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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Der ältere jüngere Cranach

unsre unglückliche Reisende angeblich schon um zwei Uhr nachmittags wieder
ab und wohin? halb Post, halb Eisenbahn nach Gijon zurück, ohne den ihr
von dort angegebnen köstlichen Zettel: "August in Berrigo, sein so gut,
dieser Tarne zu dienen, sie is eine Teitsche. Mit Gruß Ernest Winter." an
Angust in Berrigo, der in La Coruna eine französische Bäckerei hat, abgegeben
zu haben. Wenn man die mit den Worten: "Um zwei Uhr weiter nach
Gijon" ansehende Episode von der 268. Seite, wo sie steht, auf die 266. ver¬
pflanzt, wird alles glatt. Clara "durchquert" dann nicht das Kantabrische
Gebirge, um nach Gijon zurückzukehren, von wo sie eben nach zwanzigstündiger
Seereise kam, sondern bleibt in La Corunn und macht die Bekanntschaft nicht
bloß von Angust in Berrigo (der gute Ernest Winter hat offenbar y Berrigo
gemeint), sondern anch die seiner Frau und seiner blauäugigen, blonden, aber
schon kein Deutsch mehr verstehenden Kinder.

Seite 402 ist die Sache weniger einfach. Es steht auf der dritten Zeile
von oben ein "Um sechs Uhr früh lief der Zug dort auf dein Bahnhof ein,"
dessen dort sich infolge einer oder zweier verloren gegangner Zeilen mit dem besten
Willen auf nichts Vvrhergegangnes beziehn läßt und sich wie ein unheim¬
licher Wegweiser nach dem Jenseits ausnehmen würde, wenn sich nicht einem
von Clara ihrem Freunde Velasquez im Nusso äst ?rg.av kurz nach der An¬
kunft des Zugs abgestatteten Morgenbesuche entnehmen ließe, daß das geheimnis¬
volle "dort" nicht ans die Elhsüischen Gefilde hinweist, in denen unser Geist
den großen Künstler sucht, sondern auf die Hauptstadt Spaniens, die uns mit
dem Eskurial das unvergängliche Erbe seines Genies bewahrt.




Der ältere jüngere (Lranach

>er an einem lehrreichen Beispiel sehen will, welche Fortschritte
die moderne Kunstwissenschaft, die jüngere Schwester der Archäo¬
logie, im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts gemacht hat, der
muß die in dem letzten Jahre dieses Jahrhunderts erschienenen
lCranachstudien von Eduard Flechsig zur Hand nehmen.^)
Das Buch ist zunächst für die Fachgenossen des Verfassers bestimmt. Aber
auch der Laie, der der Erörterung kunstwissenschaftlicher Fragen mit Anteil
folgt, wird es trotz der Menge von Einzelheiten, die es bringt, mit lebhaftem
Interesse an der Sache lesen und, wenn er Sinn dafür hat, auch mit wahrem
Vergnügen an der Form.



Cranachstudien von Eduard Flechsig. Erster Teil. Mit 20 Abbildungen. Leipzig,
Karl W. Hiersemann, 1900. XIII und 313 Seiten.
Grenzboten IV 1S01 S
Der ältere jüngere Cranach

unsre unglückliche Reisende angeblich schon um zwei Uhr nachmittags wieder
ab und wohin? halb Post, halb Eisenbahn nach Gijon zurück, ohne den ihr
von dort angegebnen köstlichen Zettel: „August in Berrigo, sein so gut,
dieser Tarne zu dienen, sie is eine Teitsche. Mit Gruß Ernest Winter." an
Angust in Berrigo, der in La Coruna eine französische Bäckerei hat, abgegeben
zu haben. Wenn man die mit den Worten: „Um zwei Uhr weiter nach
Gijon" ansehende Episode von der 268. Seite, wo sie steht, auf die 266. ver¬
pflanzt, wird alles glatt. Clara „durchquert" dann nicht das Kantabrische
Gebirge, um nach Gijon zurückzukehren, von wo sie eben nach zwanzigstündiger
Seereise kam, sondern bleibt in La Corunn und macht die Bekanntschaft nicht
bloß von Angust in Berrigo (der gute Ernest Winter hat offenbar y Berrigo
gemeint), sondern anch die seiner Frau und seiner blauäugigen, blonden, aber
schon kein Deutsch mehr verstehenden Kinder.

