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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich List

nmlÄS, in clnbiis 1ibört^8, in various Viirit!l8. Es liegt null einmal im
Charakter und in der darin wurzelnden geringen politischen Begabung unsers
Volks, daß jeder große natioimle Fortschritt nur unter schweren Kämpfen und
uuter lauten Weherufeu errungen wird, weil der Deutsche an den Teil immer
eher denkt als an das Ganze -- Beispiel die im Grunde lächerliche "Frage"
gemeindeutscher Postwertzeichen - ^, deshalb fortwährend die ängstlichste Schonung
seiner "partikularistischen Empfindlichkeiten" verlangt und jede Stärkung des
Ganzen als ein "Opfer" ansieht, das die Teile bringen müssen, die doch ohne
* das Ganze, eben als Teile gar nicht bestehn könnten.




Friedrich Ast

!M 19. und 21, Heft des Jahrgangs 1895 der Grenzboten habe
ich die Lehren Lifts und Careys kurz dargestellt und miteinander
vergliche". Damals kannte ich von List nur das "Nationale
System." Von der Verlagsbuchhandlung ErnstHofmaun n. Comp.
'in Berlin aufgefordert, für ihre Sammlung "Geisteshelden" den
List zu bearbeiten (er ist soeben als 41. Band der Sammlung erschienen), habe
ich mich auch mit seinen zerstreuten kleinern Schriften (die der zweite Band
des Werkes von Hauffer bei weitem nicht vollständig enthält) und mit seinem
Leben bekannt gemacht und daraus ersehen, daß mau ihn aus dem "System"
allein weder vollständig verstehn noch würdigen kann. Deshalb glaube ich
den Lesern eine Ergänzung des ältern Aufsatzes schuldig zu sein, und es drängt
mich um so mehr dazu, als das Bändchen der Hofmannschen Sammlung für
kritische Erörterungen des darin mitgeteilten Thatsächlichen keinen Raum
übrig ließ.

Aus der Thätigkeit Lifts für den Bau von Eisenbahnen und aus seinen
Eisenbahnschriften wird ein Widerspruch erklärlich, den ihm die ersten Kritiker
seines Systems vorgeworfen haben. Die beiden Grundgedanken, von denen
nus List zur Forderung und Verteidigung der Schutzzölle gelangte, waren,
daß Produktionskräfte mehr wert seien als Waren und Geld, lind daß der
Nahverkehr wichtiger sei als der Fernverkehr. Seien nur die Produktions-
kräfte vorhanden und durch nichts an ihrer Entfaltung und Anwendung ge¬
hindert, so könne man jederzeit so viel Waren und Geld haben, als man wolle
und brauche. Beziehe man dagegen, um billige Waren zu haben und Geld
zu sparen, die Gewerbeerzeugnisse aus der Ferne und lasse dadurch die
heimischen Produktionskräfte verkümmern, so müsse das Land verarmen, lind


Friedrich List

nmlÄS, in clnbiis 1ibört^8, in various Viirit!l8. Es liegt null einmal im
Charakter und in der darin wurzelnden geringen politischen Begabung unsers
Volks, daß jeder große natioimle Fortschritt nur unter schweren Kämpfen und
uuter lauten Weherufeu errungen wird, weil der Deutsche an den Teil immer
eher denkt als an das Ganze — Beispiel die im Grunde lächerliche „Frage"
gemeindeutscher Postwertzeichen - ^, deshalb fortwährend die ängstlichste Schonung
seiner „partikularistischen Empfindlichkeiten" verlangt und jede Stärkung des
Ganzen als ein „Opfer" ansieht, das die Teile bringen müssen, die doch ohne
* das Ganze, eben als Teile gar nicht bestehn könnten.




Friedrich Ast

!M 19. und 21, Heft des Jahrgangs 1895 der Grenzboten habe
ich die Lehren Lifts und Careys kurz dargestellt und miteinander
vergliche». Damals kannte ich von List nur das „Nationale
System." Von der Verlagsbuchhandlung ErnstHofmaun n. Comp.
'in Berlin aufgefordert, für ihre Sammlung „Geisteshelden" den
List zu bearbeiten (er ist soeben als 41. Band der Sammlung erschienen), habe
ich mich auch mit seinen zerstreuten kleinern Schriften (die der zweite Band
des Werkes von Hauffer bei weitem nicht vollständig enthält) und mit seinem
Leben bekannt gemacht und daraus ersehen, daß mau ihn aus dem „System"
allein weder vollständig verstehn noch würdigen kann. Deshalb glaube ich
den Lesern eine Ergänzung des ältern Aufsatzes schuldig zu sein, und es drängt
mich um so mehr dazu, als das Bändchen der Hofmannschen Sammlung für
kritische Erörterungen des darin mitgeteilten Thatsächlichen keinen Raum
übrig ließ.

