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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Zur Frauenfrage

Aufgabe gelungen ist, kehrt eine deutsche, von Prestigebedürfnis und Herrsch¬
sucht freie Politik, wenn sie gewissenhaft ist, zu der Aufgabe zurück, die innere
Entwicklung des Landes vor Störungen zu behüten, einer Aufgabe, bei der
wenig positive und spezielle Unternehmungen vorkommen werden, sondern nur
solche, bei denen es sich in der Hauptsache um die Fortführung der nationalen
Entwicklung handelt."

Der letzte Satz möge die Leute belehren, die es unsrer jetzigen Regierung
zum Vorwurf machen, daß sie nicht auf so glänzende Thaten hinweisen könne,
wie sie die Neugründung des Reiches war. Daß unsre Negierung aber die
nationale Entwicklung nach der einzig möglichen Seite -- der Seeseite -- fort¬
geführt hat, lehrt die Geschichte. Wenn Fürst Bismarck dann in jener Mit¬
teilung fortfährt: "Eine deutsche Regierung wird in ihren Entschließungen
uicht die Aufgabe haben, auswärtige Unternehmungen zu fördern,
sondern den innern und äußern Frieden vor Störungen zu bewahren," so ver¬
bietet er in diesen Worten etwas, was er selbst -- wenn auch unbewußt, wie
der erste dieser Artikel darzulegen versucht hat -- ins Rollen gebracht hat,
und das nun unter dem Druck der Weltwirtschaft, der neuen Zeit, immer
weitere Kreise zieht, die Weltpolitik. Der Fürst schloß mit den Worten:
"Wenn es einer Regierung unter bewegten Verhältnissen gelingt, ohne Schaden
für ihr Land zu regieren, so kann man nach menschlicher UnVollkommenheit
und nach germanischer Eigentümlichkeit schon zufrieden sein. Das Regieren ist
immer ein Gang auf gespanntem Seile in großer Höhe, und dabei nicht zu
fallen schon eine Leistung, die nicht in jedermanns Fähigkeit liegt."

Diese ruhige Betrachtung über die Aufgaben einer spezifisch deutschen Real¬
politik mögen sich unsre Chauvinisten, die sich ja als die Erben Vismarckischer
Staatskunst betrachten, zu Herzen nehmen, aber ihnen gegenüber gilt das Wort
von Thiers: 1^6 x^s est sags, Iss xartis us Is sont xg,s.




Zur Frauenfrage
"Fortsetzung)

s ist charakteristisch für das neunzehnte Jahrhundert, daß seine
gewaltige Kulturarbeit nicht sowohl mit fertigen, sichern Ergeb¬
nissen als mit Fragen abschließt. Das neue Jahrhundert wird
diese ungelösten Fragen und mit ihnen auch die Frauenfrage
einer praktischen Lösung entgegenzuführen haben. In erster
Reihe aber steht dabei die Lage der Frauen und Mädchen der höhern und
mittlern Gesellschaftsklassen, die angesichts des großen, sozialen und wirtschaft¬
lichen Umbildungsprozesscs, in dem wir zur Zeit stehn, nach erweiterten Wegen


Zur Frauenfrage

Aufgabe gelungen ist, kehrt eine deutsche, von Prestigebedürfnis und Herrsch¬
sucht freie Politik, wenn sie gewissenhaft ist, zu der Aufgabe zurück, die innere
Entwicklung des Landes vor Störungen zu behüten, einer Aufgabe, bei der
wenig positive und spezielle Unternehmungen vorkommen werden, sondern nur
solche, bei denen es sich in der Hauptsache um die Fortführung der nationalen
Entwicklung handelt."

Der letzte Satz möge die Leute belehren, die es unsrer jetzigen Regierung
zum Vorwurf machen, daß sie nicht auf so glänzende Thaten hinweisen könne,
wie sie die Neugründung des Reiches war. Daß unsre Negierung aber die
nationale Entwicklung nach der einzig möglichen Seite — der Seeseite — fort¬
geführt hat, lehrt die Geschichte. Wenn Fürst Bismarck dann in jener Mit¬
teilung fortfährt: „Eine deutsche Regierung wird in ihren Entschließungen
uicht die Aufgabe haben, auswärtige Unternehmungen zu fördern,
sondern den innern und äußern Frieden vor Störungen zu bewahren," so ver¬
bietet er in diesen Worten etwas, was er selbst — wenn auch unbewußt, wie
der erste dieser Artikel darzulegen versucht hat — ins Rollen gebracht hat,
und das nun unter dem Druck der Weltwirtschaft, der neuen Zeit, immer
weitere Kreise zieht, die Weltpolitik. Der Fürst schloß mit den Worten:
„Wenn es einer Regierung unter bewegten Verhältnissen gelingt, ohne Schaden
für ihr Land zu regieren, so kann man nach menschlicher UnVollkommenheit
und nach germanischer Eigentümlichkeit schon zufrieden sein. Das Regieren ist
immer ein Gang auf gespanntem Seile in großer Höhe, und dabei nicht zu
fallen schon eine Leistung, die nicht in jedermanns Fähigkeit liegt."

