Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die genossenschaftliche Kreditorganisation in der Landwirtschaft

Man wird schon ans diesen kleinen Proben erkennen, daß die Erinnemng
an List gerade im gegenwärtigen Augenblick höchst zeitgemäß ist. Nicht allein
sind wir den großen Entscheidungen über die Teilung der Erde, die List in
weiter Ferne auftauche" sah, bedeutend näher gerückt, sondern gerade jetzt,
während des wirtschaftlichen Aufschwungs der letzten fünf Jahre, ist auch das
Ideal in Deutschland verwirklicht, das List für sein Vaterland so heiß erstrebte:
der Agrar-Mauufakturhaitdelsstaat, und es ist an der Zeit, zu fragen, ob die
Wirklichkeit in jeder Beziehung der Vorstellung, die List davon hatte, entspricht,
und, da doch die Welt nicht still steht, wie sich wohl die Dinge weiter ent¬
wickeln könnten und sollten. Aber ehe wir uns auf diese Frage einlassen,
wollen wir vorher sehen, wie die Theorie des großen Praktikers Lehren be¬
urteilen darf und wirklich beurteilt hat.




^le genossenschaftliche Kreditorganisation in der Land¬
wirtschaft
Paul von kjcirtmann von(Schluß)

le große Bedeutung, die das landwirtschaftliche Genossenschafts¬
wesen in Deutschland gewonnen hat, liegt in der straffen Organi¬
sation der Vereine und in dem Gefühl der Zusammengehörigkeit
und des Zusammenarbeitens an einer gemeinsamen Sache. Dieses
Einigkeitsgefühl unter all den verschiednen Genossenschaften auch
äußerlich auszudrücken war von jeher das Bestreben Raiffeisens gewesen. Schon
1864 hatte Schulze-Delitzsch den Allgemeinen Verband deutscher Erwerbs- und
Wirtschaftsgenossenschaften ius Leben gerufen; unter diesem Verbände standen
Provinzial- und Landverbände und unter diesen wiederum die einzelnen Ge¬
nossenschaften. Dem Schulzischcu Vorbilde nacheifernd, wollte Raiffeisen 1868
einen ähnlichen Aufbau seiner Vereine gründe", der mit einer Zentralbank zum
.Zwecke gemeinsamer Beratung, Kontrolle und GeldauSgleichnug verbunden sein
sollte. Aber sein erster Versuch schlug fehl.

Da jedoch das Bedürfnis nach einer Zeutralansgleichsstelle dringend vor
Handen war, so wurden 1872 in den einzelnen Landschaften selbständige Banken
gegründet, eine westfälische landwirtschaftliche Bank, eine rheinische landwirt¬
schaftliche Genossenschaftsbank und eine landwirtschaftliche Zentralkasse für
Hesse". Diese drei Banken schlösse!, sich am 25. Juni 1874 zu der Landwirt¬
schaftliche" Gencmlbank zusammen. Soweit war eine Einigung hergestellt. Da


Die genossenschaftliche Kreditorganisation in der Landwirtschaft

Man wird schon ans diesen kleinen Proben erkennen, daß die Erinnemng
an List gerade im gegenwärtigen Augenblick höchst zeitgemäß ist. Nicht allein
sind wir den großen Entscheidungen über die Teilung der Erde, die List in
weiter Ferne auftauche» sah, bedeutend näher gerückt, sondern gerade jetzt,
während des wirtschaftlichen Aufschwungs der letzten fünf Jahre, ist auch das
Ideal in Deutschland verwirklicht, das List für sein Vaterland so heiß erstrebte:
der Agrar-Mauufakturhaitdelsstaat, und es ist an der Zeit, zu fragen, ob die
Wirklichkeit in jeder Beziehung der Vorstellung, die List davon hatte, entspricht,
und, da doch die Welt nicht still steht, wie sich wohl die Dinge weiter ent¬
wickeln könnten und sollten. Aber ehe wir uns auf diese Frage einlassen,
wollen wir vorher sehen, wie die Theorie des großen Praktikers Lehren be¬
urteilen darf und wirklich beurteilt hat.




