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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Am Lüde der Welt
Adolf sah mittheiln er Lin Märchen von

- ^ o man nach dem Seiterich hinuntergehe, und man links oben auf der
Höhe den Bürgerwald zur Seite sieht, läßt man den großen Nuß-
bciuiu zur rechte" Hand und geht auf die Waldspitze zu, immer ge¬
radeaus. So kommt man sachte den Berg hinauf. Wer steh"
bleiben muß, um Atem zu schöpfen, möge sich ja umdrehn. Der
Blick ist gar schon. Fern im Thale sieht man die Ziegelhütte von
Wetbachhausen; geht man ein paar Schritte weiter hinauf, so sieht man auch die
Kirchturmspitze hinter dem Waldeck hervorlngen. Wenn man ganz oben ist, kann
man den Wald um seinein Zipfel packen, das ist ein Haselbusch. Um den muß mau
herum. Dann sieht man einen Schlupf, der zwischen dem Bucheujuugholz in den
Wald hineinführt. So kommt man in den Noten Reisig. Nicht weit davon ist
das Ende der Welt.

Mitten im Roten Reisig steht eine Turme und schaut über alle andern Bänme
hinaus, denn sie steht auf einem Hügelchen. Ihre Wurzeln sind durch das Hügelchen
so akkurat und vernünftig gewachsen, wie wenn der Zimmermann ein Dach auf¬
schlägt. Dort drinnen wohnte seit unvordenklichen Zeiten der Wnrzelmann.

Warm wurf in seinem Hänschen, aber stockfinster. Darum wollte auch das
Nixlein, um das der Wurzelmann freite, lieber hübsch oben bleiben, über den
Wurzeln.

Nämlich just am Fuße des Hügelchens, woraus die Temme wächst, gegen
Seusenbach zu, ist einmal in einer schönen Mondnacht ein flinkes Nixlein ans
seinem El geschlüpft, gleich fix nud fertig, mit silbernen Pantöffelchen an den
Füßen.

Wie die Hasen so liegen auch die Nixen am liebsten da, wo sie geheckt worden
sind. Und so lagerte denn auch unser Nixlcin an manchem heißen Sommertag,
wenn alles im Walde Mittagsruhe hielt, und in mancher langen Winternncht,
während die Sterne langsam über den Wipfel der Tanne hinzogen, auf einem
Wurzelknorren am Abhang des Hügclchens und streckte die silbernen Füßchen dahin,
wo im Erdreich noch ein Abdruck zu sehen war von dem El, woraus es ge¬
schlüpft war.

Wenn so das Nixlein dasaß und die Hände im Schoße gefaltet hatte und
an nichts weiter dachte als etwa, warum es eigentlich keine goldnen Schühlein
trüge, oder warum denn eigentlich die Schnecken keine Flügel hätten, lag der
Wnrzelmann in seinem Häuflein und schaute zu einem Guckloch hinaus, und ob¬
gleich nur wenig Licht hereinfiel, hielt er sich doch die Hand über die Augen, wie
wenn er geblendet wäre.

Wie es nun so geht, eines Tages mußte der Wurzelmann niesen. Da schaute
das Nixleiu her und sagte: Da hat wohl jemand den Schnupfen? Worauf der
Wnrzelmann erwiderte: Nein, aber die Sonne scheint mir so arg in die Nase.




Am Lüde der Welt
Adolf sah mittheiln er Lin Märchen von

- ^ o man nach dem Seiterich hinuntergehe, und man links oben auf der
Höhe den Bürgerwald zur Seite sieht, läßt man den großen Nuß-
bciuiu zur rechte» Hand und geht auf die Waldspitze zu, immer ge¬
radeaus. So kommt man sachte den Berg hinauf. Wer steh»
bleiben muß, um Atem zu schöpfen, möge sich ja umdrehn. Der
Blick ist gar schon. Fern im Thale sieht man die Ziegelhütte von
Wetbachhausen; geht man ein paar Schritte weiter hinauf, so sieht man auch die
Kirchturmspitze hinter dem Waldeck hervorlngen. Wenn man ganz oben ist, kann
man den Wald um seinein Zipfel packen, das ist ein Haselbusch. Um den muß mau
herum. Dann sieht man einen Schlupf, der zwischen dem Bucheujuugholz in den
Wald hineinführt. So kommt man in den Noten Reisig. Nicht weit davon ist
das Ende der Welt.

Mitten im Roten Reisig steht eine Turme und schaut über alle andern Bänme
hinaus, denn sie steht auf einem Hügelchen. Ihre Wurzeln sind durch das Hügelchen
so akkurat und vernünftig gewachsen, wie wenn der Zimmermann ein Dach auf¬
schlägt. Dort drinnen wohnte seit unvordenklichen Zeiten der Wnrzelmann.

Warm wurf in seinem Hänschen, aber stockfinster. Darum wollte auch das
Nixlein, um das der Wurzelmann freite, lieber hübsch oben bleiben, über den
Wurzeln.

