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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Vie Anfänge der Bildnerei

der Landgraf Ludwig von Hessen-Darmstadt, ein ausgezeichneter Tambour,
hatten. Von der Berliner Negimentsmnsik aus machte Pepusch, von der
Hannöverschen aus W. Herschel sein Glück in England. In den Residenzen,
unterstützen sie die Opernkapellen und erweitern allmählich ihren Dienstkreis
bis zum heutigen Umfang. Die Entwicklung hat damit noch nicht abgeschlossen,
steht vielmehr neuerdings vor neuen wichtigen Aufgaben der Verbreitung des
Gesangs im Heer, der musikalischen Erziehung der Laicnkraft. Aber schon
das, was die Armee der Instrumentalmusik geholfen hat, ist außerordentlich
bedeutend. Seit sämtliche Kapellen der Infanterie, die der andern Waffen
zum Teil Streichmusik eingeführt haben, ist die Militürmusik für Deutschlands
Kunst eine Macht geworden. Die Militärkapellen haben den Ausfall der Stadt-
pfeifcreien einigermaßen gedeckt und ermöglichen Opern und Konzerte da,
wo sie sonst fehlen würden. Allerdings stehn sie für diese Aufgaben nur
soweit zur Verfügung, als das der Heeresdienst erlaubt. Aus diesem
Grunde darf nicht fest mit ihnen gerechnet und durch sie uicht der bürgerliche
Spielmannsstand zurückgedrängt werde". Sie sollen den Schwerpunkt in der
Militärmusik behalten, ihre Führer deren Geist vor Schaden durch Ccmcan-
mnsik behüten und durch einen Geschmack fördern, wie er in den Armee¬
märschen der Friedericianischen Zeit zu Hause ist. Das Weitere hat die
deutsche Musik als wertvolle Zugabe dankbar anzuerkennen und als Geschenk
des Offizierstandes zu würdigen. Durch seine Opferwilligkeit sind die Bataillvns-
musiken entstanden, die Hilfsmusiker der Regimentskapellcn, die Zulagen der
etatsmüßigen Musiker. Er allein vertritt auch noch prinzipiell die gute alte
Sitte, Ehren- und Freudentage, wichtige Vorgänge im Leben der Kameraden
und der Regimentsgemeinschaft, Kirchen- und Staatsfeste mit Musik zu feiern
und liefert damit den Beweis, daß es auch in der Gegenwart noch möglich ist,
von der Macht, die die Musik als dienende Kunst hat, reichlich Gebrauch zu
machen.




Die Anfänge der Vildnerei
Heinrich Reichau von (Schluß)

eher die mittlere Periode der Diluvialzeit hinaus verschwindet jede
sichtbare Spur der menschlichen Kunst, aber ihre Richtung kann
man doch noch viel weiter zurückverfolgen. Sie führt bis zu der
unberechenbar fernen Entwicklungsphase, wo die kindliche Hilfs¬
bedürftigkeit des Menschen unübersteigbare Schranken zwischen
dem Tier und dem Menschen zu errichten begann. Diese kindliche Hilfs¬
bedürftigkeit ist es, ans die man alle Fortschritte zurückführen kann, die das
menschliche Seelenleben über das tierische erhoben haben, die Unterscheidung des
Subjekts von den Objekten, die Entwicklung von der Wahrnehmung bis zum
Urteil und die begriffliche Trennung des Gefühls vou der Empfindung. Sie


Vie Anfänge der Bildnerei

der Landgraf Ludwig von Hessen-Darmstadt, ein ausgezeichneter Tambour,
hatten. Von der Berliner Negimentsmnsik aus machte Pepusch, von der
Hannöverschen aus W. Herschel sein Glück in England. In den Residenzen,
unterstützen sie die Opernkapellen und erweitern allmählich ihren Dienstkreis
bis zum heutigen Umfang. Die Entwicklung hat damit noch nicht abgeschlossen,
steht vielmehr neuerdings vor neuen wichtigen Aufgaben der Verbreitung des
Gesangs im Heer, der musikalischen Erziehung der Laicnkraft. Aber schon
das, was die Armee der Instrumentalmusik geholfen hat, ist außerordentlich
bedeutend. Seit sämtliche Kapellen der Infanterie, die der andern Waffen
zum Teil Streichmusik eingeführt haben, ist die Militürmusik für Deutschlands
Kunst eine Macht geworden. Die Militärkapellen haben den Ausfall der Stadt-
pfeifcreien einigermaßen gedeckt und ermöglichen Opern und Konzerte da,
wo sie sonst fehlen würden. Allerdings stehn sie für diese Aufgaben nur
soweit zur Verfügung, als das der Heeresdienst erlaubt. Aus diesem
Grunde darf nicht fest mit ihnen gerechnet und durch sie uicht der bürgerliche
Spielmannsstand zurückgedrängt werde». Sie sollen den Schwerpunkt in der
Militärmusik behalten, ihre Führer deren Geist vor Schaden durch Ccmcan-
mnsik behüten und durch einen Geschmack fördern, wie er in den Armee¬
märschen der Friedericianischen Zeit zu Hause ist. Das Weitere hat die
deutsche Musik als wertvolle Zugabe dankbar anzuerkennen und als Geschenk
des Offizierstandes zu würdigen. Durch seine Opferwilligkeit sind die Bataillvns-
musiken entstanden, die Hilfsmusiker der Regimentskapellcn, die Zulagen der
etatsmüßigen Musiker. Er allein vertritt auch noch prinzipiell die gute alte
Sitte, Ehren- und Freudentage, wichtige Vorgänge im Leben der Kameraden
und der Regimentsgemeinschaft, Kirchen- und Staatsfeste mit Musik zu feiern
und liefert damit den Beweis, daß es auch in der Gegenwart noch möglich ist,
von der Macht, die die Musik als dienende Kunst hat, reichlich Gebrauch zu
machen.




Die Anfänge der Vildnerei
Heinrich Reichau von (Schluß)

eher die mittlere Periode der Diluvialzeit hinaus verschwindet jede
sichtbare Spur der menschlichen Kunst, aber ihre Richtung kann
man doch noch viel weiter zurückverfolgen. Sie führt bis zu der
unberechenbar fernen Entwicklungsphase, wo die kindliche Hilfs¬
bedürftigkeit des Menschen unübersteigbare Schranken zwischen
dem Tier und dem Menschen zu errichten begann. Diese kindliche Hilfs¬
bedürftigkeit ist es, ans die man alle Fortschritte zurückführen kann, die das
menschliche Seelenleben über das tierische erhoben haben, die Unterscheidung des
Subjekts von den Objekten, die Entwicklung von der Wahrnehmung bis zum
Urteil und die begriffliche Trennung des Gefühls vou der Empfindung. Sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/206>, abgerufen am 01.09.2024.