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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Erlebnisse eines achtjährigen Jungen

Der Historiker und der Philosoph gehn hier so weit auseinander wie --
sie müssen. Möglichst einfach und anspruchslos gesagt ist das, was wir selbst
in Bezug aus Carlyle aus seiner Frau Memoiren gelernt zu haben meinen,
erstens, daß seine Unsicherheit und Hilflosigkeit dem Leben gegenüber viel
größer war, als wir sie uns gedacht hatten, zweitens, welchen ungeheuern,
einen nie ermüdenden und sich täglich erneuerten Idealismus es voraussetzt,
andre lehren und fördern zu wollen in Dingen, deren man selbst tagtäglich
und jahraus jahrein nicht Herr werden kann, und endlich: hätten Nur alle
auch uur ein wenig davon in unsrer Weltanschauung, Nur würden zwar die
Welt nicht ändern und verbessern, was keine Weltanschauung kann, aber wir
würdei, vieles anders sehen, uns über manches trösten und vielleicht anch
A. x>. einzelne Menschen in einzelnen Dingen besser machen.




Erlebnisse eines achtjährigen Jungen
(Fortsetzung)
3. Frau Anorpeles, Schiemang und Fräulein Hermine

ynntschke hatte Recht gehabt. Monsieur Besse war nach einigen
Tagen lebensfreudiger geworden, und ich hatte ihn mit den be¬
deutendsten Persönlichkeiten der verschiednen Kreise, worin ich durch
Vogt und Synatschte oder auf- eigne Hand Beziehungen hatte, be¬
kannt machen tonnen. Andral) bei hübschen Mädchen, an den ich
von Vogt her gewöhnt war -- er hatte zwar ansgcsprochnc O-Beine,
war aber sonst von der rechten Art --, fehlte mir zwar auch mit Monsieur Besse
nicht, aber von der Seite mehrerer andrer Personen, auf deren Urteil und Wohl¬
wollen ich besonder" Wert legte, war der Empfang ziemlich kühl. Wie die Herzogin
von Friedland in den beiden Piccolomini von ihrer Aufnahme um kaiserlichen Hofe
tagt: Würdig und voll Anstand war das Benehmen - aber an die Stelle huld¬
reich vertraulicher Herablassung war feierliche Förmlichkeit getreten.

Nicht daß es von meiner Seite an empfehlenden und Interesse erweckenden
Erklärungen gefehlt hätte. Sie sehen, Frau Kuorpeles, er hat sehr schöne schwarze
Zocken, auf denen sein Hut weich und sicher ruht wie auf einem Polster, und die
er täglich unzähligemale' mit Kamm und Bürste in Ordnung bringen muß. Sie
werden auch gehört haben, daß er französisch spricht, was ja anch die Sprache der
Wasse, Naben, Grillen und Ameisen zu sein scheint, aber Fran Knvrpeles, die mit
Kommißbrot und einer Art stark gepfefferter Würstchen handelte, deren Bereitung
sie grundsätzlich in ein undurchdringliches Dunkel hüllte, reichte mir die Backpflanme,
die ich als gebührenden Tribut von ihr erhob, ohne anf die schwarzen Locken oder
das fremdländische Idiom einzugehn, und -- intime gesellige Beziehungen zu ihr,
von denen ich mir viel versprochen hatte, blieben ans diese Weise ein unerfüllter
Traum.

Ich hatte erwartet, daß sie uns, wie sie dies bei meinem ersten Erscheinen


Erlebnisse eines achtjährigen Jungen

Der Historiker und der Philosoph gehn hier so weit auseinander wie —
sie müssen. Möglichst einfach und anspruchslos gesagt ist das, was wir selbst
in Bezug aus Carlyle aus seiner Frau Memoiren gelernt zu haben meinen,
erstens, daß seine Unsicherheit und Hilflosigkeit dem Leben gegenüber viel
größer war, als wir sie uns gedacht hatten, zweitens, welchen ungeheuern,
einen nie ermüdenden und sich täglich erneuerten Idealismus es voraussetzt,
andre lehren und fördern zu wollen in Dingen, deren man selbst tagtäglich
und jahraus jahrein nicht Herr werden kann, und endlich: hätten Nur alle
auch uur ein wenig davon in unsrer Weltanschauung, Nur würden zwar die
Welt nicht ändern und verbessern, was keine Weltanschauung kann, aber wir
würdei, vieles anders sehen, uns über manches trösten und vielleicht anch
A. x>. einzelne Menschen in einzelnen Dingen besser machen.




Erlebnisse eines achtjährigen Jungen
(Fortsetzung)
3. Frau Anorpeles, Schiemang und Fräulein Hermine

ynntschke hatte Recht gehabt. Monsieur Besse war nach einigen
Tagen lebensfreudiger geworden, und ich hatte ihn mit den be¬
deutendsten Persönlichkeiten der verschiednen Kreise, worin ich durch
Vogt und Synatschte oder auf- eigne Hand Beziehungen hatte, be¬
kannt machen tonnen. Andral) bei hübschen Mädchen, an den ich
von Vogt her gewöhnt war — er hatte zwar ansgcsprochnc O-Beine,
war aber sonst von der rechten Art —, fehlte mir zwar auch mit Monsieur Besse
nicht, aber von der Seite mehrerer andrer Personen, auf deren Urteil und Wohl¬
wollen ich besonder» Wert legte, war der Empfang ziemlich kühl. Wie die Herzogin
von Friedland in den beiden Piccolomini von ihrer Aufnahme um kaiserlichen Hofe
tagt: Würdig und voll Anstand war das Benehmen - aber an die Stelle huld¬
reich vertraulicher Herablassung war feierliche Förmlichkeit getreten.

