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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Aus der Heimat Miguels

wir gern, und das Notwendigste, aber Schlvere schieben wir auf, bis wir mehr
Mut dazu haben.

Nur eins thut not. Was heute not thut, das ist die Lösung des Rätsels,
wie nur uns der Arbeiterfrage im Osten gegenüber verhalten sollen, ob
wir unser Ackerland slawischen Arbeitern und Bauern lassen wollen, weil die
Landwirtschaft den, Deutschen zu notleidend und zu karg erscheint, und ob
wir uns dafür mit Weltpolitik und Überseehandel begnügen "vollen, oder ob
wir der Überzeugung sind, daß ein nationaler, demokratisch wählender Staat,
wie das Deutsche Reich, ein so fremdartiges Gewächs, wie es ein wachsendes
Slawentum ist, mir unter der Strafe schweren Siechtums in sich groß werde"
lassen kann. Alles, was in dem engen Lichtkreis der öffentlichen Erörterung diesen
Gegenstand verdrängen will, es sei, für sich genommen, noch so schön und gut,
ist schädlich; es sei denn so eng mit ihm verwandt, wie die Fragen der Zoll-
und der Agrarpolitik. Das Wohlbefinden der städtischen Lohnarbeiter, für die
hauptsächlich die Versichernngsgesetzgebung erdacht ist, gehört heute nicht mehr
unter die wichtigsten politischen Aufgaben, ja für die gefährdete Zukunft des
Vaterlands sogar unter die nebensächlichen. Darum höre man auf davon.
Georg Schiele Denn das Gute ist des Besten Feind.




Aus der Heimat Miquels

MAtern abgelegen von den großen Bahnen deS nationalen Verkehrs
ist die Heimat des verstorbnen Finanzministers von Miquel bei
seinen Lebzeiten kaum einigemal ans Licht der Öffentlichkeit
^gezogen worden, und uach seinem Tode wird sie bald wieder
lunter dem Dunkel der Vergessenheit weiter dämmern, das von
jeher über ihr ausgebreitet lag. Für die große Welt ist in der früher reichs¬
unmittelbaren und später dem Königreich Hannover einverleibten Grafschaft
Bentheim wenig zu finden. Im Innern ihres Bodens birgt sie keine Schätze,
und nach außen strahlt sie nicht in dein, was mau Naturschönheit zu nennen
Pflegt. Weite Moore und ebenso ausgedehnte Heideflächen fallen dem Auge
zuerst auf, dazwischen um die Ansiedlungen der Menschen herum eine Acker¬
krume, die nur uuter sorgsamer Pflege das Nötige hergiebt.

Trotzdem ist auch diese Landschaft nicht ohne einige Reize, die eine ernst¬
hafte Würdigung verdienen. Im obern Teile der Grafschaft liegt auf einem
Felsen, dem letzten Ausläufer des Teutoburger Waldes, der nach drei Seiten
hin steil abfällt, die weitläufige Burg Beutheim, eins der besterhaltnen
Dynastenschlösser in ganz Deutschland. Dieses alte Bauwerk, dessen erste An¬
lagen bis in die Römerzeit hinaufreiche", hat nicht bloß künstlerisches Interesse,
insofern als es der Kunst eine? NnhSdacl zum Vorwurf gedient hat, sonder"


Aus der Heimat Miguels

wir gern, und das Notwendigste, aber Schlvere schieben wir auf, bis wir mehr
Mut dazu haben.

Nur eins thut not. Was heute not thut, das ist die Lösung des Rätsels,
wie nur uns der Arbeiterfrage im Osten gegenüber verhalten sollen, ob
wir unser Ackerland slawischen Arbeitern und Bauern lassen wollen, weil die
Landwirtschaft den, Deutschen zu notleidend und zu karg erscheint, und ob
wir uns dafür mit Weltpolitik und Überseehandel begnügen »vollen, oder ob
wir der Überzeugung sind, daß ein nationaler, demokratisch wählender Staat,
wie das Deutsche Reich, ein so fremdartiges Gewächs, wie es ein wachsendes
Slawentum ist, mir unter der Strafe schweren Siechtums in sich groß werde»
lassen kann. Alles, was in dem engen Lichtkreis der öffentlichen Erörterung diesen
Gegenstand verdrängen will, es sei, für sich genommen, noch so schön und gut,
ist schädlich; es sei denn so eng mit ihm verwandt, wie die Fragen der Zoll-
und der Agrarpolitik. Das Wohlbefinden der städtischen Lohnarbeiter, für die
hauptsächlich die Versichernngsgesetzgebung erdacht ist, gehört heute nicht mehr
unter die wichtigsten politischen Aufgaben, ja für die gefährdete Zukunft des
Vaterlands sogar unter die nebensächlichen. Darum höre man auf davon.
Georg Schiele Denn das Gute ist des Besten Feind.