^le genossenschaftliche Kreditorganisation in der Land¬
wirtschaft
Paul von kjcirtmann von(Schluß)

le große Bedeutung, die das landwirtschaftliche Genossenschafts¬
wesen in Deutschland gewonnen hat, liegt in der straffen Organi¬
sation der Vereine und in dem Gefühl der Zusammengehörigkeit
und des Zusammenarbeitens an einer gemeinsamen Sache. Dieses
Einigkeitsgefühl unter all den verschiednen Genossenschaften auch
äußerlich auszudrücken war von jeher das Bestreben Raiffeisens gewesen. Schon
1864 hatte Schulze-Delitzsch den Allgemeinen Verband deutscher Erwerbs- und
Wirtschaftsgenossenschaften ius Leben gerufen; unter diesem Verbände standen
Provinzial- und Landverbände und unter diesen wiederum die einzelnen Ge¬
nossenschaften. Dem Schulzischcu Vorbilde nacheifernd, wollte Raiffeisen 1868
einen ähnlichen Aufbau seiner Vereine gründe», der mit einer Zentralbank zum
.Zwecke gemeinsamer Beratung, Kontrolle und GeldauSgleichnug verbunden sein
sollte. Aber sein erster Versuch schlug fehl.

Da jedoch das Bedürfnis nach einer Zeutralansgleichsstelle dringend vor
Handen war, so wurden 1872 in den einzelnen Landschaften selbständige Banken
gegründet, eine westfälische landwirtschaftliche Bank, eine rheinische landwirt¬
schaftliche Genossenschaftsbank und eine landwirtschaftliche Zentralkasse für
Hesse». Diese drei Banken schlösse!, sich am 25. Juni 1874 zu der Landwirt¬
schaftliche» Gencmlbank zusammen. Soweit war eine Einigung hergestellt. Da


