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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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(Lrlebnisse eines achtjährigen Jungen
(Schluß)
5. lvilkes, Mademoiselle (Lavalet, der Spielet

le Erzählung war an der Hand von Henriette 5?'tiefes und Fräulein
Hermine den Ereignissen vorausgeeilt. Sie kehrt zurück, um auch
über andre Erlebnisse des achtjährigen Jungen und seines fremd-
zungigen Mentors noch einiges nachzuholen.

Die Beziehungen zu Fran Knvrpeles, Schiemang, dem Pöklings-
mann und dem Briefträger waren meiner Privatinitiative entsprungen,
und es ist mir, wie ich schon angedeutet zu haben glaube, zweifelhaft, ob deren
Innigkeit, wenn sie meinen Eltern bekannt gewesen wäre, ihren unbedingten Beifall
gehabt hätte. Aber es fehlte mir auch sonst in dem Städtchen nicht um Familien
und Persönlichkeiten, die in meiner damaligen Existenz eine große Rolle spielten,
und denen denn auch mein und Monsieur Besses Besuch zu teil wurde, sobald
dessen Heimweh in ein weniger akutes Stadium getreten war, und wir uns nur
einigermaßen miteinander verständigen konnten.
'

>>es komme den Gefühlen meines Herzens nach, wenn ich die Überzeugung
misspreche, daß die sieben bis acht Familien, ans denen sich unser geselliger Kreis
zusammensetzte, im ganzen und dadurch, daß sich ihre Anschauungen und Interessen
in überaus glücklicher Weise gegenseitig ergänzten, für eine frohe, genußreiche und
gesunde Entwicklung der in ihrer Mitte aufwachsenden Kinderschar die günstigsten
Vorbedingungen boten. Man war viel im Freien und genoß viel Freiheit; man
wurde mit Lernen, schweren Pflichten und unbequemen Rücksichten nicht überbürdet;
es gab immer etwas neues, die Phantasie und den Wissensdrang anregendes; von
hohlen Ansprüchen und auf den bloßen Schein berechnetem Wesen war nicht die
Rede, und wer gut und glücklich zu sein Anlage hatte, brauchte sich bloß gehn zu
lassen.

Es ist begreiflich, daß die Erinnerungen, die man aus einer solchen Zeit ins
Wätere Lebensalter mit hinübernimmt, sehr rosenrot angehaucht sind. Leider haben
Reh inzwischen die Reihen derer, an deren freundlicher Gestalt das Auge, an deren
Liebe und Wahlwolleu das Herz des achtjährigen Knaben hing, schon sehr gelichtet,
^e verhältnismäßig wenigen, die noch aus dieser Zeit stammen und sie aus meiner
Schilderung wiedererkennen könnten, werden mir, denke ich, dafür Dank wissen, daß
M) das in meiner Erinnerung schlummernde freundliche Bild uur umflort und in
verschwimmenden Umrissen zur Erscheinung bringe. Nichts erfordert größere Vorsicht
und zartere Behandlung als der Rückblick auf Beziehungen der Vergangenheit.

Frau Wille war die Zentralsonne unsers Mikrokosmus. Feingebildet, nur für
"udre besorgt, von großer Herzensgüte und aufrichtiger Frömmigkeit stand sie
trotz einer Körperkonstitution, die viel Schonung erfordert hätte, unermüdlich einem
großen, gewiß nicht leicht zu führenden Hanshnlte vor. Die Familie bewohnte un-




(Lrlebnisse eines achtjährigen Jungen
(Schluß)
5. lvilkes, Mademoiselle (Lavalet, der Spielet

le Erzählung war an der Hand von Henriette 5?'tiefes und Fräulein
Hermine den Ereignissen vorausgeeilt. Sie kehrt zurück, um auch
über andre Erlebnisse des achtjährigen Jungen und seines fremd-
zungigen Mentors noch einiges nachzuholen.

Die Beziehungen zu Fran Knvrpeles, Schiemang, dem Pöklings-
mann und dem Briefträger waren meiner Privatinitiative entsprungen,
und es ist mir, wie ich schon angedeutet zu haben glaube, zweifelhaft, ob deren
Innigkeit, wenn sie meinen Eltern bekannt gewesen wäre, ihren unbedingten Beifall
gehabt hätte. Aber es fehlte mir auch sonst in dem Städtchen nicht um Familien
und Persönlichkeiten, die in meiner damaligen Existenz eine große Rolle spielten,
und denen denn auch mein und Monsieur Besses Besuch zu teil wurde, sobald
dessen Heimweh in ein weniger akutes Stadium getreten war, und wir uns nur
einigermaßen miteinander verständigen konnten.
'

>>es komme den Gefühlen meines Herzens nach, wenn ich die Überzeugung
misspreche, daß die sieben bis acht Familien, ans denen sich unser geselliger Kreis
zusammensetzte, im ganzen und dadurch, daß sich ihre Anschauungen und Interessen
in überaus glücklicher Weise gegenseitig ergänzten, für eine frohe, genußreiche und
gesunde Entwicklung der in ihrer Mitte aufwachsenden Kinderschar die günstigsten
Vorbedingungen boten. Man war viel im Freien und genoß viel Freiheit; man
wurde mit Lernen, schweren Pflichten und unbequemen Rücksichten nicht überbürdet;
es gab immer etwas neues, die Phantasie und den Wissensdrang anregendes; von
hohlen Ansprüchen und auf den bloßen Schein berechnetem Wesen war nicht die
Rede, und wer gut und glücklich zu sein Anlage hatte, brauchte sich bloß gehn zu
lassen.

