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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Bücher über Ibsen

iemlich unbekannt mit der schönen Litteratur der letzten fünfzig
Jahre und ganz unbekannt mit dem Theater habe ich Ibsens
Dramen nur darum gelesen und besprochen, weil darin nach
vieler Meinung eine neue Weltanschauung und eine neue Moral
verkündigt werden soll. Von Schriften über Ibsen kannte ich
nichts. Nachdem meine Aufsatze schon gedruckt waren, wurden mir zwei Bücher
zugeschickt: Henrik Ibsens Dramen. Zwanzig Vorlesungen, gehalten an
der Universität Wien von Dr. Emil Reich, dritte, vermehrte Auflage (Dresden
und Leipzig, E. Pierson, 1900), und Henrik Ibsen von Roman Wverner.
In zwei Bänden. Erster Band 1828 bis 1873 (München, C. H. Beck. 190V).
Das erste der beiden Werke will es nur mit den Werken zu thun haben und
zieht die Person des Verfassers nnr zur Erklärung heran, das zweite ist Bio¬
graphie, sein vorliegender erster Band reicht bis Kaiser und Galiläer ein¬
schließlich und behandelt auch die Gedichte (in seinein spätern Leben hat Ibsen
keine Verse mehr geschrieben). Da beide Bücher meiner Ansicht nach gut sind,
will ich teils zur Ergänzung, teils zur Berichtigung, teils zur Bestätigung
meiner Darstellung einiges daraus mitteilen.

Es versteht sich, daß die dicken Bücher zweier Litteraturprofessoreu mehr
und gründlicheres über den Gegenstand zu sagen vermögen als einer, der, für
gewöhnlich mit andern Dingen beschäftigt, nur einen Blick darauf geworfen
hat. Zunächst wird die Verbitterung des Mannes durch seine Lebensschicksale
begreiflich gemacht. Sein Vater war wohlhabend, lebenslustig und gastfrei,
brannte, als der Knabe acht Jahre alt war, und die Familie sah sich nicht
allein zu harten Entbehrungen verurteilt, sondern bekam auch die veränderte
Schätzung der "Gesellschaft"' zu kosten. "Damals senkte sich jene verbitterte,
"se geradezu menschenfeindliche Stimmung in sein Herz, die ihm heitern, un¬
bekümmerten Lebensgenuß verwehrte, ihn vielmehr rauhe, steile Bahnen nach
aufwärts wandeln ließ, fern von den Menschen, ihr Leben und Treiben oft
uur als Fremdling ans der Ferne nach dem malerischen Effekt hin beur¬
teilend" (N.). Wie kümmerlich er sich in der Jugend durchschlagen mußte, liest
mau bei Woeruer. Vou Neujahr 1851 um gab Ibsen mit einigen Freunden
zusammen ein Wochenblatt, "Andhrimner," heraus. Weder sein Auteck an
dessen Ertrag noch das Honorar für sein zweites Drama, Das Hünengrab,
hatte für seinen Lebensunterhalt hingereicht, "wenn nicht Schulerud, der Ver¬
leger des Catilina, sein geringes Monatsgeld getreulich mit ihm geteilt


Grenzlwten IV 1900


Bücher über Ibsen

iemlich unbekannt mit der schönen Litteratur der letzten fünfzig
Jahre und ganz unbekannt mit dem Theater habe ich Ibsens
Dramen nur darum gelesen und besprochen, weil darin nach
vieler Meinung eine neue Weltanschauung und eine neue Moral
verkündigt werden soll. Von Schriften über Ibsen kannte ich
nichts. Nachdem meine Aufsatze schon gedruckt waren, wurden mir zwei Bücher
zugeschickt: Henrik Ibsens Dramen. Zwanzig Vorlesungen, gehalten an
der Universität Wien von Dr. Emil Reich, dritte, vermehrte Auflage (Dresden
und Leipzig, E. Pierson, 1900), und Henrik Ibsen von Roman Wverner.
In zwei Bänden. Erster Band 1828 bis 1873 (München, C. H. Beck. 190V).
Das erste der beiden Werke will es nur mit den Werken zu thun haben und
zieht die Person des Verfassers nnr zur Erklärung heran, das zweite ist Bio¬
graphie, sein vorliegender erster Band reicht bis Kaiser und Galiläer ein¬
schließlich und behandelt auch die Gedichte (in seinein spätern Leben hat Ibsen
keine Verse mehr geschrieben). Da beide Bücher meiner Ansicht nach gut sind,
will ich teils zur Ergänzung, teils zur Berichtigung, teils zur Bestätigung
meiner Darstellung einiges daraus mitteilen.

