Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Großkapital und größtes Deutschland

Werden es ohne Zweifel über kurz oder lang von England losreißen;
sie sind noch weit gefährlicher durch ihre seit einigen Jahren begonnene über¬
seeische Expansionspolitik. Der Ausdehnung von Industrie und Handel
wird sicherlich der Ausbau einer starken Flotte folgen, besonders von dein
Augenblick an, wo etwa Kanada durch Anschlich an die Union aufhört, das
bequem liegende Werkzeug zu sein, durch das man die englische Bescheidenheit
jederzeit entflammen kann. Auch wird niemand in der Welt von England mit
so viel Respekt behandelt, als der breitspurige Vetter von drüben. Seit im
Jahre 1814 der Frieden von Gent in nachgebender Milde von England ge¬
schlossen wurde, ist es jedem Streit mit den Vereinigten Staate"? höflich aus¬
gewichen. Nur als man glaubte, sich der Hoffnung auf einen innern Zerfall
der Republik hingeben zu dürfen, als im Sezessionskriege eine Trennung
vou Nord und Süd möglich wurde, da wagte man, einen in England aus¬
gerüsteten Kaper gegen die amerikanische Handelsflotte loszulassen. Dem neu-
tralen England war es ganz recht, als die Alabama die amerikanische Handels¬
flotte um Hunderte vou Schiffen armer machte. Von den drei Weltmächten
des Herrn Dilke hat die amerikanische die größte Wahrscheinlichkeit einer glän¬
zenden Zukunft für sich. Am reinsten in ihrem staatlichen Prinzip gegründet,
das föderativ und demokratisch ist, ruht sie zugleich auf einer natürlichen kon¬
tinentalen Basis, wie kein andrer Staat sie hat. Mit der Energie und dem
Fleiß des angelsächsischen Geschäftsmannes verbindet der Nordamerikaner ein
hohes Selbstgefühl und unerschöpflichen Wagemut. Und zuletzt hat es vor
England den ungeheuern Vorsprung, ein geschlossenes, sich selbst genügendes
Wirtschaftsgebiet zu sein, das nie wie England in Gefahr geraten kann, durch
eine überlegne Flotte ausgehungert zu werden. Mit größerer Sicherheit und
mit größerer Kraft als irgend ein Reich der Welt wird Amerika imstande fein,
in den Kampf für seine Weltmnchtstellung zu treten, wenn diese ihm jemals von
E L. v. d. B. ngland oder auch vou Europa sollte bestritten werden.




Großkapital und größeres Deutschland

in Januar des vergmigueu Jahres erhob Adolf Wagner öffent¬
lich seine warnende Stimme gegen die wirtschaftspolitische Tendenz,
die der Besitznehmung Kiantschous zu Grunde lag, wegen der
"Steigerung der sozialen Gegensätze," die daraus folgen müßte.
Vor allein würden "bei solcher Ausweitung des Weltmarkts"
die Kreise profitieren, die die gegebnen Konjunkturen "im großen" auszunutzen
vermöchten: "kaufmännische und industrielle Grvßunternehinungen." Ihre
Kapitalmncht würde noch wachsen, "damit aber auch die Gefährdung großer
Existenzgruppen sich steigern." Einen ähnlichen Gedanken hatte Otterberg in


Großkapital und größtes Deutschland

Werden es ohne Zweifel über kurz oder lang von England losreißen;
sie sind noch weit gefährlicher durch ihre seit einigen Jahren begonnene über¬
seeische Expansionspolitik. Der Ausdehnung von Industrie und Handel
wird sicherlich der Ausbau einer starken Flotte folgen, besonders von dein
Augenblick an, wo etwa Kanada durch Anschlich an die Union aufhört, das
bequem liegende Werkzeug zu sein, durch das man die englische Bescheidenheit
jederzeit entflammen kann. Auch wird niemand in der Welt von England mit
so viel Respekt behandelt, als der breitspurige Vetter von drüben. Seit im
Jahre 1814 der Frieden von Gent in nachgebender Milde von England ge¬
schlossen wurde, ist es jedem Streit mit den Vereinigten Staate«? höflich aus¬
gewichen. Nur als man glaubte, sich der Hoffnung auf einen innern Zerfall
der Republik hingeben zu dürfen, als im Sezessionskriege eine Trennung
vou Nord und Süd möglich wurde, da wagte man, einen in England aus¬
gerüsteten Kaper gegen die amerikanische Handelsflotte loszulassen. Dem neu-
tralen England war es ganz recht, als die Alabama die amerikanische Handels¬
flotte um Hunderte vou Schiffen armer machte. Von den drei Weltmächten
des Herrn Dilke hat die amerikanische die größte Wahrscheinlichkeit einer glän¬
zenden Zukunft für sich. Am reinsten in ihrem staatlichen Prinzip gegründet,
das föderativ und demokratisch ist, ruht sie zugleich auf einer natürlichen kon¬
tinentalen Basis, wie kein andrer Staat sie hat. Mit der Energie und dem
Fleiß des angelsächsischen Geschäftsmannes verbindet der Nordamerikaner ein
hohes Selbstgefühl und unerschöpflichen Wagemut. Und zuletzt hat es vor
England den ungeheuern Vorsprung, ein geschlossenes, sich selbst genügendes
Wirtschaftsgebiet zu sein, das nie wie England in Gefahr geraten kann, durch
eine überlegne Flotte ausgehungert zu werden. Mit größerer Sicherheit und
mit größerer Kraft als irgend ein Reich der Welt wird Amerika imstande fein,
in den Kampf für seine Weltmnchtstellung zu treten, wenn diese ihm jemals von
E L. v. d. B. ngland oder auch vou Europa sollte bestritten werden.




