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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Die katholische Geistlichkeit und das polentum
in Gberschlesien

cum man Land und Leute im Süden Schlesiens nicht kennt, ist
mau geneigt, dort eine wilde Gegend mit einer Bevölkerung
polnischer Zunge zu vermuten, obgleich man weiß, daß sie für
das Gewerbe dank ihrer Bodenschätze von Bedeutung ist. That-
W sächlich ist Oberschlesien in jeder Beziehung ein wenig einheit¬
liches Land, aber seine polnische Färbung ist lediglich eine Folge deutscher
Schwäche, Die oberschlesischen Polen, die am rechten Oderufer sitzen, werden
Wasserpolacken genannt; die Deutschen fassen unter dieser Bezeichnung alle
jenseits des Stroms hausenden Bewohner zusammen. Das linke Oderufer hat
immer unter deutschem Einfluß gestanden, und zwar unter dem Mährens, Der
Südwesten Oberschlesiens enthält mährische Bestandteile, wie denn ganz Oster-
reichisch-Schlesien ursprünglich mährisches Gebiet war. Umfangreiche Greuz-
striche der Fürstentümer Jägerndorf, Troppau und Teschen bilden heute die
Kreise Leobschütz, Grottkau und Reiße; aus Niederschlesien drang auch von
Norden das Deutschtum vor. Als Nebenland der Krone Böhmens war ganz
Schlesien an das Schicksal dieses deutschen Reichslebens gekettet. Unter den
Lützelburgern war Bojenheim, das alte Land der Markomannen und der Quader,
wieder stark verdeutscht worden, aber unter dem letzten Könige dieses Hauses und
unter der kurzen ersten Habsburgerherrschaft bedrängten die Hussitenkriege das
erstarkende Deutschtum in allen Ländern der Wenzelskrone hart. Damit kam mich
die deutsche Gesittung Schlesiens zum Stillstand, und der Mangel an deutschen
Städten in Oberschlesien machte den Rückgang unsers Volkstums besonders
jenseits der Oder fühlbar; und als die glückliche Heirntspolitik der Habsburger
Schlesien wieder in deren Besitz brachte, war das nationale Gewissen der deutscheu
Fürsten und leider auch aller Landesgenossen so tief gesunken und durch den un¬
deutschen Humanismus so verbildet worden, daß die österreichische Herrschaft das
schon eingetretne Ende der einst so erfolgreichen friedlichen deutschen Eroberung nur
noch besiegelte, Trotz ihrer sonstigen Deutschfreundlichkeit hatten die plastischen


Grenzboten I V 19M 79


Die katholische Geistlichkeit und das polentum
in Gberschlesien

cum man Land und Leute im Süden Schlesiens nicht kennt, ist
mau geneigt, dort eine wilde Gegend mit einer Bevölkerung
polnischer Zunge zu vermuten, obgleich man weiß, daß sie für
das Gewerbe dank ihrer Bodenschätze von Bedeutung ist. That-
W sächlich ist Oberschlesien in jeder Beziehung ein wenig einheit¬
liches Land, aber seine polnische Färbung ist lediglich eine Folge deutscher
Schwäche, Die oberschlesischen Polen, die am rechten Oderufer sitzen, werden
Wasserpolacken genannt; die Deutschen fassen unter dieser Bezeichnung alle
jenseits des Stroms hausenden Bewohner zusammen. Das linke Oderufer hat
immer unter deutschem Einfluß gestanden, und zwar unter dem Mährens, Der
Südwesten Oberschlesiens enthält mährische Bestandteile, wie denn ganz Oster-
reichisch-Schlesien ursprünglich mährisches Gebiet war. Umfangreiche Greuz-
striche der Fürstentümer Jägerndorf, Troppau und Teschen bilden heute die
Kreise Leobschütz, Grottkau und Reiße; aus Niederschlesien drang auch von
Norden das Deutschtum vor. Als Nebenland der Krone Böhmens war ganz
Schlesien an das Schicksal dieses deutschen Reichslebens gekettet. Unter den
Lützelburgern war Bojenheim, das alte Land der Markomannen und der Quader,
wieder stark verdeutscht worden, aber unter dem letzten Könige dieses Hauses und
unter der kurzen ersten Habsburgerherrschaft bedrängten die Hussitenkriege das
erstarkende Deutschtum in allen Ländern der Wenzelskrone hart. Damit kam mich
die deutsche Gesittung Schlesiens zum Stillstand, und der Mangel an deutschen
Städten in Oberschlesien machte den Rückgang unsers Volkstums besonders
jenseits der Oder fühlbar; und als die glückliche Heirntspolitik der Habsburger
Schlesien wieder in deren Besitz brachte, war das nationale Gewissen der deutscheu
Fürsten und leider auch aller Landesgenossen so tief gesunken und durch den un¬
deutschen Humanismus so verbildet worden, daß die österreichische Herrschaft das
schon eingetretne Ende der einst so erfolgreichen friedlichen deutschen Eroberung nur
noch besiegelte, Trotz ihrer sonstigen Deutschfreundlichkeit hatten die plastischen


Grenzboten I V 19M 79
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[0633] [Abbildung] Die katholische Geistlichkeit und das polentum in Gberschlesien cum man Land und Leute im Süden Schlesiens nicht kennt, ist mau geneigt, dort eine wilde Gegend mit einer Bevölkerung polnischer Zunge zu vermuten, obgleich man weiß, daß sie für das Gewerbe dank ihrer Bodenschätze von Bedeutung ist. That- W sächlich ist Oberschlesien in jeder Beziehung ein wenig einheit¬ liches Land, aber seine polnische Färbung ist lediglich eine Folge deutscher Schwäche, Die oberschlesischen Polen, die am rechten Oderufer sitzen, werden Wasserpolacken genannt; die Deutschen fassen unter dieser Bezeichnung alle jenseits des Stroms hausenden Bewohner zusammen. Das linke Oderufer hat immer unter deutschem Einfluß gestanden, und zwar unter dem Mährens, Der Südwesten Oberschlesiens enthält mährische Bestandteile, wie denn ganz Oster- reichisch-Schlesien ursprünglich mährisches Gebiet war. Umfangreiche Greuz- striche der Fürstentümer Jägerndorf, Troppau und Teschen bilden heute die Kreise Leobschütz, Grottkau und Reiße; aus Niederschlesien drang auch von Norden das Deutschtum vor. Als Nebenland der Krone Böhmens war ganz Schlesien an das Schicksal dieses deutschen Reichslebens gekettet. Unter den Lützelburgern war Bojenheim, das alte Land der Markomannen und der Quader, wieder stark verdeutscht worden, aber unter dem letzten Könige dieses Hauses und unter der kurzen ersten Habsburgerherrschaft bedrängten die Hussitenkriege das erstarkende Deutschtum in allen Ländern der Wenzelskrone hart. Damit kam mich die deutsche Gesittung Schlesiens zum Stillstand, und der Mangel an deutschen Städten in Oberschlesien machte den Rückgang unsers Volkstums besonders jenseits der Oder fühlbar; und als die glückliche Heirntspolitik der Habsburger Schlesien wieder in deren Besitz brachte, war das nationale Gewissen der deutscheu Fürsten und leider auch aller Landesgenossen so tief gesunken und durch den un¬ deutschen Humanismus so verbildet worden, daß die österreichische Herrschaft das schon eingetretne Ende der einst so erfolgreichen friedlichen deutschen Eroberung nur noch besiegelte, Trotz ihrer sonstigen Deutschfreundlichkeit hatten die plastischen Grenzboten I V 19M 79

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/633>, abgerufen am 13.11.2024.