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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Hellenentum und Christentum

nicht umhin können, schließlich einmal das Arzthonorar zu erhöhen. Es ist
auch durchaus nicht so bequem für die Herren Kassenregenten, mit einer Kor¬
poration von Ärzten zu verkehren, als mit einer Anzahl absolut abhängiger
Kassenärzte, von denen jeder einzelne entlassen werden kann, wenn er unbeanem
wird, und die gewöhnlich, wenn seit dem Beginn ihrer Thätigkeit die Zahl
der Kassenmitglieder und damit die Größe ihrer Arbeit um den vierten Teil
gewachsen ist, es gar nicht wagen, eine Erhöhung ihres Gehalts zu verlangen.
Freilich je mehr der besoldete Kassenarzt Arbeit aufgepackt erhält, umso mehr
Kassenmitglieder verzichtet: auf seine Hilfe und suchen sich auf eigne Kosten
einen Arzt. Davon weiß natürlich die Kasse nichts, ihre Bücher können nur
die Überlegenheit der Einrichtung der angestellten Ärzte beweisen. Manchmal
aber weiß die Kasse doch davon und weiß sogar sehr genau die Vorteile zu
berechnen, die sie ans diesem Umstände zieht. In Leipzig sind dnrch Orts¬
statut die Handlungsgehilfen versichernugspflichtig, und da sie zu den höchst
bezahlten Klassen der Arbeiter gehören, so müssen sie auch die höchsten Bei¬
träge zahlen. Die Beiträge zahlen sie gezwungen, aber die Kassenleistungen
nehmen sie möglichst wenig in Anspruch, und zwar trotz beschränkt freier Arzt¬
wahl. Infolgedessen sind sie der Kasse die liebsten und unentbehrlichsten Mit¬
glieder. Der Kasse bekommt es gut, aber dem Daseinszweck der Kasse ent¬
spricht dieses Verhältnis nicht, und den Interessen der Versicherten entspricht
sicher am besten eine möglichst freie Arztwahl.

(Fortsetzung folgt)




LMenentum und Christentum
^. Die homerische Religion

el der Besprechung von Ibsens "Kaiser und Gnlilücr" bemerkte
ich, Julians Unternehmen sei nicht ganz so thöricht gewesen,
wie es auf den ersten Blick scheine. Immerhin aber bleibt
dieser Nestaurationsversuch eines geistvollen Fürsten dreihundert
Jahre nach der Gründung der christlichen Kirche und vierzig
Jahre nach ihrem Politischen Siege über das Heidentum ein so merkwürdiger
Vorgang, daß man sich dnrch ihn stark angelockt fühlt, zu untersuchen, worauf
die Lebenskraft der hellenischen Religion beruhte. Mich hat nun die Unter¬
suchung bis zu den Anfängen dieser Religion zurückgeführt und in der Über¬
zeugung bestärkt, daß "lau ohne ihre Kenntnis das Christentum gar nicht
verstehn könne, wissenschaftlich nämlich; das Verständnis freilich, das beseligt,
wird durch die Gelehrsamkeit oft mehr gehindert als gefördert.


Hellenentum und Christentum

nicht umhin können, schließlich einmal das Arzthonorar zu erhöhen. Es ist
auch durchaus nicht so bequem für die Herren Kassenregenten, mit einer Kor¬
poration von Ärzten zu verkehren, als mit einer Anzahl absolut abhängiger
Kassenärzte, von denen jeder einzelne entlassen werden kann, wenn er unbeanem
wird, und die gewöhnlich, wenn seit dem Beginn ihrer Thätigkeit die Zahl
der Kassenmitglieder und damit die Größe ihrer Arbeit um den vierten Teil
gewachsen ist, es gar nicht wagen, eine Erhöhung ihres Gehalts zu verlangen.
Freilich je mehr der besoldete Kassenarzt Arbeit aufgepackt erhält, umso mehr
Kassenmitglieder verzichtet: auf seine Hilfe und suchen sich auf eigne Kosten
einen Arzt. Davon weiß natürlich die Kasse nichts, ihre Bücher können nur
die Überlegenheit der Einrichtung der angestellten Ärzte beweisen. Manchmal
aber weiß die Kasse doch davon und weiß sogar sehr genau die Vorteile zu
berechnen, die sie ans diesem Umstände zieht. In Leipzig sind dnrch Orts¬
statut die Handlungsgehilfen versichernugspflichtig, und da sie zu den höchst
bezahlten Klassen der Arbeiter gehören, so müssen sie auch die höchsten Bei¬
träge zahlen. Die Beiträge zahlen sie gezwungen, aber die Kassenleistungen
nehmen sie möglichst wenig in Anspruch, und zwar trotz beschränkt freier Arzt¬
wahl. Infolgedessen sind sie der Kasse die liebsten und unentbehrlichsten Mit¬
glieder. Der Kasse bekommt es gut, aber dem Daseinszweck der Kasse ent¬
spricht dieses Verhältnis nicht, und den Interessen der Versicherten entspricht
sicher am besten eine möglichst freie Arztwahl.