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0503" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235033"/>
          <fw type="header" place="top"> Die genossenschaftliche Kreditorganisation in der Landwirtschaft</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1493"> Man wird schon ans diesen kleinen Proben erkennen, daß die Erinnemng<lb/>
an List gerade im gegenwärtigen Augenblick höchst zeitgemäß ist. Nicht allein<lb/>
sind wir den großen Entscheidungen über die Teilung der Erde, die List in<lb/>
weiter Ferne auftauche» sah, bedeutend näher gerückt, sondern gerade jetzt,<lb/>
während des wirtschaftlichen Aufschwungs der letzten fünf Jahre, ist auch das<lb/>
Ideal in Deutschland verwirklicht, das List für sein Vaterland so heiß erstrebte:<lb/>
der Agrar-Mauufakturhaitdelsstaat, und es ist an der Zeit, zu fragen, ob die<lb/>
Wirklichkeit in jeder Beziehung der Vorstellung, die List davon hatte, entspricht,<lb/>
und, da doch die Welt nicht still steht, wie sich wohl die Dinge weiter ent¬<lb/>
wickeln könnten und sollten. Aber ehe wir uns auf diese Frage einlassen,<lb/>
wollen wir vorher sehen, wie die Theorie des großen Praktikers Lehren be¬<lb/>
urteilen darf und wirklich beurteilt hat.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> ^le genossenschaftliche Kreditorganisation in der Land¬<lb/>
wirtschaft<lb/><note type="byline"> Paul von kjcirtmann</note> von(Schluß)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1494"> le große Bedeutung, die das landwirtschaftliche Genossenschafts¬<lb/>
wesen in Deutschland gewonnen hat, liegt in der straffen Organi¬<lb/>
sation der Vereine und in dem Gefühl der Zusammengehörigkeit<lb/>
und des Zusammenarbeitens an einer gemeinsamen Sache. Dieses<lb/>
Einigkeitsgefühl unter all den verschiednen Genossenschaften auch<lb/>
äußerlich auszudrücken war von jeher das Bestreben Raiffeisens gewesen. Schon<lb/>
1864 hatte Schulze-Delitzsch den Allgemeinen Verband deutscher Erwerbs- und<lb/>
Wirtschaftsgenossenschaften ius Leben gerufen; unter diesem Verbände standen<lb/>
Provinzial- und Landverbände und unter diesen wiederum die einzelnen Ge¬<lb/>
nossenschaften. Dem Schulzischcu Vorbilde nacheifernd, wollte Raiffeisen 1868<lb/>
einen ähnlichen Aufbau seiner Vereine gründe», der mit einer Zentralbank zum<lb/>
.Zwecke gemeinsamer Beratung, Kontrolle und GeldauSgleichnug verbunden sein<lb/>
sollte. Aber sein erster Versuch schlug fehl.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1495" next="#ID_1496"> Da jedoch das Bedürfnis nach einer Zeutralansgleichsstelle dringend vor<lb/>
Handen war, so wurden 1872 in den einzelnen Landschaften selbständige Banken<lb/>
gegründet, eine westfälische landwirtschaftliche Bank, eine rheinische landwirt¬<lb/>
schaftliche Genossenschaftsbank und eine landwirtschaftliche Zentralkasse für<lb/>
Hesse». Diese drei Banken schlösse!, sich am 25. Juni 1874 zu der Landwirt¬<lb/>
schaftliche» Gencmlbank zusammen. Soweit war eine Einigung hergestellt. Da</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0503] Die genossenschaftliche Kreditorganisation in der Landwirtschaft Man wird schon ans diesen kleinen Proben erkennen, daß die Erinnemng an List gerade im gegenwärtigen Augenblick höchst zeitgemäß ist. Nicht allein sind wir den großen Entscheidungen über die Teilung der Erde, die List in weiter Ferne auftauche» sah, bedeutend näher gerückt, sondern gerade jetzt, während des wirtschaftlichen Aufschwungs der letzten fünf Jahre, ist auch das Ideal in Deutschland verwirklicht, das List für sein Vaterland so heiß erstrebte: der Agrar-Mauufakturhaitdelsstaat, und es ist an der Zeit, zu fragen, ob die Wirklichkeit in jeder Beziehung der Vorstellung, die List davon hatte, entspricht, und, da doch die Welt nicht still steht, wie sich wohl die Dinge weiter ent¬ wickeln könnten und sollten. Aber ehe wir uns auf diese Frage einlassen, wollen wir vorher sehen, wie die Theorie des großen Praktikers Lehren be¬ urteilen darf und wirklich beurteilt hat. ^le genossenschaftliche Kreditorganisation in der Land¬ wirtschaft Paul von kjcirtmann von(Schluß) le große Bedeutung, die das landwirtschaftliche Genossenschafts¬ wesen in Deutschland gewonnen hat, liegt in der straffen Organi¬ sation der Vereine und in dem Gefühl der Zusammengehörigkeit und des Zusammenarbeitens an einer gemeinsamen Sache. Dieses Einigkeitsgefühl unter all den verschiednen Genossenschaften auch äußerlich auszudrücken war von jeher das Bestreben Raiffeisens gewesen. Schon 1864 hatte Schulze-Delitzsch den Allgemeinen Verband deutscher Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften ius Leben gerufen; unter diesem Verbände standen Provinzial- und Landverbände und unter diesen wiederum die einzelnen Ge¬ nossenschaften. Dem Schulzischcu Vorbilde nacheifernd, wollte Raiffeisen 1868 einen ähnlichen Aufbau seiner Vereine gründe», der mit einer Zentralbank zum .Zwecke gemeinsamer Beratung, Kontrolle und GeldauSgleichnug verbunden sein sollte. Aber sein erster Versuch schlug fehl. Da jedoch das Bedürfnis nach einer Zeutralansgleichsstelle dringend vor Handen war, so wurden 1872 in den einzelnen Landschaften selbständige Banken gegründet, eine westfälische landwirtschaftliche Bank, eine rheinische landwirt¬ schaftliche Genossenschaftsbank und eine landwirtschaftliche Zentralkasse für Hesse». Diese drei Banken schlösse!, sich am 25. Juni 1874 zu der Landwirt¬ schaftliche» Gencmlbank zusammen. Soweit war eine Einigung hergestellt. Da

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/503
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/503>, abgerufen am 29.06.2024.