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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Über die Bemannung der deutschen Kauffahrteischiffe

dies? Die jederzeit oder die gewöhnlich vorkommenden Arbeiten führt der
heutige Matrose gerade so gut aus wie sein Vorgänger vor fünfzig Jahren,

Seit der Aufhebung des Schiffsjungenzwangs ist in Neederkreisen das
Bewußtsein geschwunden, daß sie selbst die Pflicht haben, für Nachwuchs zu
sorgen. Man hat sich nicht darum gesorgt, der Reichskriegsmarine die ge¬
nügende Zahl der Rekruten zuzuführen, die sich auf schwankendem Schiffe
gerade so wohl befindet wie auf festem Lande, und man ruft doch nach Schutz
durch mehr Kriegsschiffe, die ihre Bemannung natürlich von den Kauffahrtei¬
schiffen beziehen sollten. Die kleine Schiffahrt kann nicht mehr genügend junge
Leute abgeben, und man steht vor dem Schreckgespenst der Leutenot, gerade
wie die Gutsbesitzer. Damit ist mau endlich aus der Lethargie aufgerüttelt.
Der Weckruf unsers Kaisers hat im Binnenland und an der Küste das Inter¬
esse an der Kriegsmarine und damit an der Handelsschiffahrt wachgerufen, aber
woher die Benennung nehmen! Nun ist der Ruf nach Schulschiffen laut ge¬
worden, die dem Mangel an Schiffsmannschaft abhelfen sollen. Viele Worte
sind darüber geredet, geschrieben und gedruckt, Vereine gegründet, ja hohe und
höchste Herren zu Protektoren gewählt worden, um die Sache in Fluß zu
bringen, aber von einer Pflicht der Reedereien, selbst für den Nachwuchs der
Bemannung ihrer Schiffe zu sorgen, hat niemand gesprochen. Sie finden es
ganz in der Ordnung, daß Beiträge zu den Schulschiffsfonds gesammelt werden
und steuern auch selbst eine Kleinigkeit dazu bei, damit sie später genügend
junge Leute zur Bemannung ihrer Schiffe disponibel haben. Mir kommt dies
ähnlich so vor, als wenn ein Großgrundbesitzer seinen Wald abgeholzt und
versilbert hätte und nun zu milden Beiträgen behufs Wiederaufforstuug auf¬
fordert. Je mehr Leute den Reedern zur Bemannung ihrer Schiffe zur Ver¬
fügung stehn, desto billiger sind sie zu haben, ör^o --.

Von der Sozialdemokratie ist die Deckmannschaft noch wenig infiziert.
Genossenschaften können sie nicht bilden, weil sie immer über die ganze Welt
zerstreut sind. Der Seemannsverband in Hamburg enthält nur einen Bruch¬
teil unsrer Seeleute, Streiks können sie deshalb nicht in Szene setzen, und
wo dies versucht worden ist, sind sie klüglich gescheitert.


2. Die Offiziere
a) Die Segelschiffsoffiziere

Vor fünfzig Jahren war der Untersteuermann die erste und der Ober-
steuermann die zweite und letzte Stufe zu der des Kapitäns, die fast jeder
intelligente und ordentliche junge Mann erreichte. Als Kapitän verdiente er
so viel, daß er, wenn er sparsam war, eine Familie anständig unterhalten und
für sein Alter oder für den Fall seines nicht zu frühen Todes einen Not¬
groschen für seine Angehörigen zurücklegen konnte. Das hat sich in der
Zwischenzeit gewaltig geändert. Die Zahl der Segelschiffe, große sowohl wie
"eme, hat stark abgenommen, denn für verloren gegangne oder ausrangierte


Über die Bemannung der deutschen Kauffahrteischiffe

dies? Die jederzeit oder die gewöhnlich vorkommenden Arbeiten führt der
heutige Matrose gerade so gut aus wie sein Vorgänger vor fünfzig Jahren,

Seit der Aufhebung des Schiffsjungenzwangs ist in Neederkreisen das
Bewußtsein geschwunden, daß sie selbst die Pflicht haben, für Nachwuchs zu
sorgen. Man hat sich nicht darum gesorgt, der Reichskriegsmarine die ge¬
nügende Zahl der Rekruten zuzuführen, die sich auf schwankendem Schiffe
gerade so wohl befindet wie auf festem Lande, und man ruft doch nach Schutz
durch mehr Kriegsschiffe, die ihre Bemannung natürlich von den Kauffahrtei¬
schiffen beziehen sollten. Die kleine Schiffahrt kann nicht mehr genügend junge
Leute abgeben, und man steht vor dem Schreckgespenst der Leutenot, gerade
wie die Gutsbesitzer. Damit ist mau endlich aus der Lethargie aufgerüttelt.
Der Weckruf unsers Kaisers hat im Binnenland und an der Küste das Inter¬
esse an der Kriegsmarine und damit an der Handelsschiffahrt wachgerufen, aber
woher die Benennung nehmen! Nun ist der Ruf nach Schulschiffen laut ge¬
worden, die dem Mangel an Schiffsmannschaft abhelfen sollen. Viele Worte
sind darüber geredet, geschrieben und gedruckt, Vereine gegründet, ja hohe und
höchste Herren zu Protektoren gewählt worden, um die Sache in Fluß zu
bringen, aber von einer Pflicht der Reedereien, selbst für den Nachwuchs der
Bemannung ihrer Schiffe zu sorgen, hat niemand gesprochen. Sie finden es
ganz in der Ordnung, daß Beiträge zu den Schulschiffsfonds gesammelt werden
und steuern auch selbst eine Kleinigkeit dazu bei, damit sie später genügend
junge Leute zur Bemannung ihrer Schiffe disponibel haben. Mir kommt dies
ähnlich so vor, als wenn ein Großgrundbesitzer seinen Wald abgeholzt und
versilbert hätte und nun zu milden Beiträgen behufs Wiederaufforstuug auf¬
fordert. Je mehr Leute den Reedern zur Bemannung ihrer Schiffe zur Ver¬
fügung stehn, desto billiger sind sie zu haben, ör^o —.