Es ist begreiflich, daß die Erinnerungen, die man aus einer solchen Zeit ins
Wätere Lebensalter mit hinübernimmt, sehr rosenrot angehaucht sind. Leider haben
Reh inzwischen die Reihen derer, an deren freundlicher Gestalt das Auge, an deren
Liebe und Wahlwolleu das Herz des achtjährigen Knaben hing, schon sehr gelichtet,
^e verhältnismäßig wenigen, die noch aus dieser Zeit stammen und sie aus meiner
Schilderung wiedererkennen könnten, werden mir, denke ich, dafür Dank wissen, daß
M) das in meiner Erinnerung schlummernde freundliche Bild uur umflort und in
verschwimmenden Umrissen zur Erscheinung bringe. Nichts erfordert größere Vorsicht
und zartere Behandlung als der Rückblick auf Beziehungen der Vergangenheit.

Frau Wille war die Zentralsonne unsers Mikrokosmus. Feingebildet, nur für
"udre besorgt, von großer Herzensgüte und aufrichtiger Frömmigkeit stand sie
trotz einer Körperkonstitution, die viel Schonung erfordert hätte, unermüdlich einem
großen, gewiß nicht leicht zu führenden Hanshnlte vor. Die Familie bewohnte un-


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[0339] [Abbildung] (Lrlebnisse eines achtjährigen Jungen (Schluß) 5. lvilkes, Mademoiselle (Lavalet, der Spielet le Erzählung war an der Hand von Henriette 5?'tiefes und Fräulein Hermine den Ereignissen vorausgeeilt. Sie kehrt zurück, um auch über andre Erlebnisse des achtjährigen Jungen und seines fremd- zungigen Mentors noch einiges nachzuholen. Die Beziehungen zu Fran Knvrpeles, Schiemang, dem Pöklings- mann und dem Briefträger waren meiner Privatinitiative entsprungen, und es ist mir, wie ich schon angedeutet zu haben glaube, zweifelhaft, ob deren Innigkeit, wenn sie meinen Eltern bekannt gewesen wäre, ihren unbedingten Beifall gehabt hätte. Aber es fehlte mir auch sonst in dem Städtchen nicht um Familien und Persönlichkeiten, die in meiner damaligen Existenz eine große Rolle spielten, und denen denn auch mein und Monsieur Besses Besuch zu teil wurde, sobald dessen Heimweh in ein weniger akutes Stadium getreten war, und wir uns nur einigermaßen miteinander verständigen konnten. ' >>es komme den Gefühlen meines Herzens nach, wenn ich die Überzeugung misspreche, daß die sieben bis acht Familien, ans denen sich unser geselliger Kreis zusammensetzte, im ganzen und dadurch, daß sich ihre Anschauungen und Interessen in überaus glücklicher Weise gegenseitig ergänzten, für eine frohe, genußreiche und gesunde Entwicklung der in ihrer Mitte aufwachsenden Kinderschar die günstigsten Vorbedingungen boten. Man war viel im Freien und genoß viel Freiheit; man wurde mit Lernen, schweren Pflichten und unbequemen Rücksichten nicht überbürdet; es gab immer etwas neues, die Phantasie und den Wissensdrang anregendes; von hohlen Ansprüchen und auf den bloßen Schein berechnetem Wesen war nicht die Rede, und wer gut und glücklich zu sein Anlage hatte, brauchte sich bloß gehn zu lassen. Es ist begreiflich, daß die Erinnerungen, die man aus einer solchen Zeit ins Wätere Lebensalter mit hinübernimmt, sehr rosenrot angehaucht sind. Leider haben Reh inzwischen die Reihen derer, an deren freundlicher Gestalt das Auge, an deren Liebe und Wahlwolleu das Herz des achtjährigen Knaben hing, schon sehr gelichtet, ^e verhältnismäßig wenigen, die noch aus dieser Zeit stammen und sie aus meiner Schilderung wiedererkennen könnten, werden mir, denke ich, dafür Dank wissen, daß M) das in meiner Erinnerung schlummernde freundliche Bild uur umflort und in verschwimmenden Umrissen zur Erscheinung bringe. Nichts erfordert größere Vorsicht und zartere Behandlung als der Rückblick auf Beziehungen der Vergangenheit. Frau Wille war die Zentralsonne unsers Mikrokosmus. Feingebildet, nur für "udre besorgt, von großer Herzensgüte und aufrichtiger Frömmigkeit stand sie trotz einer Körperkonstitution, die viel Schonung erfordert hätte, unermüdlich einem großen, gewiß nicht leicht zu führenden Hanshnlte vor. Die Familie bewohnte un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/339>, abgerufen am 27.06.2024.