Nämlich just am Fuße des Hügelchens, woraus die Temme wächst, gegen
Seusenbach zu, ist einmal in einer schönen Mondnacht ein flinkes Nixlein ans
seinem El geschlüpft, gleich fix nud fertig, mit silbernen Pantöffelchen an den
Füßen.

Wie die Hasen so liegen auch die Nixen am liebsten da, wo sie geheckt worden
sind. Und so lagerte denn auch unser Nixlcin an manchem heißen Sommertag,
wenn alles im Walde Mittagsruhe hielt, und in mancher langen Winternncht,
während die Sterne langsam über den Wipfel der Tanne hinzogen, auf einem
Wurzelknorren am Abhang des Hügclchens und streckte die silbernen Füßchen dahin,
wo im Erdreich noch ein Abdruck zu sehen war von dem El, woraus es ge¬
schlüpft war.

Wenn so das Nixlein dasaß und die Hände im Schoße gefaltet hatte und
an nichts weiter dachte als etwa, warum es eigentlich keine goldnen Schühlein
trüge, oder warum denn eigentlich die Schnecken keine Flügel hätten, lag der
Wnrzelmann in seinem Häuflein und schaute zu einem Guckloch hinaus, und ob¬
gleich nur wenig Licht hereinfiel, hielt er sich doch die Hand über die Augen, wie
wenn er geblendet wäre.

Wie es nun so geht, eines Tages mußte der Wurzelmann niesen. Da schaute
das Nixleiu her und sagte: Da hat wohl jemand den Schnupfen? Worauf der
Wnrzelmann erwiderte: Nein, aber die Sonne scheint mir so arg in die Nase.


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[0600] [Abbildung] Am Lüde der Welt Adolf sah mittheiln er Lin Märchen von - ^ o man nach dem Seiterich hinuntergehe, und man links oben auf der Höhe den Bürgerwald zur Seite sieht, läßt man den großen Nuß- bciuiu zur rechte» Hand und geht auf die Waldspitze zu, immer ge¬ radeaus. So kommt man sachte den Berg hinauf. Wer steh» bleiben muß, um Atem zu schöpfen, möge sich ja umdrehn. Der Blick ist gar schon. Fern im Thale sieht man die Ziegelhütte von Wetbachhausen; geht man ein paar Schritte weiter hinauf, so sieht man auch die Kirchturmspitze hinter dem Waldeck hervorlngen. Wenn man ganz oben ist, kann man den Wald um seinein Zipfel packen, das ist ein Haselbusch. Um den muß mau herum. Dann sieht man einen Schlupf, der zwischen dem Bucheujuugholz in den Wald hineinführt. So kommt man in den Noten Reisig. Nicht weit davon ist das Ende der Welt. Mitten im Roten Reisig steht eine Turme und schaut über alle andern Bänme hinaus, denn sie steht auf einem Hügelchen. Ihre Wurzeln sind durch das Hügelchen so akkurat und vernünftig gewachsen, wie wenn der Zimmermann ein Dach auf¬ schlägt. Dort drinnen wohnte seit unvordenklichen Zeiten der Wnrzelmann. Warm wurf in seinem Hänschen, aber stockfinster. Darum wollte auch das Nixlein, um das der Wurzelmann freite, lieber hübsch oben bleiben, über den Wurzeln. Nämlich just am Fuße des Hügelchens, woraus die Temme wächst, gegen Seusenbach zu, ist einmal in einer schönen Mondnacht ein flinkes Nixlein ans seinem El geschlüpft, gleich fix nud fertig, mit silbernen Pantöffelchen an den Füßen. Wie die Hasen so liegen auch die Nixen am liebsten da, wo sie geheckt worden sind. Und so lagerte denn auch unser Nixlcin an manchem heißen Sommertag, wenn alles im Walde Mittagsruhe hielt, und in mancher langen Winternncht, während die Sterne langsam über den Wipfel der Tanne hinzogen, auf einem Wurzelknorren am Abhang des Hügclchens und streckte die silbernen Füßchen dahin, wo im Erdreich noch ein Abdruck zu sehen war von dem El, woraus es ge¬ schlüpft war. Wenn so das Nixlein dasaß und die Hände im Schoße gefaltet hatte und an nichts weiter dachte als etwa, warum es eigentlich keine goldnen Schühlein trüge, oder warum denn eigentlich die Schnecken keine Flügel hätten, lag der Wnrzelmann in seinem Häuflein und schaute zu einem Guckloch hinaus, und ob¬ gleich nur wenig Licht hereinfiel, hielt er sich doch die Hand über die Augen, wie wenn er geblendet wäre. Wie es nun so geht, eines Tages mußte der Wurzelmann niesen. Da schaute das Nixleiu her und sagte: Da hat wohl jemand den Schnupfen? Worauf der Wnrzelmann erwiderte: Nein, aber die Sonne scheint mir so arg in die Nase.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/600>, abgerufen am 28.09.2024.