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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Bessere Erzählungen

baulichen Kirchenstil zu ihnen zu reden, sondern anch offen und natürlich
ihnen dus mitzuteilen, was von den Resultaten moderner Wissenschaft und
Bibelforschung jedem Gebildeten zu Nüssen Pflicht ist. Bei dem Theologen
pflegt sich gewöhnlich langsam Stück für Stück ein Punkt der Überlieferung
nach dein andern loszureißen. Anders bei dem Laien. Ihm ist ja vorgeredet
worden: An dein unfehlbaren Bibclbnch oder der unfehlbaren Kirche oder der
unfehlbaren Kanzelrede hängt die ganze kirchliche Lehre. Sobald nnn irgend
eine Einzelheit erschüttert, z. B. die Unmöglichkeit irgend eines biblischen
Wunders begriffen ist, pflegt der Laie der Kirche und Geistlichkeit, oft auch
der Religion überhaupt den Rücken zu kehren. Es gilt meist die Alternative:
Entweder ist die Bibel unfehlbar, übernatürlich offenbart, oder sie enthält
Priesterbetrug, ist erdichtet und erlogen. Unser Volk steht noch ans dem
Standpunkte der Kinder, die nur einen Unterschied kennen: Es giebt gute und
es giebt böse Mensche"z sie fragen: Ist die Geschichte auch wahr? und wenn
sie dies nicht ist, so ist sie erlogen. Mögen nun die Vorurteile der Vergangen¬
heit noch so lastend auf die Uuterrichtstradition unsrer Volksschulen und höhern
Schulen drücken, es ist uicht allzu schwer, den Kindern der Volksschule ein
gesundes Verständnis der Bibel beizubringen.^) Freilich müßte dann der
gegenwärtige Zustand aufhören, daß unsre liberalen, meist ans den kirchlichen
Dogmenzwnug scheltenden Volksschullehrer selber orthodox unterrichte". Sie
haben es jn auf ihren Seiuiuaren uicht anders gehabt. Dort werden die
Seminaristen auf einen populär und pädagogisch zurecht gemachte" Extrakt
orthodoxer Theologie hin abgerichtet, während die fleißigem und strebsamen
unter ihnen aus Büchern wie dem natürlich verbotnen aber darum um so
fleißiger gelesenen Büchner, Kraft und Stoff, moderne Bildung zu schöpfen
suche".

(Schluß folgt)




Bessere Erzählungen

! in Verlag von Zwißler in Wolfenbüttel, der schon manches gute,
ernste Buch auf den Markt gebracht hat, ist vor einem Jahre
herausgekommen: "Ein eigenartiges Leben im Dienste des Herrn,"
Ivon Elisabeth Stuart-Phclps, aus dem Amerikanischen von
!W. Euchler, Pastor, das allerdings recht "eigenartig" ist. Echt
amerikanisch zunächst in Äußerlichkeiten des Lebens, des Kirchentums und der
Frömmigkeit, sodaß man sich bisweilen an den Kopf faßt und denkt: Giebts



") Vgl. Wimmcr, Die biblischen Wundergeschichten. Freiburg i. V. I Mark.
Bessere Erzählungen

baulichen Kirchenstil zu ihnen zu reden, sondern anch offen und natürlich
ihnen dus mitzuteilen, was von den Resultaten moderner Wissenschaft und
Bibelforschung jedem Gebildeten zu Nüssen Pflicht ist. Bei dem Theologen
pflegt sich gewöhnlich langsam Stück für Stück ein Punkt der Überlieferung
nach dein andern loszureißen. Anders bei dem Laien. Ihm ist ja vorgeredet
worden: An dein unfehlbaren Bibclbnch oder der unfehlbaren Kirche oder der
unfehlbaren Kanzelrede hängt die ganze kirchliche Lehre. Sobald nnn irgend
eine Einzelheit erschüttert, z. B. die Unmöglichkeit irgend eines biblischen
Wunders begriffen ist, pflegt der Laie der Kirche und Geistlichkeit, oft auch
der Religion überhaupt den Rücken zu kehren. Es gilt meist die Alternative:
Entweder ist die Bibel unfehlbar, übernatürlich offenbart, oder sie enthält
Priesterbetrug, ist erdichtet und erlogen. Unser Volk steht noch ans dem
Standpunkte der Kinder, die nur einen Unterschied kennen: Es giebt gute und
es giebt böse Mensche»z sie fragen: Ist die Geschichte auch wahr? und wenn
sie dies nicht ist, so ist sie erlogen. Mögen nun die Vorurteile der Vergangen¬
heit noch so lastend auf die Uuterrichtstradition unsrer Volksschulen und höhern
Schulen drücken, es ist uicht allzu schwer, den Kindern der Volksschule ein
gesundes Verständnis der Bibel beizubringen.^) Freilich müßte dann der
gegenwärtige Zustand aufhören, daß unsre liberalen, meist ans den kirchlichen
Dogmenzwnug scheltenden Volksschullehrer selber orthodox unterrichte«. Sie
haben es jn auf ihren Seiuiuaren uicht anders gehabt. Dort werden die
Seminaristen auf einen populär und pädagogisch zurecht gemachte» Extrakt
orthodoxer Theologie hin abgerichtet, während die fleißigem und strebsamen
unter ihnen aus Büchern wie dem natürlich verbotnen aber darum um so
fleißiger gelesenen Büchner, Kraft und Stoff, moderne Bildung zu schöpfen
suche».

