die alte Stadt Karthaia gelegen hat. Hier
waren der Herren- und der Damenstrand durch eine starke ins Meer vorspringende
FelskuKssc gesondert, aber niemand mochte bei dem kalten Winde von der vor-
treMben Badegelegenheit Gebrauch machen. Vielmehr stiegen wir alle zu der
schmalen, schrägen Felsterrasse hinauf, wo früher die Heiligtümer der Stadt
gelegen hatten, und fanden dort „eine schöne, polygonale Mauer" nebst Gräber-
mschen und Höhlen. Auch eine zweite noch höhere, schmalere und schwerer
zugängliche Terrasse wurde von den Kühnern bestiegen. Auf beiden Terrassen,
wo einst eine blühende Stadt gestanden hatte, herrschte jetzt absolute Einsamkeit.
Keine Spur von Anbau war in dem Felstal unterhalb°der beiden Terrassen,
zu entdecken, mir eine kleine byzantinische Kapelle dämmerte verfallend am
Strande hin, und ein Hirtenjunge ließ einige Ziegen, man kann nicht sagen
grasen — denn Gras gab es wohl kaum — eher tuschen. Dein mag wohl
hier manchmal in der Mittagsstunde der große Pan erscheinen, sodaß er ent¬
setzt mit seiner Hirtenflasche strandwärts flüchtet, wie das Böcklinsche Gemälde
das so wunderbar darstellt.

Während der Weiterfahrt überzogen Wolken das Firmament, und „es brach
dom Himmel herein die Nacht." Ich setzte mich in das ans allen Selten mit
Glas umwendete Kompaß- oder Stenerhäuschen ans Deck und sah von dieser


Grenzboten 1 1903 ^
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[0101] Gine Inselreihe durch das griechische Meer wurden. Wäre das Zentrum Rußlands in Moskau geblieben, so würden sie weniger zur Größe des Reichs beigetragen, vielleicht aber durch regere Ent¬ wicklung des heimischen Unternehinuugsgeistes besser für ihre eigne Zukunft vorgesorgt haben. Finnland war seit der Verlegung der russischen Residenz nach der Ostsee der Attraktivnskraft des mächtigen Nachbarreichs rettungslos über¬ liefert. Die Hauptstadt einer Großmacht kann auf die Dauer nicht Grenzstadt bleiben. Schweden hat noch nach dem Nordischen Kriege zwei Präventivkriege geführt, um Nußland wieder nach Moskau zurückzuwerfen und den Verlust Finnlands zu verhüte». Es war umsonst. Die ungeheure Übermacht und die geographische Lage gaben den Ausschlag zu Gunsten Rußlands. (Line Inselreihe durch das griechische Meer Friedrich Seiler von 2. Von Aeos bis Mykonos ach dem gedruckten Neiscprogramm sollten wir von Sunion hinüber nach dem naheliegenden Andros fahren, aber der starke Nord¬ wind machte das unmöglich, und wir kamen so um den Anblick der „Andria," des Mädchens von Andros, auf das sich besonders die Jüngern unter uns schon gefreut hatten. Statt dessen steuerte unser Schiff südwärts der Insel Keos zu, der Heimat des Dichters Simonides und des Philosophen Proditos. Es landete aber nicht an der Hauptstadt Kea, sondern an der Südostküste, wo einst die alte Stadt Karthaia gelegen hat. Hier waren der Herren- und der Damenstrand durch eine starke ins Meer vorspringende FelskuKssc gesondert, aber niemand mochte bei dem kalten Winde von der vor- treMben Badegelegenheit Gebrauch machen. Vielmehr stiegen wir alle zu der schmalen, schrägen Felsterrasse hinauf, wo früher die Heiligtümer der Stadt gelegen hatten, und fanden dort „eine schöne, polygonale Mauer" nebst Gräber- mschen und Höhlen. Auch eine zweite noch höhere, schmalere und schwerer zugängliche Terrasse wurde von den Kühnern bestiegen. Auf beiden Terrassen, wo einst eine blühende Stadt gestanden hatte, herrschte jetzt absolute Einsamkeit. Keine Spur von Anbau war in dem Felstal unterhalb°der beiden Terrassen, zu entdecken, mir eine kleine byzantinische Kapelle dämmerte verfallend am Strande hin, und ein Hirtenjunge ließ einige Ziegen, man kann nicht sagen grasen — denn Gras gab es wohl kaum — eher tuschen. Dein mag wohl hier manchmal in der Mittagsstunde der große Pan erscheinen, sodaß er ent¬ setzt mit seiner Hirtenflasche strandwärts flüchtet, wie das Böcklinsche Gemälde das so wunderbar darstellt. Während der Weiterfahrt überzogen Wolken das Firmament, und „es brach dom Himmel herein die Nacht." Ich setzte mich in das ans allen Selten mit Glas umwendete Kompaß- oder Stenerhäuschen ans Deck und sah von dieser Grenzboten 1 1903 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/101>, abgerufen am 23.11.2024.