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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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LavaU'r in Dänemark

aber überhaupt alles Interessante: das Originelle, das scharf Charakteristische,
das Geniale, sogar das auffällig Schöne; die ausschließlich herrschende Nützlich¬
keit verbannt und verdrängt das Ästhetische (soweit dieses nicht dein Prunk,
der Eitelkeit, der Neichtnmsentfaltung dient) und entwöhnt uns der ästhetischen
Lebensbetrachtuug. Allerdings hat diese Strömung gerade im Kampfe gegen
das Komische bis jetzt am wenigsten Erfolg gehabt. Eben die Flucht vor
dem Komischen liefert am meisten Stoff zum Lachen, indem zwar jeder und
jede, um nicht absonderlich zu erscheinen, die Mode mitmacht, diese Mode selbst
aber sich in absonderlichen und lächerlichen Formen bewegt. Und wenn auch
die Originale aussterben, so bleiben uns doch die Narren, die persönlich ganz
gewöhnliche gar nicht originelle Menschen sind, sich aber dadurch hervorthun,
daß sie alten Unsinn immer wieder neu aufwärmen und ihn einzeln oder in
Vereinen betreiben. Die politische Satire endlich hat es zur Virtuosität in
der Kunst gebracht, auch die allerernstesten, nüchternsten, unauffälligsten Per¬
sonen und Begebenheiten lächerlich zu machen, und allwöchentlich geben unsre
Witzblätter die würdigsten und korrektesten Männer, die dem Ungeübten auch
zum kleinsten Gedicht keinen Stoff liefern würden, in possenhaften Verkleidungen
und Entkleidungen dem Spott des Publikums preis. Wenn aber fromme
Bolksvorumnder einmal Maßregeln treffen, dem losen Volke irgend ein un¬
heiliges Lachen abzugewöhnen, so machen sie sich damit selbst regelmäßig zum
erwünschten Stoff dafür und erzeugen endloses Gelächter. So würde denn
auch diese Seite der Sache einem Ästhetiker, der kein komischer Pedant wie
Überhörst wäre, allerlei dankbare Themata an die Hand geben, z. B.: Das
Komische im Kampf um sein Dasein. Wie hat sich der Jugenderzieher, wie
der Volkspädagog dem Komischen gegenüber zu verhalten? Ist das Komische,
und überhaupt das Ästhetische, wirklich in Gefahr, vom Nützlichen, Trivialen,
Maschinenmäßigen verschlungen zu werden, und wenn das geschieht, haben wir
es als einen Fortschritt oder als einen Rückschritt, als ein Glück oder als ein
Unglück anzusehen?




Lavater in Dänemark

icht für jedermann ist heutzutage noch Lavater eine sympathische
Persönlichkeit. Seine physiognomischen Versuche sind verfehlt,
sein krasser Wunderglaube und seine empfindsame Schwärmerei
kommen uns veraltet oder gar komisch vor, als Dichter hat er
wenig oder gar nichts zu bedeuten; und seine Eitelkeit hat schon
Schiller in dem bekannten Xenion gegeißelt. Gleichwohl überwiegt
das Hohe in seiner Natur, um bei dem Schillerschen Distichon zu bleiben, im
Grunde genommen sicherlich das Niedrige. Er meinte es doch mit seiner Frömmig¬
keit aufrichtig und war frei von groben Borurteilen, ja er wußte als Sohn der


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aber überhaupt alles Interessante: das Originelle, das scharf Charakteristische,
das Geniale, sogar das auffällig Schöne; die ausschließlich herrschende Nützlich¬
keit verbannt und verdrängt das Ästhetische (soweit dieses nicht dein Prunk,
der Eitelkeit, der Neichtnmsentfaltung dient) und entwöhnt uns der ästhetischen
Lebensbetrachtuug. Allerdings hat diese Strömung gerade im Kampfe gegen
das Komische bis jetzt am wenigsten Erfolg gehabt. Eben die Flucht vor
dem Komischen liefert am meisten Stoff zum Lachen, indem zwar jeder und
jede, um nicht absonderlich zu erscheinen, die Mode mitmacht, diese Mode selbst
aber sich in absonderlichen und lächerlichen Formen bewegt. Und wenn auch
die Originale aussterben, so bleiben uns doch die Narren, die persönlich ganz
gewöhnliche gar nicht originelle Menschen sind, sich aber dadurch hervorthun,
daß sie alten Unsinn immer wieder neu aufwärmen und ihn einzeln oder in
Vereinen betreiben. Die politische Satire endlich hat es zur Virtuosität in
der Kunst gebracht, auch die allerernstesten, nüchternsten, unauffälligsten Per¬
sonen und Begebenheiten lächerlich zu machen, und allwöchentlich geben unsre
Witzblätter die würdigsten und korrektesten Männer, die dem Ungeübten auch
zum kleinsten Gedicht keinen Stoff liefern würden, in possenhaften Verkleidungen
und Entkleidungen dem Spott des Publikums preis. Wenn aber fromme
Bolksvorumnder einmal Maßregeln treffen, dem losen Volke irgend ein un¬
heiliges Lachen abzugewöhnen, so machen sie sich damit selbst regelmäßig zum
erwünschten Stoff dafür und erzeugen endloses Gelächter. So würde denn
auch diese Seite der Sache einem Ästhetiker, der kein komischer Pedant wie
Überhörst wäre, allerlei dankbare Themata an die Hand geben, z. B.: Das
Komische im Kampf um sein Dasein. Wie hat sich der Jugenderzieher, wie
der Volkspädagog dem Komischen gegenüber zu verhalten? Ist das Komische,
und überhaupt das Ästhetische, wirklich in Gefahr, vom Nützlichen, Trivialen,
Maschinenmäßigen verschlungen zu werden, und wenn das geschieht, haben wir
es als einen Fortschritt oder als einen Rückschritt, als ein Glück oder als ein
Unglück anzusehen?




