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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Die Muttersprache in (Llsaß-Lothringen

as Deutsche Reich hat sich, indem es durch den Frankfurter
Friedensschluß das Reichsland Elsaß-Lothringen wieder mit
Deutschland vereinigt hat, nicht ein einziges Dorf angeeignet,
das nicht früher zum Deutschen Reiche gehört hätte. Wohl aber
hat Deutschland, da es sich nnr durch Rücksichten ans die eigne
Sicherheit leiten ließ, als es gegen Frankreich die neue Grenze zog, kein Be¬
denken getragen, anch ehemals deutsche Gebictsstücke an sich zu bringen, die
dem französischen Sprachgebiete angehören, nämlich eiuen kleinen Teil der
Gebiete, von denen Kurfürst Moritz von Sachsen und dessen Verbündete 1551,
als sie "die welschen Bistümer" an den König von Frankreich als Schutz¬
herrn auslieferten, erklärten, daß diese "von alters her zum Reich gehören
und mit deutscher Sprach seind." Solcher welscher Gebietsstücke hatte das
Reich außer diesen Bistümern noch andre, wie Savohen, die Freigrafschaft
Burgund, die Grafschaften Mümpelgard und Ober-Salm, die Herzogtümer
Lothringen und Bar und die "wallonischen Quartiere" der Niederlande, die
auch unter spanischer Herrschaft, gleich der Freigrafschaft Burgund, Lehen vom
Reiche blieben.

Als die deutsche Verwaltung in Elsaß-Lothringen 1871 die Sprachver-
hültnisfe des Landes ermittelte, um eine Grundlage für das Gesetz vom
31. März 1872 über die Gcschäftssprciche und zugleich für den Sprachunter¬
richt und die Unterrichtssprache in den Volksschulen zu gewinnen, hat sie nicht
eine Jndividualzählung vorgenommen, sondern auf Srnnd der Wahrnehmungen
und Ermittlungen der Behörden der verschiednen Dienstzweige eine Sprach¬
grenze festgestellt und dabei vom deutschen Sprachgebiet ein rein französisches
und ein gemischtes Sprachgebiet ausgeschieden. In den beiden letzten Sprach¬
gebieten wurde "bis auf weiteres" der Gebrauch der französischen Geschäfts¬
sprache erlaubt. Dabei scheint sich die Negierung eine Berichtigung der ersten
Aufstellung vorbehalten zu haben, da zunächst die Ergebnisse der Options-
bewegung und der damit verbundnen Auswanderung, die erst am 1. Ok¬
tober 1872 ihren Abschluß finden sollte, abgewartet werden mußten. Schon
die Verordnung vom 5. Dezember 1877 hat dann die Zahl der von dem
Gebrauch der deutscheu Geschäftssprache ausgenommenen Gemeinden auf 420
von der Gesamtzahl (1696) festgesetzt. Seitdem ist diese Zahl um 109 weitere
Gemeinden vermindert worden, sodaß nur noch 311 Gemeinden ausgenommen
sind; von ihnen gehören 22 zum Uuterelsaß, 3 zum Oberelsaß und 286 zu
Lothringen. Für die Städte Metz, Dieuze und Chnteau-Salms wurden, und
Mar für Metz schon 1883, für Dieuze 1888, für Chateau-Salms 1889 be¬
sondre Bestimmungen getroffen, wonach amtliche Berichte und Schreiben an
die Behörden des Reichs und des Landes und öffentliche Bekanntmachungen




Die Muttersprache in (Llsaß-Lothringen

as Deutsche Reich hat sich, indem es durch den Frankfurter
Friedensschluß das Reichsland Elsaß-Lothringen wieder mit
Deutschland vereinigt hat, nicht ein einziges Dorf angeeignet,
das nicht früher zum Deutschen Reiche gehört hätte. Wohl aber
hat Deutschland, da es sich nnr durch Rücksichten ans die eigne
Sicherheit leiten ließ, als es gegen Frankreich die neue Grenze zog, kein Be¬
denken getragen, anch ehemals deutsche Gebictsstücke an sich zu bringen, die
dem französischen Sprachgebiete angehören, nämlich eiuen kleinen Teil der
Gebiete, von denen Kurfürst Moritz von Sachsen und dessen Verbündete 1551,
als sie „die welschen Bistümer" an den König von Frankreich als Schutz¬
herrn auslieferten, erklärten, daß diese „von alters her zum Reich gehören
und mit deutscher Sprach seind." Solcher welscher Gebietsstücke hatte das
Reich außer diesen Bistümern noch andre, wie Savohen, die Freigrafschaft
Burgund, die Grafschaften Mümpelgard und Ober-Salm, die Herzogtümer
Lothringen und Bar und die „wallonischen Quartiere" der Niederlande, die
auch unter spanischer Herrschaft, gleich der Freigrafschaft Burgund, Lehen vom
Reiche blieben.

