Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.Rückständiges in unsrer deutschen Wehrverfassung da ja Bewaffnung und Bekleidung überall bis zur Kriegsstärke vorhanden, Es kann also ernstlich keine besondern Schwierigkeiten bereiten, die un¬ ^ Mit der allgemeinen gleichen Wehrpflicht ist ferner nicht zu vereinbaren Als alle Staatsbürger zum Dienst mit den Waffen aufgerufen wurden, So wurde denn allen, die eine höhere Schulbildung aufwiesen, eine ge¬ Nun steht die Sache augenblicklich so: der zu den Fußtruppen regelmäßig Rückständiges in unsrer deutschen Wehrverfassung da ja Bewaffnung und Bekleidung überall bis zur Kriegsstärke vorhanden, Es kann also ernstlich keine besondern Schwierigkeiten bereiten, die un¬ ^ Mit der allgemeinen gleichen Wehrpflicht ist ferner nicht zu vereinbaren Als alle Staatsbürger zum Dienst mit den Waffen aufgerufen wurden, So wurde denn allen, die eine höhere Schulbildung aufwiesen, eine ge¬ Nun steht die Sache augenblicklich so: der zu den Fußtruppen regelmäßig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0469" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237755"/> <fw type="header" place="top"> Rückständiges in unsrer deutschen Wehrverfassung</fw><lb/> <p xml:id="ID_2385" prev="#ID_2384"> da ja Bewaffnung und Bekleidung überall bis zur Kriegsstärke vorhanden,<lb/> und alle Truppen an zeitweilige Überschreitungen des Friedensetats durch die<lb/> Übungen der Reserve und der Landwehr bei ihnen gewöhnt sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_2386"> Es kann also ernstlich keine besondern Schwierigkeiten bereiten, die un¬<lb/> gerechte und demoralisierende Lösung, wie es auch in Frankreich durch den<lb/> Gesetzentwurf Rollard vorbereitet ist, abzuschaffen und durch die wirkliche all¬<lb/> gemeine Wehrpflicht der Militärtauglichsten zu ersetzen, vielmehr würden alle<lb/> Musteruugs- und Aushebungsarbeiten dadurch ganz wesentlich vereinfacht<lb/> werden, </p><lb/> </div> <div n="2"> <head> ^</head><lb/> <p xml:id="ID_2387"> Mit der allgemeinen gleichen Wehrpflicht ist ferner nicht zu vereinbaren<lb/> der „Einjährig-Freiwillige." denn er erweckt den Anschein, als wenn der<lb/> Reiche, der seinen Söhnen eine gute Erziehung geben lassen kann, sie nur<lb/> halb so lange dem Heere zu übergeben brauche als der Arme; für das<lb/> Empfinden des Volkes bedeutet das aber eine Ungerechtigkeit. Im wesent¬<lb/> lichen liegt die Sache freilich vielfach anders, aber dann sollte man sie auch<lb/> anders benennen und ausgestalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2388"> Als alle Staatsbürger zum Dienst mit den Waffen aufgerufen wurden,<lb/> erschien es zunächst erwünscht, die Abneigung der bisher bevorrechteten Stände<lb/> zu überwinden, und die Erwägung war nicht abzuweisen, daß die wissenschaft¬<lb/> lichen und die künstlerischen Studien leiden würden, wenn ihre Jünger gerade<lb/> in der Zeit, die eine fortlaufende Einarbeitung erheischt, drei Jahre ununter¬<lb/> brochen Soldat sein müßten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2389"> So wurde denn allen, die eine höhere Schulbildung aufwiesen, eine ge¬<lb/> wisse Wahl der Zeit gewährt, während der sie ihre Dienstpflicht erledigen<lb/> wollten, und die Dienstzeit selbst wurde auf ein Jahr verringert. Als eine<lb/> Art ausgleichender Gerechtigkeit wurde ihnen dafür die Verpflichtung auferlegt,<lb/> selbst ihren Lebensunterhalt während des Dienstes zu bestreiten. Man sah<lb/> aber bald ein, daß man diese voraussichtlich führenden Geister des Volkes<lb/> auch im Kriege als Führer nicht würde entbehren können, und vermehrte<lb/> deshalb ihre militärische Ausbildung durch immer mehr steigende nachträgliche<lb/> Wiederholungsknrse der Reserve- und Laudwehroffiziere.</p><lb/> <p xml:id="ID_2390" next="#ID_2391"> Nun steht die Sache augenblicklich so: der zu den Fußtruppen regelmäßig<lb/> Eingezogne dient im Durchschnitt hintereinander ein Jahr elf Monate, denn<lb/> die aktive Dienstzeit endet Mitte September nach Schluß des Manövers, und<lb/> die Rekruteneinstcllung findet erst Mitte Oktober statt, und in der Regel<lb/> ^ird er nachher nur wenige Tage zu einer Reserve- oder Landwchrübung<lb/> einberufen. Der Einjährig-Freiwillige dagegen hat nach seinem vollen ersten<lb/> Dienstjahre mindestens noch zwei achtwöchige Übungen durchzumachen, ehe<lb/> er Reserveoffizier wird, hat als solcher drei achtwöchige Übungen abzuleisten<lb/> "ut muß sich, wenn er länger bei der Reserve eines Truppenteils bleiben will,<lb/> noch zu vielen weitern Übungen zur Verfügung stellen. Dann muß er im<lb/> Landwehrverhältuis mindestens dieselben Übungen erledigen wie alle Land¬<lb/> wehrleute, falls er aber höhere Dienstgrade erwerben will, wiederum achtwöchige<lb/> Übungen bei einem Linientruppenteil ableisten. So dient der Reserveoffizier</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0469]
Rückständiges in unsrer deutschen Wehrverfassung
da ja Bewaffnung und Bekleidung überall bis zur Kriegsstärke vorhanden,
und alle Truppen an zeitweilige Überschreitungen des Friedensetats durch die
Übungen der Reserve und der Landwehr bei ihnen gewöhnt sind.
