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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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zur innern Einheit durchgekämpft hat und uns zur idealen Höhe emporführt,
wo das Verworrene schwindet und sich in Harmonie auflöst. Dann werden
auch seine Beziehungen zum Abbate Monti wieder aufleben, der zu ihm mit
Vewundrung aufsah und die Anregungen, die er ihm verdankte, offen und
ehrlich bekannt hat.




Von einer Weltreise
3. Die Psychologie des Tropenkollers

ieses Herrentum unter den Farbigen hat für jeden Weißen etwas
berauschendes an sich. Diese Macht, die nicht durch Geld gekauft,
nicht durch Gewalt erzwungen worden ist, sondern jedem, der
aus den engen Verhältnissen Europas kommt, jedem siebzehn¬
jährigen Kaufmannsjüngling, der vielleicht bisher nur gehorcht
und nie befohlen hat, zufüllt, als ein Vorrecht des Blutes und der Abstammung
der geringwertigem Nasse gegenüber, schürt in jeder Brust ein Hochgefühl,
das Entbehrungen, Gefahren, Siechtum und früher Tod, die feindlichen Mächte
in den Tropen, nicht herabstimmen. Es soll der Zauber der Geschichten des
Dichters Rudyard Kipling sein, daß er den Hochgenuß dieses Herren- und
Erobererlebens des Weißen in allen Erdteilen mit der Poesie der Gefahr, der
natürlichen Roheit und Ursprünglichkeit zu schildern weiß. Denn auch der
geringste englische Soldat ebenso wie der einfachste Matrose unsrer Handels¬
schiffe nimmt an diesem Herrentum der Weißen voll Anteil.

Es ist die ungebündigte Willenskraft, die hier besungen wird. Es giebt
heute Dichter und Verherrlichen der Willenskraft, wie es früher Dichter der
Liebe gab. Kein schöneres Gewächs wächst auf Erden, als ein hoher, starker
Wille. Kraft haben, einen ganzen Willen lang zu wollen. Diese Worte sind
von Nietzsche.

Wenn etwa heute ein hochgelehrter, vornehmer, feinfühliger, weichmütiger
Inder die Poesie Nietzsches kennen lernen würde, etwa wie er die ferne, schöne
Zeit besingt, wo ein Volk noch den Mut hatte, über ein andres Volk Herr
sein zu wollen, oder wenn er seine Lehre von der Herrenmornl kennen lernte,
zumal in ihrer Verballhoruisieruug und Popularisieruug, würde er ausrufe":
Diese blonde Bestie, dieses lachende, thatenfrohe Barbarenvolk, das jede alte
Kultur über den Haufen rennt, diese Herreumenschen, die kein Recht außer
ihrem Willen kennen, sie sind nicht ein Zukunftsbild, wie der Dichter meint,
sondern wir Inder kennen sie. Seit hundert Jahren sind sie unsre Herren,
und wir die Opfer ihres Übermuts, der sich mit seiner Eroberungslust jen¬
seits von Gut und Böse glaubt. Dieser Dichter giebt nur Stimme den
Thaten seiner Zeit.

Alle farbigen Völker könnten diesem Inder zustimmen. Denn überall
sind sie die Beute der Herrschsucht der Weißen, die ihre Grenze bisher nicht
wu menschlichen Widerstand, sondern nur an dem Widerstand der Elemente


zur innern Einheit durchgekämpft hat und uns zur idealen Höhe emporführt,
wo das Verworrene schwindet und sich in Harmonie auflöst. Dann werden
auch seine Beziehungen zum Abbate Monti wieder aufleben, der zu ihm mit
Vewundrung aufsah und die Anregungen, die er ihm verdankte, offen und
ehrlich bekannt hat.




Von einer Weltreise
3. Die Psychologie des Tropenkollers

ieses Herrentum unter den Farbigen hat für jeden Weißen etwas
berauschendes an sich. Diese Macht, die nicht durch Geld gekauft,
nicht durch Gewalt erzwungen worden ist, sondern jedem, der
aus den engen Verhältnissen Europas kommt, jedem siebzehn¬
jährigen Kaufmannsjüngling, der vielleicht bisher nur gehorcht
und nie befohlen hat, zufüllt, als ein Vorrecht des Blutes und der Abstammung
der geringwertigem Nasse gegenüber, schürt in jeder Brust ein Hochgefühl,
das Entbehrungen, Gefahren, Siechtum und früher Tod, die feindlichen Mächte
in den Tropen, nicht herabstimmen. Es soll der Zauber der Geschichten des
Dichters Rudyard Kipling sein, daß er den Hochgenuß dieses Herren- und
Erobererlebens des Weißen in allen Erdteilen mit der Poesie der Gefahr, der
natürlichen Roheit und Ursprünglichkeit zu schildern weiß. Denn auch der
geringste englische Soldat ebenso wie der einfachste Matrose unsrer Handels¬
schiffe nimmt an diesem Herrentum der Weißen voll Anteil.

Es ist die ungebündigte Willenskraft, die hier besungen wird. Es giebt
heute Dichter und Verherrlichen der Willenskraft, wie es früher Dichter der
Liebe gab. Kein schöneres Gewächs wächst auf Erden, als ein hoher, starker
Wille. Kraft haben, einen ganzen Willen lang zu wollen. Diese Worte sind
von Nietzsche.

Wenn etwa heute ein hochgelehrter, vornehmer, feinfühliger, weichmütiger
Inder die Poesie Nietzsches kennen lernen würde, etwa wie er die ferne, schöne
Zeit besingt, wo ein Volk noch den Mut hatte, über ein andres Volk Herr
sein zu wollen, oder wenn er seine Lehre von der Herrenmornl kennen lernte,
zumal in ihrer Verballhoruisieruug und Popularisieruug, würde er ausrufe«:
Diese blonde Bestie, dieses lachende, thatenfrohe Barbarenvolk, das jede alte
Kultur über den Haufen rennt, diese Herreumenschen, die kein Recht außer
ihrem Willen kennen, sie sind nicht ein Zukunftsbild, wie der Dichter meint,
sondern wir Inder kennen sie. Seit hundert Jahren sind sie unsre Herren,
und wir die Opfer ihres Übermuts, der sich mit seiner Eroberungslust jen¬
seits von Gut und Böse glaubt. Dieser Dichter giebt nur Stimme den
Thaten seiner Zeit.

Alle farbigen Völker könnten diesem Inder zustimmen. Denn überall
sind sie die Beute der Herrschsucht der Weißen, die ihre Grenze bisher nicht
wu menschlichen Widerstand, sondern nur an dem Widerstand der Elemente


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/271>, abgerufen am 01.09.2024.