Nicht daß es von meiner Seite an empfehlenden und Interesse erweckenden
Erklärungen gefehlt hätte. Sie sehen, Frau Kuorpeles, er hat sehr schöne schwarze
Zocken, auf denen sein Hut weich und sicher ruht wie auf einem Polster, und die
er täglich unzähligemale' mit Kamm und Bürste in Ordnung bringen muß. Sie
werden auch gehört haben, daß er französisch spricht, was ja anch die Sprache der
Wasse, Naben, Grillen und Ameisen zu sein scheint, aber Fran Knvrpeles, die mit
Kommißbrot und einer Art stark gepfefferter Würstchen handelte, deren Bereitung
sie grundsätzlich in ein undurchdringliches Dunkel hüllte, reichte mir die Backpflanme,
die ich als gebührenden Tribut von ihr erhob, ohne anf die schwarzen Locken oder
das fremdländische Idiom einzugehn, und — intime gesellige Beziehungen zu ihr,
von denen ich mir viel versprochen hatte, blieben ans diese Weise ein unerfüllter
Traum.

Ich hatte erwartet, daß sie uns, wie sie dies bei meinem ersten Erscheinen


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[0295] Erlebnisse eines achtjährigen Jungen Der Historiker und der Philosoph gehn hier so weit auseinander wie — sie müssen. Möglichst einfach und anspruchslos gesagt ist das, was wir selbst in Bezug aus Carlyle aus seiner Frau Memoiren gelernt zu haben meinen, erstens, daß seine Unsicherheit und Hilflosigkeit dem Leben gegenüber viel größer war, als wir sie uns gedacht hatten, zweitens, welchen ungeheuern, einen nie ermüdenden und sich täglich erneuerten Idealismus es voraussetzt, andre lehren und fördern zu wollen in Dingen, deren man selbst tagtäglich und jahraus jahrein nicht Herr werden kann, und endlich: hätten Nur alle auch uur ein wenig davon in unsrer Weltanschauung, Nur würden zwar die Welt nicht ändern und verbessern, was keine Weltanschauung kann, aber wir würdei, vieles anders sehen, uns über manches trösten und vielleicht anch A. x>. einzelne Menschen in einzelnen Dingen besser machen. Erlebnisse eines achtjährigen Jungen (Fortsetzung) 3. Frau Anorpeles, Schiemang und Fräulein Hermine ynntschke hatte Recht gehabt. Monsieur Besse war nach einigen Tagen lebensfreudiger geworden, und ich hatte ihn mit den be¬ deutendsten Persönlichkeiten der verschiednen Kreise, worin ich durch Vogt und Synatschte oder auf- eigne Hand Beziehungen hatte, be¬ kannt machen tonnen. Andral) bei hübschen Mädchen, an den ich von Vogt her gewöhnt war — er hatte zwar ansgcsprochnc O-Beine, war aber sonst von der rechten Art —, fehlte mir zwar auch mit Monsieur Besse nicht, aber von der Seite mehrerer andrer Personen, auf deren Urteil und Wohl¬ wollen ich besonder» Wert legte, war der Empfang ziemlich kühl. Wie die Herzogin von Friedland in den beiden Piccolomini von ihrer Aufnahme um kaiserlichen Hofe tagt: Würdig und voll Anstand war das Benehmen - aber an die Stelle huld¬ reich vertraulicher Herablassung war feierliche Förmlichkeit getreten. Nicht daß es von meiner Seite an empfehlenden und Interesse erweckenden Erklärungen gefehlt hätte. Sie sehen, Frau Kuorpeles, er hat sehr schöne schwarze Zocken, auf denen sein Hut weich und sicher ruht wie auf einem Polster, und die er täglich unzähligemale' mit Kamm und Bürste in Ordnung bringen muß. Sie werden auch gehört haben, daß er französisch spricht, was ja anch die Sprache der Wasse, Naben, Grillen und Ameisen zu sein scheint, aber Fran Knvrpeles, die mit Kommißbrot und einer Art stark gepfefferter Würstchen handelte, deren Bereitung sie grundsätzlich in ein undurchdringliches Dunkel hüllte, reichte mir die Backpflanme, die ich als gebührenden Tribut von ihr erhob, ohne anf die schwarzen Locken oder das fremdländische Idiom einzugehn, und — intime gesellige Beziehungen zu ihr, von denen ich mir viel versprochen hatte, blieben ans diese Weise ein unerfüllter Traum. Ich hatte erwartet, daß sie uns, wie sie dies bei meinem ersten Erscheinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/295>, abgerufen am 27.06.2024.