Es versteht sich, daß die dicken Bücher zweier Litteraturprofessoreu mehr
und gründlicheres über den Gegenstand zu sagen vermögen als einer, der, für
gewöhnlich mit andern Dingen beschäftigt, nur einen Blick darauf geworfen
hat. Zunächst wird die Verbitterung des Mannes durch seine Lebensschicksale
begreiflich gemacht. Sein Vater war wohlhabend, lebenslustig und gastfrei,
brannte, als der Knabe acht Jahre alt war, und die Familie sah sich nicht
allein zu harten Entbehrungen verurteilt, sondern bekam auch die veränderte
Schätzung der „Gesellschaft"' zu kosten. „Damals senkte sich jene verbitterte,
»se geradezu menschenfeindliche Stimmung in sein Herz, die ihm heitern, un¬
bekümmerten Lebensgenuß verwehrte, ihn vielmehr rauhe, steile Bahnen nach
aufwärts wandeln ließ, fern von den Menschen, ihr Leben und Treiben oft
uur als Fremdling ans der Ferne nach dem malerischen Effekt hin beur¬
teilend" (N.). Wie kümmerlich er sich in der Jugend durchschlagen mußte, liest
mau bei Woeruer. Vou Neujahr 1851 um gab Ibsen mit einigen Freunden
zusammen ein Wochenblatt, „Andhrimner," heraus. Weder sein Auteck an
dessen Ertrag noch das Honorar für sein zweites Drama, Das Hünengrab,
hatte für seinen Lebensunterhalt hingereicht, „wenn nicht Schulerud, der Ver¬
leger des Catilina, sein geringes Monatsgeld getreulich mit ihm geteilt


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[0243] [Abbildung] Bücher über Ibsen iemlich unbekannt mit der schönen Litteratur der letzten fünfzig Jahre und ganz unbekannt mit dem Theater habe ich Ibsens Dramen nur darum gelesen und besprochen, weil darin nach vieler Meinung eine neue Weltanschauung und eine neue Moral verkündigt werden soll. Von Schriften über Ibsen kannte ich nichts. Nachdem meine Aufsatze schon gedruckt waren, wurden mir zwei Bücher zugeschickt: Henrik Ibsens Dramen. Zwanzig Vorlesungen, gehalten an der Universität Wien von Dr. Emil Reich, dritte, vermehrte Auflage (Dresden und Leipzig, E. Pierson, 1900), und Henrik Ibsen von Roman Wverner. In zwei Bänden. Erster Band 1828 bis 1873 (München, C. H. Beck. 190V). Das erste der beiden Werke will es nur mit den Werken zu thun haben und zieht die Person des Verfassers nnr zur Erklärung heran, das zweite ist Bio¬ graphie, sein vorliegender erster Band reicht bis Kaiser und Galiläer ein¬ schließlich und behandelt auch die Gedichte (in seinein spätern Leben hat Ibsen keine Verse mehr geschrieben). Da beide Bücher meiner Ansicht nach gut sind, will ich teils zur Ergänzung, teils zur Berichtigung, teils zur Bestätigung meiner Darstellung einiges daraus mitteilen. Es versteht sich, daß die dicken Bücher zweier Litteraturprofessoreu mehr und gründlicheres über den Gegenstand zu sagen vermögen als einer, der, für gewöhnlich mit andern Dingen beschäftigt, nur einen Blick darauf geworfen hat. Zunächst wird die Verbitterung des Mannes durch seine Lebensschicksale begreiflich gemacht. Sein Vater war wohlhabend, lebenslustig und gastfrei, brannte, als der Knabe acht Jahre alt war, und die Familie sah sich nicht allein zu harten Entbehrungen verurteilt, sondern bekam auch die veränderte Schätzung der „Gesellschaft"' zu kosten. „Damals senkte sich jene verbitterte, »se geradezu menschenfeindliche Stimmung in sein Herz, die ihm heitern, un¬ bekümmerten Lebensgenuß verwehrte, ihn vielmehr rauhe, steile Bahnen nach aufwärts wandeln ließ, fern von den Menschen, ihr Leben und Treiben oft uur als Fremdling ans der Ferne nach dem malerischen Effekt hin beur¬ teilend" (N.). Wie kümmerlich er sich in der Jugend durchschlagen mußte, liest mau bei Woeruer. Vou Neujahr 1851 um gab Ibsen mit einigen Freunden zusammen ein Wochenblatt, „Andhrimner," heraus. Weder sein Auteck an dessen Ertrag noch das Honorar für sein zweites Drama, Das Hünengrab, hatte für seinen Lebensunterhalt hingereicht, „wenn nicht Schulerud, der Ver¬ leger des Catilina, sein geringes Monatsgeld getreulich mit ihm geteilt Grenzlwten IV 1900

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/243>, abgerufen am 23.06.2024.