(Schluß folgt)




Bessere Erzählungen

! in Verlag von Zwißler in Wolfenbüttel, der schon manches gute,
ernste Buch auf den Markt gebracht hat, ist vor einem Jahre
herausgekommen: „Ein eigenartiges Leben im Dienste des Herrn,"
Ivon Elisabeth Stuart-Phclps, aus dem Amerikanischen von
!W. Euchler, Pastor, das allerdings recht „eigenartig" ist. Echt
amerikanisch zunächst in Äußerlichkeiten des Lebens, des Kirchentums und der
Frömmigkeit, sodaß man sich bisweilen an den Kopf faßt und denkt: Giebts



") Vgl. Wimmcr, Die biblischen Wundergeschichten. Freiburg i. V. I Mark.
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[0198] Bessere Erzählungen baulichen Kirchenstil zu ihnen zu reden, sondern anch offen und natürlich ihnen dus mitzuteilen, was von den Resultaten moderner Wissenschaft und Bibelforschung jedem Gebildeten zu Nüssen Pflicht ist. Bei dem Theologen pflegt sich gewöhnlich langsam Stück für Stück ein Punkt der Überlieferung nach dein andern loszureißen. Anders bei dem Laien. Ihm ist ja vorgeredet worden: An dein unfehlbaren Bibclbnch oder der unfehlbaren Kirche oder der unfehlbaren Kanzelrede hängt die ganze kirchliche Lehre. Sobald nnn irgend eine Einzelheit erschüttert, z. B. die Unmöglichkeit irgend eines biblischen Wunders begriffen ist, pflegt der Laie der Kirche und Geistlichkeit, oft auch der Religion überhaupt den Rücken zu kehren. Es gilt meist die Alternative: Entweder ist die Bibel unfehlbar, übernatürlich offenbart, oder sie enthält Priesterbetrug, ist erdichtet und erlogen. Unser Volk steht noch ans dem Standpunkte der Kinder, die nur einen Unterschied kennen: Es giebt gute und es giebt böse Mensche»z sie fragen: Ist die Geschichte auch wahr? und wenn sie dies nicht ist, so ist sie erlogen. Mögen nun die Vorurteile der Vergangen¬ heit noch so lastend auf die Uuterrichtstradition unsrer Volksschulen und höhern Schulen drücken, es ist uicht allzu schwer, den Kindern der Volksschule ein gesundes Verständnis der Bibel beizubringen.^) Freilich müßte dann der gegenwärtige Zustand aufhören, daß unsre liberalen, meist ans den kirchlichen Dogmenzwnug scheltenden Volksschullehrer selber orthodox unterrichte«. Sie haben es jn auf ihren Seiuiuaren uicht anders gehabt. Dort werden die Seminaristen auf einen populär und pädagogisch zurecht gemachte» Extrakt orthodoxer Theologie hin abgerichtet, während die fleißigem und strebsamen unter ihnen aus Büchern wie dem natürlich verbotnen aber darum um so fleißiger gelesenen Büchner, Kraft und Stoff, moderne Bildung zu schöpfen suche». (Schluß folgt) Bessere Erzählungen ! in Verlag von Zwißler in Wolfenbüttel, der schon manches gute, ernste Buch auf den Markt gebracht hat, ist vor einem Jahre herausgekommen: „Ein eigenartiges Leben im Dienste des Herrn," Ivon Elisabeth Stuart-Phclps, aus dem Amerikanischen von !W. Euchler, Pastor, das allerdings recht „eigenartig" ist. Echt amerikanisch zunächst in Äußerlichkeiten des Lebens, des Kirchentums und der Frömmigkeit, sodaß man sich bisweilen an den Kopf faßt und denkt: Giebts ") Vgl. Wimmcr, Die biblischen Wundergeschichten. Freiburg i. V. I Mark.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/198>, abgerufen am 23.06.2024.