Großkapital und größeres Deutschland

in Januar des vergmigueu Jahres erhob Adolf Wagner öffent¬
lich seine warnende Stimme gegen die wirtschaftspolitische Tendenz,
die der Besitznehmung Kiantschous zu Grunde lag, wegen der
„Steigerung der sozialen Gegensätze," die daraus folgen müßte.
Vor allein würden „bei solcher Ausweitung des Weltmarkts"
die Kreise profitieren, die die gegebnen Konjunkturen „im großen" auszunutzen
vermöchten: „kaufmännische und industrielle Grvßunternehinungen." Ihre
Kapitalmncht würde noch wachsen, „damit aber auch die Gefährdung großer
Existenzgruppen sich steigern." Einen ähnlichen Gedanken hatte Otterberg in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0519" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290930"/>
          <fw type="header" place="top"> Großkapital und größtes Deutschland</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1747" prev="#ID_1746"> Werden es ohne Zweifel über kurz oder lang von England losreißen;<lb/>
sie sind noch weit gefährlicher durch ihre seit einigen Jahren begonnene über¬<lb/>
seeische Expansionspolitik. Der Ausdehnung von Industrie und Handel<lb/>
wird sicherlich der Ausbau einer starken Flotte folgen, besonders von dein<lb/>
Augenblick an, wo etwa Kanada durch Anschlich an die Union aufhört, das<lb/>
bequem liegende Werkzeug zu sein, durch das man die englische Bescheidenheit<lb/>
jederzeit entflammen kann. Auch wird niemand in der Welt von England mit<lb/>
so viel Respekt behandelt, als der breitspurige Vetter von drüben. Seit im<lb/>
Jahre 1814 der Frieden von Gent in nachgebender Milde von England ge¬<lb/>
schlossen wurde, ist es jedem Streit mit den Vereinigten Staate«? höflich aus¬<lb/>
gewichen. Nur als man glaubte, sich der Hoffnung auf einen innern Zerfall<lb/>
der Republik hingeben zu dürfen, als im Sezessionskriege eine Trennung<lb/>
vou Nord und Süd möglich wurde, da wagte man, einen in England aus¬<lb/>
gerüsteten Kaper gegen die amerikanische Handelsflotte loszulassen. Dem neu-<lb/>
tralen England war es ganz recht, als die Alabama die amerikanische Handels¬<lb/>
flotte um Hunderte vou Schiffen armer machte. Von den drei Weltmächten<lb/>
des Herrn Dilke hat die amerikanische die größte Wahrscheinlichkeit einer glän¬<lb/>
zenden Zukunft für sich. Am reinsten in ihrem staatlichen Prinzip gegründet,<lb/>
das föderativ und demokratisch ist, ruht sie zugleich auf einer natürlichen kon¬<lb/>
tinentalen Basis, wie kein andrer Staat sie hat. Mit der Energie und dem<lb/>
Fleiß des angelsächsischen Geschäftsmannes verbindet der Nordamerikaner ein<lb/>
hohes Selbstgefühl und unerschöpflichen Wagemut. Und zuletzt hat es vor<lb/>
England den ungeheuern Vorsprung, ein geschlossenes, sich selbst genügendes<lb/>
Wirtschaftsgebiet zu sein, das nie wie England in Gefahr geraten kann, durch<lb/>
eine überlegne Flotte ausgehungert zu werden. Mit größerer Sicherheit und<lb/>
mit größerer Kraft als irgend ein Reich der Welt wird Amerika imstande fein,<lb/>
in den Kampf für seine Weltmnchtstellung zu treten, wenn diese ihm jemals von<lb/>
E<note type="byline"> L. v. d. B.</note> ngland oder auch vou Europa sollte bestritten werden. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Großkapital und größeres Deutschland</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1748" next="#ID_1749"> in Januar des vergmigueu Jahres erhob Adolf Wagner öffent¬<lb/>
lich seine warnende Stimme gegen die wirtschaftspolitische Tendenz,<lb/>