Diese ruhige Betrachtung über die Aufgaben einer spezifisch deutschen Real¬
politik mögen sich unsre Chauvinisten, die sich ja als die Erben Vismarckischer
Staatskunst betrachten, zu Herzen nehmen, aber ihnen gegenüber gilt das Wort
von Thiers: 1^6 x^s est sags, Iss xartis us Is sont xg,s.




Zur Frauenfrage
«Fortsetzung)

s ist charakteristisch für das neunzehnte Jahrhundert, daß seine
gewaltige Kulturarbeit nicht sowohl mit fertigen, sichern Ergeb¬
nissen als mit Fragen abschließt. Das neue Jahrhundert wird
diese ungelösten Fragen und mit ihnen auch die Frauenfrage
einer praktischen Lösung entgegenzuführen haben. In erster
Reihe aber steht dabei die Lage der Frauen und Mädchen der höhern und
mittlern Gesellschaftsklassen, die angesichts des großen, sozialen und wirtschaft¬
lichen Umbildungsprozesscs, in dem wir zur Zeit stehn, nach erweiterten Wegen


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[0074] Zur Frauenfrage Aufgabe gelungen ist, kehrt eine deutsche, von Prestigebedürfnis und Herrsch¬ sucht freie Politik, wenn sie gewissenhaft ist, zu der Aufgabe zurück, die innere Entwicklung des Landes vor Störungen zu behüten, einer Aufgabe, bei der wenig positive und spezielle Unternehmungen vorkommen werden, sondern nur solche, bei denen es sich in der Hauptsache um die Fortführung der nationalen Entwicklung handelt." Der letzte Satz möge die Leute belehren, die es unsrer jetzigen Regierung zum Vorwurf machen, daß sie nicht auf so glänzende Thaten hinweisen könne, wie sie die Neugründung des Reiches war. Daß unsre Negierung aber die nationale Entwicklung nach der einzig möglichen Seite — der Seeseite — fort¬ geführt hat, lehrt die Geschichte. Wenn Fürst Bismarck dann in jener Mit¬ teilung fortfährt: „Eine deutsche Regierung wird in ihren Entschließungen uicht die Aufgabe haben, auswärtige Unternehmungen zu fördern, sondern den innern und äußern Frieden vor Störungen zu bewahren," so ver¬ bietet er in diesen Worten etwas, was er selbst — wenn auch unbewußt, wie der erste dieser Artikel darzulegen versucht hat — ins Rollen gebracht hat, und das nun unter dem Druck der Weltwirtschaft, der neuen Zeit, immer weitere Kreise zieht, die Weltpolitik. Der Fürst schloß mit den Worten: „Wenn es einer Regierung unter bewegten Verhältnissen gelingt, ohne Schaden für ihr Land zu regieren, so kann man nach menschlicher UnVollkommenheit und nach germanischer Eigentümlichkeit schon zufrieden sein. Das Regieren ist immer ein Gang auf gespanntem Seile in großer Höhe, und dabei nicht zu fallen schon eine Leistung, die nicht in jedermanns Fähigkeit liegt." Diese ruhige Betrachtung über die Aufgaben einer spezifisch deutschen Real¬ politik mögen sich unsre Chauvinisten, die sich ja als die Erben Vismarckischer Staatskunst betrachten, zu Herzen nehmen, aber ihnen gegenüber gilt das Wort von Thiers: 1^6 x^s est sags, Iss xartis us Is sont xg,s. Zur Frauenfrage «Fortsetzung) s ist charakteristisch für das neunzehnte Jahrhundert, daß seine gewaltige Kulturarbeit nicht sowohl mit fertigen, sichern Ergeb¬ nissen als mit Fragen abschließt. Das neue Jahrhundert wird diese ungelösten Fragen und mit ihnen auch die Frauenfrage einer praktischen Lösung entgegenzuführen haben. In erster Reihe aber steht dabei die Lage der Frauen und Mädchen der höhern und mittlern Gesellschaftsklassen, die angesichts des großen, sozialen und wirtschaft¬ lichen Umbildungsprozesscs, in dem wir zur Zeit stehn, nach erweiterten Wegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/74>, abgerufen am 29.06.2024.