Es kann also ernstlich keine besondern Schwierigkeiten bereiten, die un¬
gerechte und demoralisierende Lösung, wie es auch in Frankreich durch den
Gesetzentwurf Rollard vorbereitet ist, abzuschaffen und durch die wirkliche all¬
gemeine Wehrpflicht der Militärtauglichsten zu ersetzen, vielmehr würden alle
Musteruugs- und Aushebungsarbeiten dadurch ganz wesentlich vereinfacht
werden,
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Mit der allgemeinen gleichen Wehrpflicht ist ferner nicht zu vereinbaren
der „Einjährig-Freiwillige." denn er erweckt den Anschein, als wenn der
Reiche, der seinen Söhnen eine gute Erziehung geben lassen kann, sie nur
halb so lange dem Heere zu übergeben brauche als der Arme; für das
Empfinden des Volkes bedeutet das aber eine Ungerechtigkeit. Im wesent¬
lichen liegt die Sache freilich vielfach anders, aber dann sollte man sie auch
anders benennen und ausgestalten.
Als alle Staatsbürger zum Dienst mit den Waffen aufgerufen wurden,
erschien es zunächst erwünscht, die Abneigung der bisher bevorrechteten Stände
zu überwinden, und die Erwägung war nicht abzuweisen, daß die wissenschaft¬
lichen und die künstlerischen Studien leiden würden, wenn ihre Jünger gerade
in der Zeit, die eine fortlaufende Einarbeitung erheischt, drei Jahre ununter¬
brochen Soldat sein müßten.
So wurde denn allen, die eine höhere Schulbildung aufwiesen, eine ge¬
wisse Wahl der Zeit gewährt, während der sie ihre Dienstpflicht erledigen
wollten, und die Dienstzeit selbst wurde auf ein Jahr verringert. Als eine
Art ausgleichender Gerechtigkeit wurde ihnen dafür die Verpflichtung auferlegt,
selbst ihren Lebensunterhalt während des Dienstes zu bestreiten. Man sah
aber bald ein, daß man diese voraussichtlich führenden Geister des Volkes
auch im Kriege als Führer nicht würde entbehren können, und vermehrte
deshalb ihre militärische Ausbildung durch immer mehr steigende nachträgliche
Wiederholungsknrse der Reserve- und Laudwehroffiziere.
Nun steht die Sache augenblicklich so: der zu den Fußtruppen regelmäßig
Eingezogne dient im Durchschnitt hintereinander ein Jahr elf Monate, denn
die aktive Dienstzeit endet Mitte September nach Schluß des Manövers, und
die Rekruteneinstcllung findet erst Mitte Oktober statt, und in der Regel
^ird er nachher nur wenige Tage zu einer Reserve- oder Landwchrübung
einberufen. Der Einjährig-Freiwillige dagegen hat nach seinem vollen ersten
Dienstjahre mindestens noch zwei achtwöchige Übungen durchzumachen, ehe
er Reserveoffizier wird, hat als solcher drei achtwöchige Übungen abzuleisten
"ut muß sich, wenn er länger bei der Reserve eines Truppenteils bleiben will,
noch zu vielen weitern Übungen zur Verfügung stellen. Dann muß er im
Landwehrverhältuis mindestens dieselben Übungen erledigen wie alle Land¬
wehrleute, falls er aber höhere Dienstgrade erwerben will, wiederum achtwöchige
Übungen bei einem Linientruppenteil ableisten. So dient der Reserveoffizier
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