Aus der Thätigkeit Lifts für den Bau von Eisenbahnen und aus seinen
Eisenbahnschriften wird ein Widerspruch erklärlich, den ihm die ersten Kritiker
seines Systems vorgeworfen haben. Die beiden Grundgedanken, von denen
nus List zur Forderung und Verteidigung der Schutzzölle gelangte, waren,
daß Produktionskräfte mehr wert seien als Waren und Geld, lind daß der
Nahverkehr wichtiger sei als der Fernverkehr. Seien nur die Produktions-
kräfte vorhanden und durch nichts an ihrer Entfaltung und Anwendung ge¬
hindert, so könne man jederzeit so viel Waren und Geld haben, als man wolle
und brauche. Beziehe man dagegen, um billige Waren zu haben und Geld
zu sparen, die Gewerbeerzeugnisse aus der Ferne und lasse dadurch die
heimischen Produktionskräfte verkümmern, so müsse das Land verarmen, lind


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[0493] Friedrich List nmlÄS, in clnbiis 1ibört^8, in various Viirit!l8. Es liegt null einmal im Charakter und in der darin wurzelnden geringen politischen Begabung unsers Volks, daß jeder große natioimle Fortschritt nur unter schweren Kämpfen und uuter lauten Weherufeu errungen wird, weil der Deutsche an den Teil immer eher denkt als an das Ganze — Beispiel die im Grunde lächerliche „Frage" gemeindeutscher Postwertzeichen - ^, deshalb fortwährend die ängstlichste Schonung seiner „partikularistischen Empfindlichkeiten" verlangt und jede Stärkung des Ganzen als ein „Opfer" ansieht, das die Teile bringen müssen, die doch ohne * das Ganze, eben als Teile gar nicht bestehn könnten. Friedrich Ast !M 19. und 21, Heft des Jahrgangs 1895 der Grenzboten habe ich die Lehren Lifts und Careys kurz dargestellt und miteinander vergliche». Damals kannte ich von List nur das „Nationale System." Von der Verlagsbuchhandlung ErnstHofmaun n. Comp. 'in Berlin aufgefordert, für ihre Sammlung „Geisteshelden" den List zu bearbeiten (er ist soeben als 41. Band der Sammlung erschienen), habe ich mich auch mit seinen zerstreuten kleinern Schriften (die der zweite Band des Werkes von Hauffer bei weitem nicht vollständig enthält) und mit seinem Leben bekannt gemacht und daraus ersehen, daß mau ihn aus dem „System" allein weder vollständig verstehn noch würdigen kann. Deshalb glaube ich den Lesern eine Ergänzung des ältern Aufsatzes schuldig zu sein, und es drängt mich um so mehr dazu, als das Bändchen der Hofmannschen Sammlung für kritische Erörterungen des darin mitgeteilten Thatsächlichen keinen Raum übrig ließ. Aus der Thätigkeit Lifts für den Bau von Eisenbahnen und aus seinen Eisenbahnschriften wird ein Widerspruch erklärlich, den ihm die ersten Kritiker seines Systems vorgeworfen haben. Die beiden Grundgedanken, von denen nus List zur Forderung und Verteidigung der Schutzzölle gelangte, waren, daß Produktionskräfte mehr wert seien als Waren und Geld, lind daß der Nahverkehr wichtiger sei als der Fernverkehr. Seien nur die Produktions- kräfte vorhanden und durch nichts an ihrer Entfaltung und Anwendung ge¬ hindert, so könne man jederzeit so viel Waren und Geld haben, als man wolle und brauche. Beziehe man dagegen, um billige Waren zu haben und Geld zu sparen, die Gewerbeerzeugnisse aus der Ferne und lasse dadurch die heimischen Produktionskräfte verkümmern, so müsse das Land verarmen, lind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/493>, abgerufen am 29.06.2024.