Aus der Heimat Miquels

MAtern abgelegen von den großen Bahnen deS nationalen Verkehrs
ist die Heimat des verstorbnen Finanzministers von Miquel bei
seinen Lebzeiten kaum einigemal ans Licht der Öffentlichkeit
^gezogen worden, und uach seinem Tode wird sie bald wieder
lunter dem Dunkel der Vergessenheit weiter dämmern, das von
jeher über ihr ausgebreitet lag. Für die große Welt ist in der früher reichs¬
unmittelbaren und später dem Königreich Hannover einverleibten Grafschaft
Bentheim wenig zu finden. Im Innern ihres Bodens birgt sie keine Schätze,
und nach außen strahlt sie nicht in dein, was mau Naturschönheit zu nennen
Pflegt. Weite Moore und ebenso ausgedehnte Heideflächen fallen dem Auge
zuerst auf, dazwischen um die Ansiedlungen der Menschen herum eine Acker¬
krume, die nur uuter sorgsamer Pflege das Nötige hergiebt.

Trotzdem ist auch diese Landschaft nicht ohne einige Reize, die eine ernst¬
hafte Würdigung verdienen. Im obern Teile der Grafschaft liegt auf einem
Felsen, dem letzten Ausläufer des Teutoburger Waldes, der nach drei Seiten
hin steil abfällt, die weitläufige Burg Beutheim, eins der besterhaltnen
Dynastenschlösser in ganz Deutschland. Dieses alte Bauwerk, dessen erste An¬
lagen bis in die Römerzeit hinaufreiche», hat nicht bloß künstlerisches Interesse,
insofern als es der Kunst eine? NnhSdacl zum Vorwurf gedient hat, sonder»


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[0391] Aus der Heimat Miguels wir gern, und das Notwendigste, aber Schlvere schieben wir auf, bis wir mehr Mut dazu haben. Nur eins thut not. Was heute not thut, das ist die Lösung des Rätsels, wie nur uns der Arbeiterfrage im Osten gegenüber verhalten sollen, ob wir unser Ackerland slawischen Arbeitern und Bauern lassen wollen, weil die Landwirtschaft den, Deutschen zu notleidend und zu karg erscheint, und ob wir uns dafür mit Weltpolitik und Überseehandel begnügen »vollen, oder ob wir der Überzeugung sind, daß ein nationaler, demokratisch wählender Staat, wie das Deutsche Reich, ein so fremdartiges Gewächs, wie es ein wachsendes Slawentum ist, mir unter der Strafe schweren Siechtums in sich groß werde» lassen kann. Alles, was in dem engen Lichtkreis der öffentlichen Erörterung diesen Gegenstand verdrängen will, es sei, für sich genommen, noch so schön und gut, ist schädlich; es sei denn so eng mit ihm verwandt, wie die Fragen der Zoll- und der Agrarpolitik. Das Wohlbefinden der städtischen Lohnarbeiter, für die hauptsächlich die Versichernngsgesetzgebung erdacht ist, gehört heute nicht mehr unter die wichtigsten politischen Aufgaben, ja für die gefährdete Zukunft des Vaterlands sogar unter die nebensächlichen. Darum höre man auf davon. Georg Schiele Denn das Gute ist des Besten Feind. Aus der Heimat Miquels MAtern abgelegen von den großen Bahnen deS nationalen Verkehrs ist die Heimat des verstorbnen Finanzministers von Miquel bei seinen Lebzeiten kaum einigemal ans Licht der Öffentlichkeit ^gezogen worden, und uach seinem Tode wird sie bald wieder lunter dem Dunkel der Vergessenheit weiter dämmern, das von jeher über ihr ausgebreitet lag. Für die große Welt ist in der früher reichs¬ unmittelbaren und später dem Königreich Hannover einverleibten Grafschaft Bentheim wenig zu finden. Im Innern ihres Bodens birgt sie keine Schätze, und nach außen strahlt sie nicht in dein, was mau Naturschönheit zu nennen Pflegt. Weite Moore und ebenso ausgedehnte Heideflächen fallen dem Auge zuerst auf, dazwischen um die Ansiedlungen der Menschen herum eine Acker¬ krume, die nur uuter sorgsamer Pflege das Nötige hergiebt. Trotzdem ist auch diese Landschaft nicht ohne einige Reize, die eine ernst¬ hafte Würdigung verdienen. Im obern Teile der Grafschaft liegt auf einem Felsen, dem letzten Ausläufer des Teutoburger Waldes, der nach drei Seiten hin steil abfällt, die weitläufige Burg Beutheim, eins der besterhaltnen Dynastenschlösser in ganz Deutschland. Dieses alte Bauwerk, dessen erste An¬ lagen bis in die Römerzeit hinaufreiche», hat nicht bloß künstlerisches Interesse, insofern als es der Kunst eine? NnhSdacl zum Vorwurf gedient hat, sonder»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/391>, abgerufen am 13.11.2024.