Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.Der Diktaturparagraph in Elsaß-Lothringen Merncr Rosenberg von Noch ist kein Fürst so hochgefürstet, Ludwig Uhland, 1817 eit einem Menschenalter verlangt die öffentliche Meinung im Der Diktaturparagraph in Elsaß-Lothringen Merncr Rosenberg von Noch ist kein Fürst so hochgefürstet, Ludwig Uhland, 1817 eit einem Menschenalter verlangt die öffentliche Meinung im <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0075" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235897"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341873_235821/figures/grenzboten_341873_235821_235897_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Der Diktaturparagraph in Elsaß-Lothringen<lb/><note type="byline"> Merncr Rosenberg</note> von</head><lb/> <quote type="epigraph"> Noch ist kein Fürst so hochgefürstet,<lb/> So auserwählt kein irdscher Mann,<lb/> Daß, wenn die Welt nach Freiheit dürstet,<lb/> Er sie mit Freiheit tränken kann,<lb/> Daß er allein in seinen Händen<lb/> Den Reichtum alles Rechtes hält.<lb/> Um an die Völker auszuspenden,<lb/> So viel, so wenig ihm gefällt.</quote><lb/> <note type="bibl"> Ludwig Uhland, 1817</note><lb/> <p xml:id="ID_241" next="#ID_242"> eit einem Menschenalter verlangt die öffentliche Meinung im<lb/> Reichslande mit seltner Einmütigkeit die Aufhebung des § 10 des<lb/> elsaß-lothringischen Gesetzes vom 30. Dezember 1871, des be¬<lb/> rühmten „Diktaturparagraphen/' der dem Statthalter die Er¬<lb/> mächtigung erteilt, bei Gefahr für die öffentliche Sicherheit alle<lb/> nach seiner Ansicht nötigen Maßregeln zur Abwendung der Gefahr zu treffen.<lb/> Jeder Politiker, der sich um ein Mandat zum Reichstag oder zum Landes-<lb/> ausschnß bewirbt, stellt an die Spitze seines Wahlprogramms die Versicherung,<lb/> daß er ein Feind des Diktaturparagraphen sei und für dessen Abschaffung<lb/> stimmen werde. In jeder Session des Reichstags und des Landesausschufses<lb/> führen die Abgeordneten des Reichslands Beschwerde darüber, daß Elsaß-<lb/> Lothringen noch immer unter dem „eisernen Joche" der Diktatur seufze, daß<lb/> noch immer das „Damoklesschwert" des Diktaturparagraphen über ihren<lb/> Häuptern schwebe, daß der „Kautschukparagraph," der seinesgleichen in keiner<lb/> Gesetzgebung habe, noch zu allem gebraucht oder vielmehr mißbraucht werdeu<lb/> könne, daß das „Scheusal in der Gesetzgebung" noch weiter existiere. Als<lb/> »ste-rum, esvsöo folgt sodann jedesmal der Ruf nach Aufhebung des Diktatur¬<lb/> paragraphen. Der Antrag Winterer und Genossen aus formelle Beseitigung<lb/> des Paragraphen, der im Jahre 1874 zum erstenmal gestellt wurde und seitdem<lb/> alljährlich wiederkehrt, hat schon sein fünfnndzwanzigjähriges Jubiläum im<lb/> Reichstag gefeiert. Die Agitation für Abschaffung des K 10 steht so sehr im<lb/> Vordergründe des öffentlichen Lebens in Elsaß-Lothringen, daß alle andern,<lb/> mindestens ebenso wichtigen Fragen — Reform der innern Verwaltung, der<lb/> Verwaltungsgerichtsbarkeit, des Vereins- und Versammluugsrechts, der Ge¬<lb/> meindesteuern, der Armenpflege usw. — darüber vollständig vernachlässigt und<lb/> w den Hintergrund gedrängt werden. Die ganze Unzufriedenheit mit den be¬<lb/> stehenden Zuständen konzentriert sich in dem Streben nach der Beseitigung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0075]
[Abbildung]
Der Diktaturparagraph in Elsaß-Lothringen
Merncr Rosenberg von
Noch ist kein Fürst so hochgefürstet,
So auserwählt kein irdscher Mann,
Daß, wenn die Welt nach Freiheit dürstet,
Er sie mit Freiheit tränken kann,
Daß er allein in seinen Händen
Den Reichtum alles Rechtes hält.
Um an die Völker auszuspenden,
So viel, so wenig ihm gefällt.
Ludwig Uhland, 1817
eit einem Menschenalter verlangt die öffentliche Meinung im
Reichslande mit seltner Einmütigkeit die Aufhebung des § 10 des
elsaß-lothringischen Gesetzes vom 30. Dezember 1871, des be¬
rühmten „Diktaturparagraphen/' der dem Statthalter die Er¬
mächtigung erteilt, bei Gefahr für die öffentliche Sicherheit alle
nach seiner Ansicht nötigen Maßregeln zur Abwendung der Gefahr zu treffen.
Jeder Politiker, der sich um ein Mandat zum Reichstag oder zum Landes-
ausschnß bewirbt, stellt an die Spitze seines Wahlprogramms die Versicherung,
daß er ein Feind des Diktaturparagraphen sei und für dessen Abschaffung
stimmen werde. In jeder Session des Reichstags und des Landesausschufses
führen die Abgeordneten des Reichslands Beschwerde darüber, daß Elsaß-
Lothringen noch immer unter dem „eisernen Joche" der Diktatur seufze, daß
noch immer das „Damoklesschwert" des Diktaturparagraphen über ihren
Häuptern schwebe, daß der „Kautschukparagraph," der seinesgleichen in keiner
Gesetzgebung habe, noch zu allem gebraucht oder vielmehr mißbraucht werdeu
könne, daß das „Scheusal in der Gesetzgebung" noch weiter existiere. Als
»ste-rum, esvsöo folgt sodann jedesmal der Ruf nach Aufhebung des Diktatur¬
paragraphen. Der Antrag Winterer und Genossen aus formelle Beseitigung
des Paragraphen, der im Jahre 1874 zum erstenmal gestellt wurde und seitdem
alljährlich wiederkehrt, hat schon sein fünfnndzwanzigjähriges Jubiläum im
Reichstag gefeiert. Die Agitation für Abschaffung des K 10 steht so sehr im
Vordergründe des öffentlichen Lebens in Elsaß-Lothringen, daß alle andern,
mindestens ebenso wichtigen Fragen — Reform der innern Verwaltung, der
Verwaltungsgerichtsbarkeit, des Vereins- und Versammluugsrechts, der Ge¬
meindesteuern, der Armenpflege usw. — darüber vollständig vernachlässigt und
w den Hintergrund gedrängt werden. Die ganze Unzufriedenheit mit den be¬
stehenden Zuständen konzentriert sich in dem Streben nach der Beseitigung
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