Von der Sozialdemokratie ist die Deckmannschaft noch wenig infiziert.
Genossenschaften können sie nicht bilden, weil sie immer über die ganze Welt
zerstreut sind. Der Seemannsverband in Hamburg enthält nur einen Bruch¬
teil unsrer Seeleute, Streiks können sie deshalb nicht in Szene setzen, und
wo dies versucht worden ist, sind sie klüglich gescheitert.


2. Die Offiziere
a) Die Segelschiffsoffiziere

Vor fünfzig Jahren war der Untersteuermann die erste und der Ober-
steuermann die zweite und letzte Stufe zu der des Kapitäns, die fast jeder
intelligente und ordentliche junge Mann erreichte. Als Kapitän verdiente er
so viel, daß er, wenn er sparsam war, eine Familie anständig unterhalten und
für sein Alter oder für den Fall seines nicht zu frühen Todes einen Not¬
groschen für seine Angehörigen zurücklegen konnte. Das hat sich in der
Zwischenzeit gewaltig geändert. Die Zahl der Segelschiffe, große sowohl wie
"eme, hat stark abgenommen, denn für verloren gegangne oder ausrangierte


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[0357] Über die Bemannung der deutschen Kauffahrteischiffe dies? Die jederzeit oder die gewöhnlich vorkommenden Arbeiten führt der heutige Matrose gerade so gut aus wie sein Vorgänger vor fünfzig Jahren, Seit der Aufhebung des Schiffsjungenzwangs ist in Neederkreisen das Bewußtsein geschwunden, daß sie selbst die Pflicht haben, für Nachwuchs zu sorgen. Man hat sich nicht darum gesorgt, der Reichskriegsmarine die ge¬ nügende Zahl der Rekruten zuzuführen, die sich auf schwankendem Schiffe gerade so wohl befindet wie auf festem Lande, und man ruft doch nach Schutz durch mehr Kriegsschiffe, die ihre Bemannung natürlich von den Kauffahrtei¬ schiffen beziehen sollten. Die kleine Schiffahrt kann nicht mehr genügend junge Leute abgeben, und man steht vor dem Schreckgespenst der Leutenot, gerade wie die Gutsbesitzer. Damit ist mau endlich aus der Lethargie aufgerüttelt. Der Weckruf unsers Kaisers hat im Binnenland und an der Küste das Inter¬ esse an der Kriegsmarine und damit an der Handelsschiffahrt wachgerufen, aber woher die Benennung nehmen! Nun ist der Ruf nach Schulschiffen laut ge¬ worden, die dem Mangel an Schiffsmannschaft abhelfen sollen. Viele Worte sind darüber geredet, geschrieben und gedruckt, Vereine gegründet, ja hohe und höchste Herren zu Protektoren gewählt worden, um die Sache in Fluß zu bringen, aber von einer Pflicht der Reedereien, selbst für den Nachwuchs der Bemannung ihrer Schiffe zu sorgen, hat niemand gesprochen. Sie finden es ganz in der Ordnung, daß Beiträge zu den Schulschiffsfonds gesammelt werden und steuern auch selbst eine Kleinigkeit dazu bei, damit sie später genügend junge Leute zur Bemannung ihrer Schiffe disponibel haben. Mir kommt dies ähnlich so vor, als wenn ein Großgrundbesitzer seinen Wald abgeholzt und versilbert hätte und nun zu milden Beiträgen behufs Wiederaufforstuug auf¬ fordert. Je mehr Leute den Reedern zur Bemannung ihrer Schiffe zur Ver¬ fügung stehn, desto billiger sind sie zu haben, ör^o —. Von der Sozialdemokratie ist die Deckmannschaft noch wenig infiziert. Genossenschaften können sie nicht bilden, weil sie immer über die ganze Welt zerstreut sind. Der Seemannsverband in Hamburg enthält nur einen Bruch¬ teil unsrer Seeleute, Streiks können sie deshalb nicht in Szene setzen, und wo dies versucht worden ist, sind sie klüglich gescheitert. 2. Die Offiziere a) Die Segelschiffsoffiziere Vor fünfzig Jahren war der Untersteuermann die erste und der Ober- steuermann die zweite und letzte Stufe zu der des Kapitäns, die fast jeder intelligente und ordentliche junge Mann erreichte. Als Kapitän verdiente er so viel, daß er, wenn er sparsam war, eine Familie anständig unterhalten und für sein Alter oder für den Fall seines nicht zu frühen Todes einen Not¬ groschen für seine Angehörigen zurücklegen konnte. Das hat sich in der Zwischenzeit gewaltig geändert. Die Zahl der Segelschiffe, große sowohl wie "eme, hat stark abgenommen, denn für verloren gegangne oder ausrangierte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/357>, abgerufen am 23.06.2024.