Seite 402 ist die Sache weniger einfach. Es steht auf der dritten Zeile
von oben ein „Um sechs Uhr früh lief der Zug dort auf dein Bahnhof ein,"
dessen dort sich infolge einer oder zweier verloren gegangner Zeilen mit dem besten
Willen auf nichts Vvrhergegangnes beziehn läßt und sich wie ein unheim¬
licher Wegweiser nach dem Jenseits ausnehmen würde, wenn sich nicht einem
von Clara ihrem Freunde Velasquez im Nusso äst ?rg.av kurz nach der An¬
kunft des Zugs abgestatteten Morgenbesuche entnehmen ließe, daß das geheimnis¬
volle „dort" nicht ans die Elhsüischen Gefilde hinweist, in denen unser Geist
den großen Künstler sucht, sondern auf die Hauptstadt Spaniens, die uns mit
dem Eskurial das unvergängliche Erbe seines Genies bewahrt.




Der ältere jüngere (Lranach

>er an einem lehrreichen Beispiel sehen will, welche Fortschritte
die moderne Kunstwissenschaft, die jüngere Schwester der Archäo¬
logie, im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts gemacht hat, der
muß die in dem letzten Jahre dieses Jahrhunderts erschienenen
lCranachstudien von Eduard Flechsig zur Hand nehmen.^)
Das Buch ist zunächst für die Fachgenossen des Verfassers bestimmt. Aber
auch der Laie, der der Erörterung kunstwissenschaftlicher Fragen mit Anteil
folgt, wird es trotz der Menge von Einzelheiten, die es bringt, mit lebhaftem
Interesse an der Sache lesen und, wenn er Sinn dafür hat, auch mit wahrem
Vergnügen an der Form.



Cranachstudien von Eduard Flechsig. Erster Teil. Mit 20 Abbildungen. Leipzig,
Karl W. Hiersemann, 1900. XIII und 313 Seiten.
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[0041] Der ältere jüngere Cranach unsre unglückliche Reisende angeblich schon um zwei Uhr nachmittags wieder ab und wohin? halb Post, halb Eisenbahn nach Gijon zurück, ohne den ihr von dort angegebnen köstlichen Zettel: „August in Berrigo, sein so gut, dieser Tarne zu dienen, sie is eine Teitsche. Mit Gruß Ernest Winter." an Angust in Berrigo, der in La Coruna eine französische Bäckerei hat, abgegeben zu haben. Wenn man die mit den Worten: „Um zwei Uhr weiter nach Gijon" ansehende Episode von der 268. Seite, wo sie steht, auf die 266. ver¬ pflanzt, wird alles glatt. Clara „durchquert" dann nicht das Kantabrische Gebirge, um nach Gijon zurückzukehren, von wo sie eben nach zwanzigstündiger Seereise kam, sondern bleibt in La Corunn und macht die Bekanntschaft nicht bloß von Angust in Berrigo (der gute Ernest Winter hat offenbar y Berrigo gemeint), sondern anch die seiner Frau und seiner blauäugigen, blonden, aber schon kein Deutsch mehr verstehenden Kinder. Seite 402 ist die Sache weniger einfach. Es steht auf der dritten Zeile von oben ein „Um sechs Uhr früh lief der Zug dort auf dein Bahnhof ein," dessen dort sich infolge einer oder zweier verloren gegangner Zeilen mit dem besten Willen auf nichts Vvrhergegangnes beziehn läßt und sich wie ein unheim¬ licher Wegweiser nach dem Jenseits ausnehmen würde, wenn sich nicht einem von Clara ihrem Freunde Velasquez im Nusso äst ?rg.av kurz nach der An¬ kunft des Zugs abgestatteten Morgenbesuche entnehmen ließe, daß das geheimnis¬ volle „dort" nicht ans die Elhsüischen Gefilde hinweist, in denen unser Geist den großen Künstler sucht, sondern auf die Hauptstadt Spaniens, die uns mit dem Eskurial das unvergängliche Erbe seines Genies bewahrt. Der ältere jüngere (Lranach >er an einem lehrreichen Beispiel sehen will, welche Fortschritte die moderne Kunstwissenschaft, die jüngere Schwester der Archäo¬ logie, im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts gemacht hat, der muß die in dem letzten Jahre dieses Jahrhunderts erschienenen lCranachstudien von Eduard Flechsig zur Hand nehmen.^) Das Buch ist zunächst für die Fachgenossen des Verfassers bestimmt. Aber auch der Laie, der der Erörterung kunstwissenschaftlicher Fragen mit Anteil folgt, wird es trotz der Menge von Einzelheiten, die es bringt, mit lebhaftem Interesse an der Sache lesen und, wenn er Sinn dafür hat, auch mit wahrem Vergnügen an der Form. Cranachstudien von Eduard Flechsig. Erster Teil. Mit 20 Abbildungen. Leipzig, Karl W. Hiersemann, 1900. XIII und 313 Seiten. Grenzboten IV 1S01 S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/41>, abgerufen am 13.11.2024.