Als die deutsche Verwaltung in Elsaß-Lothringen 1871 die Sprachver-
hültnisfe des Landes ermittelte, um eine Grundlage für das Gesetz vom
31. März 1872 über die Gcschäftssprciche und zugleich für den Sprachunter¬
richt und die Unterrichtssprache in den Volksschulen zu gewinnen, hat sie nicht
eine Jndividualzählung vorgenommen, sondern auf Srnnd der Wahrnehmungen
und Ermittlungen der Behörden der verschiednen Dienstzweige eine Sprach¬
grenze festgestellt und dabei vom deutschen Sprachgebiet ein rein französisches
und ein gemischtes Sprachgebiet ausgeschieden. In den beiden letzten Sprach¬
gebieten wurde „bis auf weiteres" der Gebrauch der französischen Geschäfts¬
sprache erlaubt. Dabei scheint sich die Negierung eine Berichtigung der ersten
Aufstellung vorbehalten zu haben, da zunächst die Ergebnisse der Options-
bewegung und der damit verbundnen Auswanderung, die erst am 1. Ok¬
tober 1872 ihren Abschluß finden sollte, abgewartet werden mußten. Schon
die Verordnung vom 5. Dezember 1877 hat dann die Zahl der von dem
Gebrauch der deutscheu Geschäftssprache ausgenommenen Gemeinden auf 420
von der Gesamtzahl (1696) festgesetzt. Seitdem ist diese Zahl um 109 weitere
Gemeinden vermindert worden, sodaß nur noch 311 Gemeinden ausgenommen
sind; von ihnen gehören 22 zum Uuterelsaß, 3 zum Oberelsaß und 286 zu
Lothringen. Für die Städte Metz, Dieuze und Chnteau-Salms wurden, und
Mar für Metz schon 1883, für Dieuze 1888, für Chateau-Salms 1889 be¬
sondre Bestimmungen getroffen, wonach amtliche Berichte und Schreiben an
die Behörden des Reichs und des Landes und öffentliche Bekanntmachungen


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[0649] [Abbildung] Die Muttersprache in (Llsaß-Lothringen as Deutsche Reich hat sich, indem es durch den Frankfurter Friedensschluß das Reichsland Elsaß-Lothringen wieder mit Deutschland vereinigt hat, nicht ein einziges Dorf angeeignet, das nicht früher zum Deutschen Reiche gehört hätte. Wohl aber hat Deutschland, da es sich nnr durch Rücksichten ans die eigne Sicherheit leiten ließ, als es gegen Frankreich die neue Grenze zog, kein Be¬ denken getragen, anch ehemals deutsche Gebictsstücke an sich zu bringen, die dem französischen Sprachgebiete angehören, nämlich eiuen kleinen Teil der Gebiete, von denen Kurfürst Moritz von Sachsen und dessen Verbündete 1551, als sie „die welschen Bistümer" an den König von Frankreich als Schutz¬ herrn auslieferten, erklärten, daß diese „von alters her zum Reich gehören und mit deutscher Sprach seind." Solcher welscher Gebietsstücke hatte das Reich außer diesen Bistümern noch andre, wie Savohen, die Freigrafschaft Burgund, die Grafschaften Mümpelgard und Ober-Salm, die Herzogtümer Lothringen und Bar und die „wallonischen Quartiere" der Niederlande, die auch unter spanischer Herrschaft, gleich der Freigrafschaft Burgund, Lehen vom Reiche blieben. Als die deutsche Verwaltung in Elsaß-Lothringen 1871 die Sprachver- hültnisfe des Landes ermittelte, um eine Grundlage für das Gesetz vom 31. März 1872 über die Gcschäftssprciche und zugleich für den Sprachunter¬ richt und die Unterrichtssprache in den Volksschulen zu gewinnen, hat sie nicht eine Jndividualzählung vorgenommen, sondern auf Srnnd der Wahrnehmungen und Ermittlungen der Behörden der verschiednen Dienstzweige eine Sprach¬ grenze festgestellt und dabei vom deutschen Sprachgebiet ein rein französisches und ein gemischtes Sprachgebiet ausgeschieden. In den beiden letzten Sprach¬ gebieten wurde „bis auf weiteres" der Gebrauch der französischen Geschäfts¬ sprache erlaubt. Dabei scheint sich die Negierung eine Berichtigung der ersten Aufstellung vorbehalten zu haben, da zunächst die Ergebnisse der Options- bewegung und der damit verbundnen Auswanderung, die erst am 1. Ok¬ tober 1872 ihren Abschluß finden sollte, abgewartet werden mußten. Schon die Verordnung vom 5. Dezember 1877 hat dann die Zahl der von dem Gebrauch der deutscheu Geschäftssprache ausgenommenen Gemeinden auf 420 von der Gesamtzahl (1696) festgesetzt. Seitdem ist diese Zahl um 109 weitere Gemeinden vermindert worden, sodaß nur noch 311 Gemeinden ausgenommen sind; von ihnen gehören 22 zum Uuterelsaß, 3 zum Oberelsaß und 286 zu Lothringen. Für die Städte Metz, Dieuze und Chnteau-Salms wurden, und Mar für Metz schon 1883, für Dieuze 1888, für Chateau-Salms 1889 be¬ sondre Bestimmungen getroffen, wonach amtliche Berichte und Schreiben an die Behörden des Reichs und des Landes und öffentliche Bekanntmachungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/649>, abgerufen am 01.09.2024.