die der Besitznehmung Kiantschous zu Grunde lag, wegen der<lb/>
&#x201E;Steigerung der sozialen Gegensätze," die daraus folgen müßte.<lb/>
Vor allein würden &#x201E;bei solcher Ausweitung des Weltmarkts"<lb/>
die Kreise profitieren, die die gegebnen Konjunkturen &#x201E;im großen" auszunutzen<lb/>
vermöchten: &#x201E;kaufmännische und industrielle Grvßunternehinungen." Ihre<lb/>
Kapitalmncht würde noch wachsen, &#x201E;damit aber auch die Gefährdung großer<lb/>
Existenzgruppen sich steigern." Einen ähnlichen Gedanken hatte Otterberg in</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0519] Großkapital und größtes Deutschland Werden es ohne Zweifel über kurz oder lang von England losreißen; sie sind noch weit gefährlicher durch ihre seit einigen Jahren begonnene über¬ seeische Expansionspolitik. Der Ausdehnung von Industrie und Handel wird sicherlich der Ausbau einer starken Flotte folgen, besonders von dein Augenblick an, wo etwa Kanada durch Anschlich an die Union aufhört, das bequem liegende Werkzeug zu sein, durch das man die englische Bescheidenheit jederzeit entflammen kann. Auch wird niemand in der Welt von England mit so viel Respekt behandelt, als der breitspurige Vetter von drüben. Seit im Jahre 1814 der Frieden von Gent in nachgebender Milde von England ge¬ schlossen wurde, ist es jedem Streit mit den Vereinigten Staate«? höflich aus¬ gewichen. Nur als man glaubte, sich der Hoffnung auf einen innern Zerfall der Republik hingeben zu dürfen, als im Sezessionskriege eine Trennung vou Nord und Süd möglich wurde, da wagte man, einen in England aus¬ gerüsteten Kaper gegen die amerikanische Handelsflotte loszulassen. Dem neu- tralen England war es ganz recht, als die Alabama die amerikanische Handels¬ flotte um Hunderte vou Schiffen armer machte. Von den drei Weltmächten des Herrn Dilke hat die amerikanische die größte Wahrscheinlichkeit einer glän¬ zenden Zukunft für sich. Am reinsten in ihrem staatlichen Prinzip gegründet, das föderativ und demokratisch ist, ruht sie zugleich auf einer natürlichen kon¬ tinentalen Basis, wie kein andrer Staat sie hat. Mit der Energie und dem Fleiß des angelsächsischen Geschäftsmannes verbindet der Nordamerikaner ein hohes Selbstgefühl und unerschöpflichen Wagemut. Und zuletzt hat es vor England den ungeheuern Vorsprung, ein geschlossenes, sich selbst genügendes Wirtschaftsgebiet zu sein, das nie wie England in Gefahr geraten kann, durch eine überlegne Flotte ausgehungert zu werden. Mit größerer Sicherheit und mit größerer Kraft als irgend ein Reich der Welt wird Amerika imstande fein, in den Kampf für seine Weltmnchtstellung zu treten, wenn diese ihm jemals von E L. v. d. B. ngland oder auch vou Europa sollte bestritten werden. Großkapital und größeres Deutschland in Januar des vergmigueu Jahres erhob Adolf Wagner öffent¬ lich seine warnende Stimme gegen die wirtschaftspolitische Tendenz, die der Besitznehmung Kiantschous zu Grunde lag, wegen der „Steigerung der sozialen Gegensätze," die daraus folgen müßte. Vor allein würden „bei solcher Ausweitung des Weltmarkts" die Kreise profitieren, die die gegebnen Konjunkturen „im großen" auszunutzen vermöchten: „kaufmännische und industrielle Grvßunternehinungen." Ihre Kapitalmncht würde noch wachsen, „damit aber auch die Gefährdung großer Existenzgruppen sich steigern." Einen ähnlichen Gedanken hatte Otterberg in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/519
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/519>, abgerufen am 29.06.2024.