(Fortsetzung folgt)




LMenentum und Christentum
^. Die homerische Religion

el der Besprechung von Ibsens „Kaiser und Gnlilücr" bemerkte
ich, Julians Unternehmen sei nicht ganz so thöricht gewesen,
wie es auf den ersten Blick scheine. Immerhin aber bleibt
dieser Nestaurationsversuch eines geistvollen Fürsten dreihundert
Jahre nach der Gründung der christlichen Kirche und vierzig
Jahre nach ihrem Politischen Siege über das Heidentum ein so merkwürdiger
Vorgang, daß man sich dnrch ihn stark angelockt fühlt, zu untersuchen, worauf
die Lebenskraft der hellenischen Religion beruhte. Mich hat nun die Unter¬
suchung bis zu den Anfängen dieser Religion zurückgeführt und in der Über¬
zeugung bestärkt, daß »lau ohne ihre Kenntnis das Christentum gar nicht
verstehn könne, wissenschaftlich nämlich; das Verständnis freilich, das beseligt,
wird durch die Gelehrsamkeit oft mehr gehindert als gefördert.


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[0293] Hellenentum und Christentum nicht umhin können, schließlich einmal das Arzthonorar zu erhöhen. Es ist auch durchaus nicht so bequem für die Herren Kassenregenten, mit einer Kor¬ poration von Ärzten zu verkehren, als mit einer Anzahl absolut abhängiger Kassenärzte, von denen jeder einzelne entlassen werden kann, wenn er unbeanem wird, und die gewöhnlich, wenn seit dem Beginn ihrer Thätigkeit die Zahl der Kassenmitglieder und damit die Größe ihrer Arbeit um den vierten Teil gewachsen ist, es gar nicht wagen, eine Erhöhung ihres Gehalts zu verlangen. Freilich je mehr der besoldete Kassenarzt Arbeit aufgepackt erhält, umso mehr Kassenmitglieder verzichtet: auf seine Hilfe und suchen sich auf eigne Kosten einen Arzt. Davon weiß natürlich die Kasse nichts, ihre Bücher können nur die Überlegenheit der Einrichtung der angestellten Ärzte beweisen. Manchmal aber weiß die Kasse doch davon und weiß sogar sehr genau die Vorteile zu berechnen, die sie ans diesem Umstände zieht. In Leipzig sind dnrch Orts¬ statut die Handlungsgehilfen versichernugspflichtig, und da sie zu den höchst bezahlten Klassen der Arbeiter gehören, so müssen sie auch die höchsten Bei¬ träge zahlen. Die Beiträge zahlen sie gezwungen, aber die Kassenleistungen nehmen sie möglichst wenig in Anspruch, und zwar trotz beschränkt freier Arzt¬ wahl. Infolgedessen sind sie der Kasse die liebsten und unentbehrlichsten Mit¬ glieder. Der Kasse bekommt es gut, aber dem Daseinszweck der Kasse ent¬ spricht dieses Verhältnis nicht, und den Interessen der Versicherten entspricht sicher am besten eine möglichst freie Arztwahl. (Fortsetzung folgt) LMenentum und Christentum ^. Die homerische Religion el der Besprechung von Ibsens „Kaiser und Gnlilücr" bemerkte ich, Julians Unternehmen sei nicht ganz so thöricht gewesen, wie es auf den ersten Blick scheine. Immerhin aber bleibt dieser Nestaurationsversuch eines geistvollen Fürsten dreihundert Jahre nach der Gründung der christlichen Kirche und vierzig Jahre nach ihrem Politischen Siege über das Heidentum ein so merkwürdiger Vorgang, daß man sich dnrch ihn stark angelockt fühlt, zu untersuchen, worauf die Lebenskraft der hellenischen Religion beruhte. Mich hat nun die Unter¬ suchung bis zu den Anfängen dieser Religion zurückgeführt und in der Über¬ zeugung bestärkt, daß »lau ohne ihre Kenntnis das Christentum gar nicht verstehn könne, wissenschaftlich nämlich; das Verständnis freilich, das beseligt, wird durch die Gelehrsamkeit oft mehr gehindert als gefördert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/293>, abgerufen am 13.11.2024.