Lavater in Dänemark

icht für jedermann ist heutzutage noch Lavater eine sympathische
Persönlichkeit. Seine physiognomischen Versuche sind verfehlt,
sein krasser Wunderglaube und seine empfindsame Schwärmerei
kommen uns veraltet oder gar komisch vor, als Dichter hat er
wenig oder gar nichts zu bedeuten; und seine Eitelkeit hat schon
Schiller in dem bekannten Xenion gegeißelt. Gleichwohl überwiegt
das Hohe in seiner Natur, um bei dem Schillerschen Distichon zu bleiben, im
Grunde genommen sicherlich das Niedrige. Er meinte es doch mit seiner Frömmig¬
keit aufrichtig und war frei von groben Borurteilen, ja er wußte als Sohn der


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[0590] LavaU'r in Dänemark aber überhaupt alles Interessante: das Originelle, das scharf Charakteristische, das Geniale, sogar das auffällig Schöne; die ausschließlich herrschende Nützlich¬ keit verbannt und verdrängt das Ästhetische (soweit dieses nicht dein Prunk, der Eitelkeit, der Neichtnmsentfaltung dient) und entwöhnt uns der ästhetischen Lebensbetrachtuug. Allerdings hat diese Strömung gerade im Kampfe gegen das Komische bis jetzt am wenigsten Erfolg gehabt. Eben die Flucht vor dem Komischen liefert am meisten Stoff zum Lachen, indem zwar jeder und jede, um nicht absonderlich zu erscheinen, die Mode mitmacht, diese Mode selbst aber sich in absonderlichen und lächerlichen Formen bewegt. Und wenn auch die Originale aussterben, so bleiben uns doch die Narren, die persönlich ganz gewöhnliche gar nicht originelle Menschen sind, sich aber dadurch hervorthun, daß sie alten Unsinn immer wieder neu aufwärmen und ihn einzeln oder in Vereinen betreiben. Die politische Satire endlich hat es zur Virtuosität in der Kunst gebracht, auch die allerernstesten, nüchternsten, unauffälligsten Per¬ sonen und Begebenheiten lächerlich zu machen, und allwöchentlich geben unsre Witzblätter die würdigsten und korrektesten Männer, die dem Ungeübten auch zum kleinsten Gedicht keinen Stoff liefern würden, in possenhaften Verkleidungen und Entkleidungen dem Spott des Publikums preis. Wenn aber fromme Bolksvorumnder einmal Maßregeln treffen, dem losen Volke irgend ein un¬ heiliges Lachen abzugewöhnen, so machen sie sich damit selbst regelmäßig zum erwünschten Stoff dafür und erzeugen endloses Gelächter. So würde denn auch diese Seite der Sache einem Ästhetiker, der kein komischer Pedant wie Überhörst wäre, allerlei dankbare Themata an die Hand geben, z. B.: Das Komische im Kampf um sein Dasein. Wie hat sich der Jugenderzieher, wie der Volkspädagog dem Komischen gegenüber zu verhalten? Ist das Komische, und überhaupt das Ästhetische, wirklich in Gefahr, vom Nützlichen, Trivialen, Maschinenmäßigen verschlungen zu werden, und wenn das geschieht, haben wir es als einen Fortschritt oder als einen Rückschritt, als ein Glück oder als ein Unglück anzusehen? Lavater in Dänemark icht für jedermann ist heutzutage noch Lavater eine sympathische Persönlichkeit. Seine physiognomischen Versuche sind verfehlt, sein krasser Wunderglaube und seine empfindsame Schwärmerei kommen uns veraltet oder gar komisch vor, als Dichter hat er wenig oder gar nichts zu bedeuten; und seine Eitelkeit hat schon Schiller in dem bekannten Xenion gegeißelt. Gleichwohl überwiegt das Hohe in seiner Natur, um bei dem Schillerschen Distichon zu bleiben, im Grunde genommen sicherlich das Niedrige. Er meinte es doch mit seiner Frömmig¬ keit aufrichtig und war frei von groben Borurteilen, ja er wußte als Sohn der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/590>, abgerufen am 29.06.2024.